Interview mit Brenda Almond
(Deutsche Fassung)
[1]

TABULA RASA (TR): Was war denn eigentlich Ihr erster Anstoß, Philosophie zu studieren, wie ist das Interesse für genau diesen Wissenschaftsbereich entstanden ?

Brenda Almond (BA): Ich fürchte, das ist gleich eine ziemlich schwierige Frage. Ich glaube, ich hatte schon immer eine Vorliebe dafür, mich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und politische, soziale aber auch religiöse Fragen zu diskutieren. Ich fand ziemlich schnell, daß viele Menschen so wie ich Interesse an Neuem, an völlig neuen Sichtweisen hatten.

Um ehrlich zu sein, wußte ich nicht sonderlich viel über Philosophie als ich begann, sie zum Gegenstand meiner Arbeit zu machen. Es war also mehr eine glückliche Fügung als gut geplante Auswahl, daß ich seinerzeit an das beste Institut in Großbritannien geriet, mit A.J. Ayer als Lehrer. Selbstverständlich fand ich die Philosophie - nachdem ich sie einmal kennengelernt hatte - außerordentlich interessant.

TR: Könnten Sie einige Philosophen angeben, die Sie besonders beeinflußt haben ? Sehen Sie sich selbst als in einer ganz bestimmten Tradition stehend ?

BA: Abgesehen von Ayer, würde ich als Philosophen, von denen ich weiß, daß sie mich beeinflußt haben, D.J. O'Connor und Gilbert Ryle nennen. Das heißt, ich bin schon ganz eindeutig und in einem strikten Sinne in die analytische, sprachphilosophische und verifikationistische Tradition eingeordnet und in die des Empirismus, eine Tradition, die einfach sehr gut zur britischen Mentalität paßt. Später dann aber begann ich die Grenzen dieses Denkens zu sehen, besonders in Bezug auf moralische Fragen. Ich mußte schließlich feststellen, daß ich gegen eben diese Art von Philosophie, in deren Geist ich ausgebildet worden war, eine Haltung einzunehmen begann. Immer noch messe ich der Klarheit einen großen Wert zu, aber ich finde, daß manche Denker einen Grad von Klarheit erreicht haben, der sie schon wieder dunkel und unverständlich erscheinen läßt; was zweifellos ein interessantes Paradox in sich ist. Auch schienen mir damals die Philosophen vielen drängenden Problemen den Rücken zuzukehren, die alle anderen in der Welt sehr interessierten. Wie auch immer, mich selbst betrachte ich auch jetzt noch als in der analytischen Tradition stehend - ich halte nichts von obskurer Terminologie und denke, daß besonders der Einfluß der Soziologie auf die Philosophie hier negativ und verdunkelnd gewirkt hat. Die kritische Tradition der analytischen Philosophie hat meiner Meinung nach bedeutendes beizusteuern auf dem Gebiet der Angewandten Philosophie.

TR: Welche einzelnen Probleme ließen es denn für Sie vor allem vordringlich erscheinen, ein Projekt wie das der Angewandten Philosophie zu beginnen ? Welche Probleme sind für Sie dabei die wichtigsten ?

BA: So seltsam das klingen mag: die Probleminteressen trafen stets sehr genau zeitlich mit bestimmten Phasen meines Lebens zusammen. So war ich beispielsweise sehr an Fragen der Erziehung interessiert und ungefähr in dieser Zeit waren auch meine Kinder in dem Alter, daß ich mich intensiv um sie zu kümmern und Entscheidungen über sie zu treffen hatte. Und dann, als sich in meinen persönlichen Lebensumständen gerade sehr viel änderte, begann ich auch intensiver über zwischenmenschliche Beziehungen nachzudenken und über Themen in diesem Bereich zu schreiben. Ich habe immer wieder festgestellt, daß, wenn ein Punkt mich sehr beschäftigte, ein guter Weg des Umgangs damit war, das Problem in genau der Weise zu durchdenken, in der man dies zu tun pflegt, wenn man sich entschieden hat, einen seriösen philosophischen Artikel über das Thema zu schreiben. Und dies verhielt sich natürlich nicht nur bei persönlichen Problemen so, sondern auch bei drängenden politischen Problemen, die mich sehr berührten. Und wieder gab es da oft eine ganz direkte persönliche Verbindung. Beispielsweise begann ich mich für Fragen der akademischen Ausbildung zu interessieren, als eine Reihe von Veränderungen in den britischen Universitäten diskutiert wurden und ich war persönlich auf eine sogar ziemlich dramatische Weise in eine solche Veränderung verwickelt, als nämlich das Institut für Philosophie an der Universität Surrey geschlossen wurde, wo ich damals lehrte.

