von Thomas Junker
Wer Zweifel hatte, ob eine weitere Kritik am Papst und an der katholischen Kirche notwendig und zeitgemäß ist, der wurde durch das ‚Philosophische Quartett’ vom 29. November 2009, bei dem Alan Posener geladen war, eines Besseren belehrt. Es war schon ein eindrückliches Schauspiel, wie sich dort die Elite deutscher Meinungsmacher, als solche darf man Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski und Daniel Deckers (FAZ) sicher ansprechen, darum wetteiferten, wer das mittelalterliche Weltbild der Kirche und die reaktionäre Politik des gegenwärtigen Papstes am verständnisvollsten verteidigte und wer Poseners intelligente und mutige Kritik am wirkungsvollsten zu zerreden wusste.
Was ist der Stein des Anstoßes? In acht flüssig geschriebenen Kapiteln seziert Alan Posener in ‚Benedikts Kreuzzug‘ anhand von Originalzitaten das Weltbild des Führers der katholischen Kirche: Es geht um seine Ablehnung der Meinungs- und Religionsfreiheit, seine Bestrebungen, die Vernunft religiösen Dogmen zu unterwerfen, seine Umdeutung und Vereinnahmung des Holocaust (der ein Angriff auf das Christentum (!!!) gewesen sein soll), seine Verleugnung katholischer Judenfeindschaft, seine schlecht verhohlene Sympathie mit der rechtsradikalen Piusbruderschaft, seine menschenfeindliche Aids-Politik und Sexualmoral, seinen Versuch, die Wissenschaften zu gängeln (Darwins Evolutionstheorie), wobei er auch die Androhung von Folter für akzeptabel hält (Galilei), seine Kumpanei mit muslimischen Gewalttätern und seine weltfremden Vorschläge zur Familien- und Gesellschaftspolitik.
All dies ist spannend und zugleich beklemmend zu lesen. Es wird nicht nur Bekanntes auf den Punkt gebracht, sondern wer will, kann auch viel Neues erfahren (ich habe selbst im Abschnitt über die Kritik der Kirche an der Evolutionstheorie, mit der ich mich im Zusammenhang mit Schönborns Schulterschluss mit der Intelligent design-Bewegung befasst habe, aufschlussreiche, neue Details gefunden). Pointiert und akribisch belegt Posener, wie fassadenhaft die Bekenntnisse der Kirche zu Demokratie, religiöser und weltanschaulicher Toleranz, Menschenrechten und Wissenschaft sind, wie widerwillig selbst diese Lippenbekenntnisse geleistet werden und was wir zu erwarten haben, wenn es der Kirche gelingen sollte, weiter an Macht zu gewinnen.
Natürlich ist das Ergebnis erschreckend, und da nicht sein kann, was nicht sein darf, wurde und wird nicht nur im ‚Philosophischen Quartett’ darüber räsoniert, dass die deutschen Bischöfe nicht mit allem einverstanden seien, was der Papst so verlauten lässt, dass er oft missverstanden werde, dass er schlechte Berater habe, dass der ganze reaktionäre Humbug letztlich ein wichtiges Gegengewicht zu den Fehlentwicklungen der Moderne sei usw. usf.
Es lässt sich kaum bestreiten, dass Poseners Analyse für viele Anhänger der katholischen Kirche schmerzhafte Einsichten bereithält. Und es ist das Recht eines jeden, seine liebgewonnenen Illusionen zu hegen und zu pflegen, aber sobald sie politischen Einfluss auf unser aller Leben zu nehmen beginnen, müssen sie sich der Kritik stellen und können sich nicht hinter der nebulösen Forderung nach ‚Respekt‘ verstecken. Andere religiöse Ideologien, Scientology beispielsweise, werden ja auch nicht unter Naturschutz gestellt. Und selbstverständlich gibt es auch andere Stimmen in der Kirche und ‚moderne’ Theologen, aber welche Relevanz haben diese Stimmen wirklich? Sind sie mehr als Zuckerguss auf der bitteren Pille?
Die katholische Kirche ist eine Macht, gerade auch in Deutschland, und so sollte man seine Augen nicht verschließen, denn wenn Posener Recht hat, dann ist Benedikts Denken ‚irregeleitet, gefährlich und in letzter Instanz menschenverachtend‘ (S. 14). Ich denke, er hat Recht. Wer diese Analyse aber für unfair und übertrieben hält, der sollte zumindest die Fakten und Argumente kennen, wird sich vielleicht überzeugen lassen und dann feststellen, dass Benedikts Kirche nicht die eigene Kirche ist und die Konsequenzen ziehen. Und so ist ‚Benedikts Kreuzzug‘ nicht nur eine höchst interessante und anregende Lektüre, sondern auch ein idealer Prüfstein, um die eigene Meinung über den Papst und seine Kirche zu überprüfen, zu schärfen und gegebenenfalls zu korrigieren.