Alan Posener, Benedikts Kreuzzug, Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft, Ullstein Buchverlage GmbH Berlin, Berlin 2009, ISBN: 978-3-550-08793-6, Preis: 18.00 Euro
von Stefan Groß
„Wider den neuen katholischen Fundamentalismus“ – unter diesem Schlagwort läßt sich Alan Poseners Angriff auf die Verschlußsache Vatikan sicherlich am prägnantesten beschreiben. Posener, eigentlich mehr Schriftsteller als Journalist, obgleich er als Blogger und Redakteur der Welt deutschlandweit bekannt ist, hat mit seinem neuen Buch „Benedikts Kreuzzug, Der Angriff des Vatikans auf die Moderne“ sicherlich eins geschrieben, an dem man – auch aus katholischer Sicht – nicht vorbeikommt. Wenngleich es anklagt, den deutschen Papst schwer ins Kreuzfeuer der Kritik nimmt, beeindruckt es durch seine sachlich-inhaltliche geführte Argumentation; Posener ist und bleibt ein Qualitätsjournalist, der intellektuell brillant schreiben und ebenso schlüssig formulieren kann, was sich insbesondere dann zeigt, wenn er einzelne Text-Passagen in den publizierten Büchern des früheren Kurienkardinals und ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation analysiert.
Posener will streiten, will provozieren, was ihm auch gelingt. Nur: Ob er mit seiner Streitschrift des Pudels Kern trifft, mag dahingestellt bleiben. Denn eine Identifikation der katholischen Kirche beispielsweise – bei aller berechtigten Kritik, die in diesem Buch fundiert aufgelistet wird – mit dem islamischen Fundamentalismus scheint überzeichnet. Auch mag man berechtigte Zweifel haben, ob die von Posener dahingehend interpretierte Regensburger Vorlesung des Papstes nicht – wie es auf den ersten Blick schien – den Islam angriff, sondern in ihm einen Verbündeten sah, um wie er gegen die Moderne zu streiten.
Daß Benedikt ein Unbehagen an der Moderne empfindet, ist ja keineswegs neu, sondern geradezu das Charisma seines Denkens gegen das er schon als Münchner Erzbischof anzustreiten hatte. Charakterisierungen wie „Panzerkardinal“ und „deutscher Schäferhund“ waren da noch die liebenswürdigeren Titulierungen seitens der Kritiker.
Sicherlich ist Posener nicht ganz im Unrecht, wenn er Benedikt vorwirft, daß es diesem um eine Revolution der Moderne aus konservativer Sicht geht, und daß er am Eurozentrismus festhält, weil dieser für ihn den eigentlichen Wertekanon des Abendlandes verkörpert. Nur: Benedikt ist der Statthalter einer der ältesten Institutionen und damit der Tradition maßgeblich verpflichtet, so daß es für ihn geradezu in der Sache an sich liegt, gegen jeden, wie immer wieder vorgeworfen, Werterelativismus, gegen die neue „Leere“ anzustreiten.
Daß dann dieser immer wieder gegen die Moderne geführte Kampf Benedikts seine Ursprünge eben nicht im post-kantianischen oder post-aufklärerischen Denken hat, wovon Posener ja ausgeht, wenn er die Demokratie gegen den katholischen Konservatismus ausspielt und der Kirche Demokratiefeindlichkeit vorwirft, sondern in der neuplatonischen Philosophie und in der Stoa, bleibt eine unanfechtbare Überzeugung eines philosophisch geprägten Denkers, wie Benedikt nun mal einer ist. Aus dieser philosophischen Prägung ist es unsinnig dem deutschen Papst vorzuwerfen, daß er den Versuch unternehmen will, die Spätantike gegen die Moderne in Stellung zu bringen, denn dieses Unterfangen bleibt die konsequenzlogische Folge seines strikt verfochtenen Augustinismus. Diese, seine Überzeugung wird deutlich, wenn man Fichtes Diktum: „Was für eine Philosophie man wähle, hänge davon ab, was für ein Mensch man sei“, hinzuzieht. Aus seinem Bekenntnis zu Augustinus und dem damit verbundenen Wertekanon kann also Posener Ratzinger keinen Strick drehen, selbst wenn ihm dieser Denkansatz, wie für viele moderne Denker im Allgemeinen ja auch, antiquiert und überholt erscheint.
Zu übersehen scheint Posener dabei, daß die christlich-antike Spiritualität derzeit, wenngleich dies viele leugnen, Konjunktur hat. Negative Theologie, Mystik und Transzendenzsehnsucht bleiben für viele Menschen, noch mehr sind es in den USA, Leitbilder einer sinnvollen Lebensführung und inhaltlichen Gestaltung. Denn für diese zeigt sich die Dialektik der Aufklärung gerade darin, daß sie mit einem rational-durchorganisierten Welt- und Wertebild hadern und statt dessen wieder nach dem Geheimnis des Glaubens, nach dem Wunder suchen. Die Aufklärung, und dies ist keineswegs neu, bedenkt eben nicht den ganzen Menschen. Gegen Poseners abgeklärtes Weltbild der Moderne, gegen seinen Versuch, diese restlos zu verteidigen, kommt der Augustinismus Benedikts keineswegs als einseitiger und fehlgeleiteter daher, sondern gerade umgekehrt als eine Bereicherung der Lebenswelt, die sich eben nicht auf das abgeklärte Ich reduzieren will, sondern nach dem Mehr-als sucht, die die Gottesfrage immer wieder formuliert, um die endliche Freiheit zu begreifen. Schon im deutschen Idealismus Kants zeigte sich, daß die Gottesfrage immer noch ein Postulat der praktischen Vernunft blieb.