Ich hoffe, daß ich das mit der persönlichen Koinzidenz nicht zu sehr auswalze! Es gab da aber auch ein anderes bemerkenswertes Zusammentreffen: Immer wenn die Society for Applied Philosophy ein Konferenzthema gewählt hat (was sie immer jeweils zwei Jahre im Voraus tut), stellte es sich heraus, daß dies gerade das große Gesprächsthema in dem Moment war, als die Konferenz stattfand. Zum Beispiel hatten wir einen Kongreß zum Thema Terrorismus und dieser traf genau zusammen mit einem aufsehenerregenden terroristischen Akt. Ein anderes Mal organisierten wir eine Bioethik-Konferenz, die zu dem Zeitpunkt stattfand, als der 'Warnock-Report' veröffentlicht wurde, der sich mit dem Status von Embryonen und neuen Reproduktionstechniken beschäftigte. Wenn man so zurückblickt, kann man nur sagen, daß wir sehr vorsichtig sein sollten bei der Festlegung von Terminen wenn wir uns beispielsweise intensiver mit der Problematik des Nuklearkriegs beschäftigen wollen !

TR: Kann und soll Philosophie denn Ausdruck ihrer Zeit sein ?

BA: Ja, ich denke doch, daß Philosophie über ihre Zeit nachdenken und auf sie antworten sollte. Aber eben gerade weil sie als Philosophie antwortet, sollte sie dies nicht auf eine Weise tun, die zu eng und zu zeitbestimmt ist. Obwohl wir nun so viel über die Verbindungen zur britischen empirischen Tradition gesprochen haben, würde ich sagen, daß nach meinem Gefühl die Angewandte Philosophie auch viel zu lernen hat von Modellen des Denkens in metaphysischen Mustern wie beispielsweise bei Spinoza. Wenn Sie an ein Thema wie die Umweltzerstörung denken, dann scheint es doch manchmal, als hätte eine tief metaphysische Philosophie viel zu sagen darüber, eine Philosophie, die nicht im mindesten zeitbezogen ist, sondern tatsächlich mehr außerhalb jeglicher Zeit steht.

TR: Vorhin erwähnten Sie die 'Gesellschaft für Angewandte Philosophie'. Sie selbst sind sehr involviert in die Aktivitäten dieser Gesellschaft. Würden Sie ein bißchen darüber sagen, um den deutschen Lesern einen Eindruck zu vermitteln, worum es dabei geht ?

BA: Sehr gerne. Begonnen hat das in Großbritannien vor nunmehr ungefähr zehn Jahren. In Amerika war man schon sehr viel länger bereit gewesen, sich mit praktischer Ethik, besonders medizinischer Ethik wie auch mit philosophischen Problemen der Politik oder mit Unternehmens- und Managementethik zu beschäftigen. Aber wir wollten nicht einfach den Entwicklungen in den USA hinterherlaufen. Wir wollten eine Gesellschaft gründen, die zwar auf diese verschiedenen Themen antworten sollte, aber in ihrem Anspruch nicht zu sehr nur von diesen Themen her definiert wird. Wenn Sie so wollen, haben wir angestrebt, dem Projekt eine schärfer umrissene philosophische Gestalt zu geben, aber gleichzeitig zu vermeiden versucht, daß man uns mit ganz bestimmten politischen Standpunkten identifiziert. Es gibt da nämlich eine gewisse Tendenz, daß viele Leute, die sich mit diesen ethischen Themen beschäftigen, automatisch in Verbindung gebracht werden mit bestimmten einzelnen politischen Perspektiven und das halten wir für unvorteilhaft. Das Besondere an der philosophischen Herangehensweise ist doch gerade, daß man sich auf die Probleme völlig offen und vorurteilslos einläßt, das bedeutet, daß jedes einzelne Thema auf die ihm angemessene Weise und nach seiner Bedeutung behandelt wird. So glauben ja manche beispielsweise, wenn man profeministische Meinungen verträte, müsse man automatisch auch für den Schutz von Tieren sein. Aber wir würden dagegen ein Denken bevorzugen, das auf der einen Seite die Entwicklung von Theorien für den Feminismus erlaubt und, getrennt und unabhängig davon, andere Bereiche des philosophischen oder ethischen Denkens behandelt wie beispielsweise Tierrechte oder Fragen vegetarischer Lebensweise. Das soll heißen, wir lehnen es ab, eine Art 'Paket-Lösung' anzubieten, mit der die Leute ein Set von Meinungen übernehmen und als ethische Haltung einfach eine Reihe von wohlbekannten 'anti-establishment' - Standardmeinungen verinnerlichen. Auch steht die Society for Applied Philosophy eben für einen spezifisch philosophischen Anspruch. Die Statuten der Gesellschaft betonen bei diesem die Wichtigkeit einer kritischen und analytischen Herangehensweise. In den Gründungsstatuten, die jeder unterschrieben hat als die Gesellschaft sich formierte, sagten wir auch, daß wir möglichst viele der drängenden aktuellen Probleme behandeln wollen und zwar auf eine kritische und analytische Weise, die für die Philosophie kennzeichnend ist. Aber wir waren ebenso der Ansicht, daß wir der Idee gemeinsamer Werte folgen wollen, universaler Grundwerte, die unterschiedliche Kulturen und Länder verbinden. Auf diese Weise haben wir also in zweierlei Hinsicht, den kritisch-analytischen Ansatz und die Idee der gemeinsamen Werte betreffend, positive Festlegungen formuliert und uns dennoch keinem speziellen politischen oder religiösen Standpunkt verschrieben.

