Hansjürgen Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007, ISBN: 978-3-89678-587-9.
von Stefan Groß
Neben einer Vielzahl von Publikationen zu Joseph Ratzinger sticht das Buch über den Denkweg des ehemaligen Kardinals und jetzigen Papstes von Hansjürgen Verweyen positiv heraus. Der renommierte Theologe, Schüler und liberale Kritiker unternimmt anhand der wichtigsten biographischen Eckdaten des Studenten und Professors Ratzinger den Versuch, einerseits dessen geistigen Werdegang nachzuzeichnen, andererseits Benedikts Denken innerhalb der Geschichte der abendländischen Theologie und Philosophie zu verorten, wobei auch mit kritischen Tönen nicht gespart wird, Mißverständliches und Diskontinuitätsbrüche im Denkweg des langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation nachgezeichnet werden. Verweyen, dies zeigt sich überdeutlich, bleibt kritisch, geht immer wieder auf Distanz zu Ratzinger, wenn er Widersprüchliches zu vernehmen glaubt.
Daß bei einer Rekonstruktion des Denkweges auf die geistigen „Lehrer“ des Papstes – auf Augustinus und Bonaventura – Bezug genommen wird, versteht sich von selbst, wenngleich auch hier angemerkt werden darf, daß die Auseinandersetzung mit dem Kirchenvater und mit dem Theologen des Mittelalters hätte prägnanter ausfallen können, hier hätte man sich vom Autor einen tiefergreifen den Blick hinter die Kulissen gewünscht, ja, genauere Erläuterungen und Analysen erwartet; warum gerade Augustinus, und warum gerade er das Weltbild von Benedikt XVI. bis heute so nachhaltig beeinflussen konnte. Der Verweis auf seine Kriegsvergangenheit – samt dem Pessimismus der damaligen Zeit – reicht da doch wohl kaum aus, um eine gewisse Unbehaglichkeit an der Moderne auszumachen. Und beides, sowohl die Promotion als auch und die Habilitation werden bei Verweyen nur kurz gestreift, was um so mehr verwundert, weil sich der philosophisch-theologische Ansatz Ratzingers hier am deutlichsten herauskristallisierte.
Ausführlicher hingegen gerät der Blick auf die Bonner Antrittsvorlesung Ratzingers, die dieser unter dem Titel „Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen, Ein Beitrag zum Problem der theologia naturalis“ am 24. Juni 1959 gehalten hatte. Hier tritt nicht nur das Ratzinger bis zur Diskussion mit Jürgen Habermas immer wieder beschäftigende Problem des Verhältnisses von vernünftigem Wissen und Gefühl in den Mittelpunkt, sondern hier zeigt sich auch exemplarisch der „dialogische Personalismus“ des Theologen aus Marktl am Inn, der immerwährende Versuch, eine Brücke von Athen und Jerusalem zu spannen, eben jene Brücke von der griechisch-römischen Philosophie zum göttlichen Absoluten der Bibel. Denn wie Ratzinger selbst damals selbst bemerkte, kann „der wahre Anspruch des christlichen Glaubens […] in seiner Größe und in seinem Ernst immer wieder nur sichtbar gemacht werden durch den Bindestrich zu dem hinüber, was der Mensch schon zuvor in irgendeiner Form als das Absolute begriffen hat“. Daß dabei die Philosophie eine propädeutische Funktion zur Explikation des Absoluten innehat, die den Glauben letztendlich nicht ersetzen kann, hat Ratzinger bis heute unterstrichen. Diese Synthese näher zu beleuchten, da diese in einer Vielzahl von Publikationen eine wesentliche Rolle spielt und zugleich Ratzingers Verständnis von Vernunft und Glaube exemplarisch beleuchtet, hätte sich der Leser vom Autor gewünscht.
So intensiv Verweyen den Denkweg des Theologen Ratzinger nachzeichnet, so bleiben seine Thesen zu voraussetzungsreich, zu unvermittelt, so daß es dem geneigten Leser schwerfällt, die Argumente immer leicht nachzuvollziehen, zudem Seitenweise Exkurse zu zeitgeschichtlichen Ereignissen immer wieder den Blick in die eigentliche Argumentation versperren, was sich auch dann beispielsweise und irritierend zeigt, wenn Ratzingers Offenbarungsbegriff ins Zentrum gerückt wird. Auch bei der Charakterisierung „mathematische Philosophie“ hätte man sich tiefergehende Analysen erwartet, als Verweise zu Ratzingers Kritik an Descartes einerseits und die Hochachtung für Pascal andererseits.
So eingehend gelungen die Passagen zu Hans Küng, zum Marxismus, zur Theologie der Befreiung, zur Eschatologie, zum Problem der Theologie in der Moderne und zum Liturgieverständnis sind, immer, so scheint es in der Argumentation Verweyens, bleiben es äußere Anstöße, die den Denkweg Ratzingers bestimmten, dort die 68er Bewegung, hier die Befreiungstheologen. Gegen diese extrinsische Interpretation wäre dagegen, gerade auch mit Blick auf die spirituelle und philosophische Genese seiner Entwicklung, eine intrinsische zu stellen, die den Denkweg tatsächlich aus den Schriften Ratzingers heraus zu bestimmen sucht, um so seinem originären Denkansatz näher zu kommen. Wünschenswert wäre überhaupt, perspektivisch gesehen, einmal eine Strukturanalyse, die den Philosophen Ratzinger untersucht, die also seine Affinität zur frühen Kirche und seine Distanz gegenüber dem kritischen Idealismus Kants und der nachkantischen Systeme bedenkt. Aufschlußreich in diesem Kontext würden zudem eine Analyse seiner Rezeption des Platonismus und des Neuplatonismus sowie eine Aufarbeitung seines Verhältnisses zur Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sein. Hierhinein gehörten Exegesen zu Origenes, Plotin, aber auch zu Buber, Rosenzweig, Spengler und Levinas, um nur einige zu nennen.