Aus philosophisch-theologischer Sicht führt Benedikts Augustinismus damit keineswegs zum „Rollback“ in die Aufklärung, zur „Abkehr von der Moderne“, sondern sucht eine mögliche Antwort auf die großen Fragen, die die Moderne stellt, aus dem Geist der abendländischen Philosophie zu geben. Darin eingeschlossen ist auch die Absage an die Selbstermächtigung des Ich, während Posener im Gegenzug das Ich euphorisch als eigentlichen Sieger der Aufklärung feiert.
Auch stimmt es nicht, aus Benedikts Augustinismus einen lebensweltlichen Eskapismus abzuleiten, in welchem sich das Ich auf seine Lebensferne reduziert. Vielmehr zeigt sich in Augustins Staatstheorie, daß sich das Individuum keineswegs kontemplativ verkapselt. So folgt schon aus der Beschäftigung mit Augustinus für Benedikt, daß das Individuum immer auch ein homo politicus ist. Die These Poseners, „dass Ratzinger nicht in erster Linie Theologe ist; dass für ihn das Theologische immer politisch ist“ (S. 17), kann Benedikt daher gar nicht treffen, ergibt sie sich doch aus seinem augustinisch geprägten politischen Selbstverständnis.
Die „benedettische Wende“, die sogenannte „Überordnung der Ethik über die Politik“ resultiert damit auch nicht vordergründig, wie Posener meint, aus der Kritik an der Moderne, sondern ist Zeichen eines philosophischen Denkens, das vom je individuellen Ich zum Du und Wir immer schon schreitet, eben jener antiken Denktradition, die von Plotin und Porphyrios – über Augustinus – bis hin zu Dionysios Areopagita und Boethius führt. Und daß Benedikt diese Zeit als goldenes Zeitalter verstehen will, ist damit nur die apodiktische Konsequenz seiner, diesem Denken verpflichteten Argumentation, und nicht, wie vorgeworfen, ein Abgleiten in den Irrationalismus des Mittelalters. Wer so argumentiert, bringt das Mittelalter in Mißkredit – trotz der großen Forschungen von Johan Huizinga, und zeigt damit zugleich auch seine Kenntnislücken hinsichtlich einer ganzen Geschichtsepoche.
Vielleicht greift eine Streitschrift, wie die von Posener, dann doch zu kurz, wenn dieser bekennt „Ich möchte mir deshalb nicht anmaßen, ein Urteil über den Theologen Joseph Ratzinger zu fällen“ (S. 15). Aller Wahrscheinlichkeit nach muß man in erster Linie den Theologen Ratzinger verstehen, um zu einer originären Bewertung dieses Denkers zu kommen, wenn es darum geht, seine Sicht zur „Diktatur des Relativismus“, zur „Umdeutung der Vernunft“, zur „Kultur des Todes“, zur modernen Naturwissenschaft und zur „Offenen Gesellschaft“ zu verstehen.
Viele Kritikpunkte, die Posener aufführt, um seine Anklage zu rechtfertigen, die letztendlich auf sein eigenes Glaubensbekenntnis hinausläuft, das er folgendermaßen skizziert: „Ja, ich klage Benedikt an. Ich halte Benedikts Denken für irregeleitet, gefährlich und in letzter Instanz für menschenverachtend, und das versuche ich zu begründen. Ja, das von mir gezeichnete Bild des deutschen Papstes ist einseitig. Aber es ist erheblich weniger einseitig als das Bild, das Benedikt und seine Nachbeter zeichnen, wenn sie die moderne Gesellschaft anklagen“, können aus umgekehrter Sicht für Benedikt ins Feld geführt werden, sobald man sein Denken nicht an der Aufklärung, sondern am christlich-antiken Weltbild spiegelt.
Auch sollte man, bei aller Kritik an Benedikt, immer mitbedenken, daß es in Zeiten des anything goes einer Stimme bedarf, die mahnend erinnert, die sich dem rasanten Zeitgeist widersetzt, ohne der Moderne damit zugleich ihr Existenzrecht zu verweigern. So versteht zumindest der Rezensent den Papst. Benedikt hadert nicht mit der Moderne, wenn er diese kritisiert, wenn er ihr ein Gegenbild gegenüberstellt, um sie dort zu korrigieren, wo sie tatsächlich in die „Leere“ läuft, sondern, und dies muß doch erlaubt sein, zeigt auch ihre Mißlichkeiten auf. Man ist doch keineswegs antimodern, wenn man wie Benedikt den überschwenglichen Drang zur Freiheit, den egozentrisch-unendlichen Freiheitsdrang als Hybris kritisiert. Freiheit bleibt ganz wie bei Hegel auch für den Papst Einsicht in die Notwendigkeit – und diese Weisheit kann bei aller Modernitätseuphorie keineswegs schaden.
Kurzum: Poseners Buch strahlt eine geheime Faszinationskraft aus, gegen die man sich wehren muß, eben weil es aus seiner Sicht so überzeugend geschrieben ist. Es ist ein streitbares Buch, mit Sicherheit, aber endlich mal wieder eines, das die Vernunft anregt. Auch wenn man letztendlich anderer Meinung ist, kann man es empfehlen, weil es nicht als platte Kritik am Vatikan daherkommt. Man sieht, hier hat einer tief gedacht.