Aber ich möchte noch erwähnen, daß bei der Niederlegung dieser Grundsätze die Statuten auch Ayer vorgelegt wurden, der der erste Gründungspräsident der Gesellschaft war, und daß ich sehr erstaunt war, zu sehen, wie er ihnen, Zeile für Zeile, zustimmte. Auch R.M. Hare, der der zweite Präsident war, wurde befragt und er unterschrieb ebenfalls ohne Kritik. Beide dachten, daß es nichts Ablehnenswertes in der Art und Weise gäbe, wie wir die Ziele der Gesellschaft formuliert hatten; jedoch konnte ich nicht umhin, zu denken, daß die Statuten eigentlich nicht vereinbar waren mit der emotivistischen Theorie, die man mit Ayer in Verbindung bringt und ebensowenig mit Hares utilitaristischen Tendenzen. Ich würde heute nicht mehr unbedingt behaupten, daß ich recht hatte und die beiden unrecht. Sie würden wohl zweifellos so argumentieren, daß man seine metaethische Grundposition sehr wohl von den einzelnen ethischen Stellungnahmen trennen kann. Und wenn das der Fall ist, liegt möglicherweise nichts Inkonsistentes darin, sowohl ein utilitaristisches Denken zu vertreten wie die Idee gemeinsamer Werte.

TR: Sie erwähnten den Zusammenhang zwischen Angewandter Philosophie und der analytischen Tradition. Da auf dem Kontinent diese Art von Tradition bei weitem nicht so präsent ist wie in England, könnte womöglich ein ausschließlicher Bezug auf sie die britische Philosophie noch stärker von der kontinentalen trennen. Aber gleichzeitig scheinen mir in der Angewandten Philosophie Probleme wieder aufgegriffen zu werden, die auch in der griechischen Philosophie eine große Rolle spielten. Könnte nun also diese 'doppelte Erbschaft' vielleicht doch zu einem neuen Dialog zwischen angelsächsischer und europäischer Theorie beitragen ?

BA: Ja, das ist wirklich eine interessante Art, es zu sehen. Es gibt da noch andere Verbindungslinien, zum Beispiel über die Idee der Praxis. Dies bringt uns sogar in eine scheinbare Nähe zum Marxismus, mit dem wir eigentlich gar nichts zu tun haben. Tatsächlich aber haben Sie ganz recht, wenn Sie davon sprechen, daß es um die Wiederaufnahme einer alten philosophischen Tradition geht. Hinzukommen muß allerdings die Bemühung, einen Prozeß in Gang zu setzen, der zur Ausarbeitung einer ethischen Position führt, die konkret auf die reale Welt einwirkt. Dies beinhaltet auch Konzeptionen davon, was ein moralisches Leben ist und wie eine bessere Welt aussehen könnte. Ich denke, in unserem Land wäre ein größeres Interesse an der Philosophiegeschichte nötig, als wir es im Augenblick haben. Britische Studenten sind wahrscheinlich zu weit gegangen in der Richtung, daß sie glauben, nichts wissen zu müssen über die Geschichte ihres Faches; vor allem in Bezug auf die elementaren Grundlagen und Themen. Zweifellos liegt das daran, daß man die Studenten ermutigt hat, traditionelle philosophische Probleme für sich selbst zu durchdenken, so als hätte nie jemand zuvor über sie nachgedacht. Ich habe den Eindruck, daß die Studenten auf dem Kontinent dazu nicht in dieser Weise ermutigt wurden, sondern mehr dazu, zu lernen, was wichtige Autoritäten gesagt haben. Zwischen diesen beiden Extremen sollte es, so denke ich, eine mittlere Haltung geben, so daß historische Philosophen durchaus gekannt und gelesen werden, aber in einer Weise, die Bezug hat zu den Problemen von heute. So könnte jeder das eigene Denken erweitern und hinterfragen indem er zu verstehen versucht, was andere Denker, vielleicht profundere Köpfe als er selbst, zu sagen hatten.

