Zitronen? Limonade.

Julia Friedrichs’ Sittengemälde deutscher Eliten

Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen. München (Heyne): 2009. 256 Seiten. EURO (D) 7,95. ISBN: 3453601122.

Daniel Krause
(Krakow/Polen)

Wie die Faust aufs Auge, so passt Gestatten: Elite. zum Geist dieser Tage: Elitenschelte allerorten. Die Medien schmähen Esser, Middelhoff und Acker­mann, mithin die ‚Führungsschicht’ der deutschen Wirtschaft. Er­innern wir uns: Franz Müntefering hatte auswärtige Investoren im Früh­jahr 2005 mit „Heuschrecken“ verglichen. Die Wortwahl machte mehr Sen­sa­tion als die Sache (Hedgefonds): Tiervergleiche, zumal mit Unge­ziefer, waren im politischen Sprachgebrauch nach 1945 nicht üblich ge­wesen. Heute, in „Krisenzeiten“, sind solche Skrupel betreffend die Aus­drucks­weise kaum noch verbreitet: Polemik wider Eliten ist zum Gemein­platz geworden – und Gestatten: Elite. hat es innerhalb weniger Wochen zum Bestseller gebracht. Wenige Bücher scheinen so passgenau – und dabei so nüchtern und sachlich – Material zur Elitenschmähung bereit­zu­stellen.

Paul Nolte, liberal-konservativer ‚Vordenker’, hat zu bedenken gegeben, Julia Friedrichs befasse sich mit den ‚falschen’ Eliten: jenen, die sich der eigenen Karriere verschrieben, ohne ernstlich ums Gemeinwohl besorgt zu sein. Verantwortungsbereitschaft sei anderswo, in politischen Akademien und Stipendienorganisationen, zu finden. Dieses Bedenken hat einiges für sich: Mit Friedrichs’ Entscheidung, unter ‚Elite’ zuerst (wenngleich nicht aus­schließlich) Porsche fahrenden Managementnachwuchs – „selbst er­nannte[n] Wirtschaftselite“ (36) – zu begreifen, war, scheint es, der un­günstige Gesamteindruck schon vorgezeichnet.

Freilich: Jenen, die sich ums Gemeinwohl sorgen, ist die Vokabel ‚Elite’ wenig genehm. Die Nolteschen Eliten würden sich kaum mit den Worten Ge­­statten: Elite. vorstellen: Zu unschön sind die Konnotationen von Dünkel, Selbstsucht und Eitelkeit. So gesehen tut Julia Friedrichs recht, sich auf die „selbst Ernannten“ zu verlegen. Deren Denkungsart und Gebaren kommt in Sprüchen wie diesen bestens zur Geltung: „Bietet dir das Leben eine Zitrone, mach Limonade daraus.“ (32) Dies äußert ein Rhetorik­coach, der jungen Eliten zu sprechen beibringt.

In einem Punkt ist Widerspruch anzumelden. Julia Friedrichs bietet einen Ab­riss zur Geschichte des Begriffs ‚Elite’ (39ff), vom 18. Jahrhundert, als auf französischen Märkten Luxuswaren als ‚Elite’ deklariert werden, über soziologische Klassiker des 19. Jahrhunderts (Le Bon et alii) und den Faschismus zur deutschen Gegenwart, für die ein politisch gewolltes Revirement des Elitendiskurses unter Schröders Kanzlerschaft konstatiert wird. Gewiss hat die Autorin Recht zu behaupten, dass elitäres Denken im Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte verpönt war:

„Die Eliten hatten versagt. Angetrieben durch eine unmenschliche Ideologie und durch die Gier nach grenzenloser Macht, töteten sie Millionen von Menschen, vernichteten den Glauben an die Kraft der Zivilisation, machten es unmöglich, jemals wieder von Hirten, von Führern, von Auserwählten zu sprechen.“ (42)

Damit ist das Selbstbild der deutschen Nachkriegs­gesell­schaft treffend be­schrieben. Allerdings fehlt ein wichtiger Hinweis: Die Stabili­tät der natio­nal­sozialistischen Herrschaft beruhte vor allem auf ihren egalitären, anti-elitären Merkmalen. Die überkommenen Eliten aus Kaiser­zeit und Republik wurden teils verfolgt, teils in den neuen Staat mit einbe­zogen und dadurch still gestellt. Soziale Mobilität und allerlei Gefälligkeiten für Mittel- und Unterschicht sicherten den Fortbestand der „Volksgemeinschaft“ bis zum Schluss. Götz Aly (Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, 2005) hat diese Zusammenhänge eindringlich dargestellt. Wenn Nachkriegsdeutschland Weltkrieg und Holocaust Eliten zuschrieb, liegt Sündenbockdenken und bequeme Selbstexkulpation vor.

Ein Weiteres: Recht häufig vergleicht Julia Friedrichs den Lebensstil der öko­nomischen Eliten mit ihrem eigenen, uneitlen Dasein als freischaffende Journalistin, wohnhaft in einer Berliner WG. Im Sinne des Kontrasts ist diese Vorgehensweise zweifellos sinnvoll. Allerdings wird sie arg strapa­ziert, mit immer den gleichen Gesten und Floskeln. Bei aller Sympathie möchte der Leser scheu fragen, ob nicht zu viel des Guten getan wird; ob die Autorin nicht allzu bereitwillig die Rolle des Kannitverstan, des Außen­seiters und Underdog annimmt:

„Verwirrt laufe ich über das Schlossgelände. Ich sehe eine Studentin in einem Designerkostüm, die sich die auf dem Campus ausgestellten Sportwagenmodelle anschaut. Neben mir gehen ein paar Erstsemester, die den Rhetorikvortrag [siehe oben] extrem inspirierend fanden. „Und du?“, wollen sie wissen. Ich mag nichts mehr sagen. Hinter uns auf dem Parkplatz knallt es plötzlich. Ein Student, der das Taxi für die VIPs fährt, ist mit dem gemieteten Rolls-Royce gegen einen Stehtisch gefahren.“ (33)

Zugegeben – die selbst gewählte ‚Froschperspektive’ wird zuverlässig konterkariert durch nachdenklich-selbstbewusste Stellungnahmen Julia Friedrichs’ zur eigenen Lebensweise: Schlussendlich ist diese dem Lebens­stil der Eliten vorzuziehen.

Ein Letztes: Klärungen zum Begriff der Gerechtigkeit und zur Beschaffen­heit einer gerechten Gesellschaft, sind von Gestatten: Elite nicht zu er­warten. Julia Friedrichs scheint zu anzunehmen, Gerechtigkeit setze die gleich­mäßige Verteilung von Gütern voraus, unabhängig vom Leistungs­ver­mögen des Einzelnen. Man nennt dies ‚Sozialismus’. Die Diskussion, ob diese oder eine marktwirtschaftliche Ordnung vorzuziehen sei, führen andere Autoren, darunter John Rawls, Richard Rorty, Amartya Sen, Martha Nussbaum. Julia Friedrichs immerhin bietet reiches Anschauungs­material zu einem Teilaspekt des großen Themas, in vergnüglicher, aber sehr ernsthafter Form. Das ist nicht wenig.