TR: Angewandte Philosophie soll nach ihren Worten nicht zu sehr mit politischen Gruppen oder Schulen in Verbindung gebracht werden - bedeutet das nicht, daß sie grundsätzlich einen Teil ihrer Wirksamkeit aufgibt ? Wo könnte denn Angewandte Philosophie wirklich aktiv einwirken ?

BA: Das wird schnell Gegenstand von Kontroversen, aber ich habe stets gedacht, daß, wenn man sich an der Idee der gemeinsamen verbindlichen Werte orientiert und diese beispielsweise in die Form von Rechten bringt - daß dann klar wird, daß es über bestimmte Probleme keine unterschiedlichen Ansichten mehr geben kann. Wenn wir einmal etwas Extremes nehmen, wie den staatlichen Gebrauch der Folter gegen Individuen, dann ist es sehr schwierig zu sehen, wie Philosophen hier unentschieden sein könnten wenn sie über das Thema nachgedacht haben. Und das hat selbstverständlich ganz praktische Implikationen: es ist doch nicht überraschend, wenn jemand, der an dieser Problematik Anteil nimmt, Organisationen beitritt, mit deren Hilfe er die Zustände in der Welt, zumindest in dieser einen Hinsicht, verbessern kann.

Auf der anderen Seite gibt es eben auch andere Felder, auf denen widerstrebende Ansichten ausgehalten werden müssen und dann wäre es schade, wenn eine philosophische Gesellschaft mit einem bestimmten Standpunkt identifiziert würde. Aber schon die Benennung solcher Problemfelder ist Gegenstand sehr kontroverser Debatten. Denken Sie beispielsweise an das aktuelle Thema des Exportes von lebenden Tieren. Nur ein halbes Jahr früher hätte man gesagt, daß dies ein Problem ist, über das verschiedene Leute eben verschiedene Ansichten haben, ohne daß sie deshalb miteinander in Konflikt geraten müssen. Was beispielsweise den Vegetarismus betrifft, würden die Vegetarier akzeptiert haben, daß andere Leute natürlich frei sind, Fleisch zu essen, sofern sie das wollen. Aber wenn nun die Leute frei sind, Fleisch zu essen, dann scheint dies auch zu beinhalten, daß sie frei sind, Tiere zu halten, zu verkaufen und zu transportieren. Hier genau beginnen aber die Auseinandersetzungen; es ist eben doch so, daß Menschen, die bestimmte Ansichten haben darüber, wie man Tiere behandeln sollte, auch nach Möglichkeiten suchen, in der Realität dafür zu sorgen, daß die Tiere so behandelt werden. Dies ist nur ein Fall, der zeigt, daß ein Thema sehr schnell den Bereich des Nichtstrittigen verlassen kann, um zum Gegenstand kontroverser Debatten zu werden.

TR: Sehen Sie Möglichkeiten, die beratende und kommentierende Funktion der Angewandten Philosophie zu institutionalisieren; ich meine in der Weise, daß verantwortliche Entscheidungsträger gegebenenfalls von den Debatten der Philosophen profitieren können ?

BA: Ja, besonders in der Medizin. Ich denke, es ist mittlerweile schon so ziemlich zum Standard geworden, daß man auch einen Philosophen auswählt, wenn es um die Zusammensetzung einer Kommission zu schwierigen ethischen Fragen geht. Ich bin selbst gerade im Augenblick dabei, mich mit einigen Fragen über die Behandlung von Sterbenden zu befassen und bearbeite das Thema der neuen Reproduktionstechnologien und der dazugehörigen medizinischen Probleme. Es ist heutzutage wirklich schwer, sich vorzustellen, daß ein Komitee, das solche Themen behandelt, dies tut, ohne Gesichtspunkte aus ethisch-philosophischen Diskussionen zu berücksichtigen. Auch was die Genforschung betrifft, scheint man allgemein bereit zu sein, dies in philosophischer wie ethischer Perspektive zu sehen. Ja, also ich denke, die Angewandte Philosophie wird sich in der Tat institutionalisieren und hoffentlich in einer nützlichen Art und Weise.

TR: Was denken Sie über die Gefahr, daß sich zwischen Ethik und Philosophie eine Lücke auftut, so daß ethische Probleme mehr und mehr ohne philosophische Hintergründe diskutiert werden ?

BA: Ich glaube, dies ist eine sehr ungute Tendenz und das ist auch der Grund, warum ich den Anspruch der 'Society for Applied Philosophy', von der weniger auf theoretische Reflexion gegründeten Bewegung einer angewandten Ethik in den Vereinigten Staaten abheben wollte. Zum Teil nannten wir auch deshalb die Gesellschaft bewußt eine Gesellschaft für Angewandte Philosophie und nicht für Angewandte Ethik; aus diesem Grund haben wir auch einen Sammelband mit Beiträgen aus unserem Journal unter dem Titel 'Morals and Metaphysics in Contemporary Debate' veröffentlicht.

Ich denke, es ist wirklich sehr unvorteilhaft wenn sich die Ethik von den Ursprüngen in der Philosophie ablöst. Medizinethik beispielsweise wird in einigen Fällen von praktischen Ärzten wie Ausbildern für Krankenschwestern gelehrt und nicht von Philosophen. Das ist in gewisser Weise verständlich weil diese Ausbilder genau wissen, wo sie auf die praktischen Probleme ihrer Hörerschaft eingehen müssen. So ist es begreiflich, wenn sie manchmal glauben, daß sie ihren eigenen Ethikunterricht machen könnten, aber es ist einfach unglücklich, wenn man mit aller Gewalt Ethik ohne die notwendigen Verbindungen zur philosophischen Basis zu betreiben versucht. Denn dann besteht doch die Gefahr, daß sie sich leicht zu einer Art 'Faustregel' oder bloßen Etikette entwickelt. Und gerade diese Gefahr ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts sowieso schon in der Weise angewachsen, daß sich die Philosophen - zumindest in unserem Land - geweigert haben, Ethik wirklich ernst zu nehmen. Aber gleichzeitig wurde die Ethik immer wichtiger in den Augen von Menschen, die nicht philosophisch gebildet waren. Diese Absonderung und Trivialisierung der Ethik war ein großer Fehler denn mit ihr wird ebenso die Tendenz der Philosophie verstärkt, zu einer Sammlung von einzelnen Spezialgebieten zu werden. Aber wenn in der Philosophie so etwas wie Einheit zu finden ist, dann muß diese Einheit zumindest teilweise auch ethisch sein. Es läßt sich einfach kein umfassender metaphysischer Zusammenhang im Rahmen eines Systems finden, wenn dieses nicht auch ethische Implikationen hat. Und schließlich - das ist wohl leichter zu sagen - kann man auch keine ethischen Themen behandeln ohne diese aus den tieferliegenden philosophischen Problemen heraus zu verstehen, von denen einige epistemologischer Natur sind, manche die Analyse von Sprache betreffen und andere mit der philosophischen Logik zu tun haben.

TR: Vielleicht könnten wir das Interview mit einer Frage nach den Zukunftsperspektiven beenden. Was, meinen Sie, werden die wichtigsten Themen der nächsten Jahre sein und welche Probleme der Angewandten Philosophie werden Ihre Interessen in nächster Zeit bestimmen ?

BA: Persönlich werde ich mich auch weiterhin mit Problemen wie Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen beschäftigen, besonders in Hinsicht auf soziale und politische Entwicklungen, die die familiären Strukturen beeinflussen wie der Feminismus. Ebenso werde ich versuchen, ein klareres Bild über die Auswirkungen der neuen Reproduktionstechnologien zu gewinnen. Aber ich denke, daß vor allem auch die Entdeckungen über menschliche Genstrukturen in den nächsten Jahren viele Fragen auswerfen werden und ebenso - obwohl kaum jemand die philosophischen Aspekte davon wahrnimmt - daß die neuen Kommunikations- und Informationssysteme einen großen Veränderungsprozeß einleiten werden.

TR: Abgesehen von der modischen 'Medienphilosophie' gibt es da noch kaum ernstzunehmende philosophische Ansätze, nicht wahr ?

BA: Ja, zweifellos mangelt es an Bewußtheit, was diese Probleme angeht. Dabei sind wir sicher in der Mitte einer revolutionären Veränderung von etwas so Neuartigem wie in der Situation als die Druckerpresse erfunden wurde und die Menschen auch nicht vorhersehen konnten, was das alles mit sich bringen würde.

TR: Frau Professor Almond, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.