Naher Osten: Palästinenser und Israelis brauchen Führer mit dem Mut zum Frieden. Und viele Dolmetscher der Versöhnung
Bischof Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber ist Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
von Wolfgang Huber
Für einige Stunden legte sich die Musik des West-Eastern
Divan Orchestra über die Detonationsgeräusche der Bomben und Raketen, die im
inneren Ohr noch nachhallten. In der Berliner Staatsoper spielte das Orchester
des Dirigenten Daniel Barenboim Beethovens Leonoren-Ouvertüre und seine 5.
Sinfonie. Seite an Seite ließen junge Palästinenser und Israelis, Syrer und
Ägypter, Libanesen und Tunesier die Sprache der Gewalt und der Waffen leiser
werden. Gemeinsam schufen sie einen Klangraum, einen Ort voller Harmonien, ein
„Labor der Verständigung“, wie es den Gründern des Orchesters, Daniel Barenboim
und Edward Said, vorschwebte.
Eigentlich plante das Orchester, im Jubiläumsjahr seines zehnjährigen Bestehens
in Katar und in Kairo zu spielen. Doch der Krieg im Gazastreifen durchkreuzte
diese Pläne. Trotzdem kamen die Musikerinnen und Musiker zusammen. Sie gaben
Konzerte in Berlin. Das zog die Menschen in den Bann – wegen der Musik und
wegen der Sehnsucht nach Frieden im Nahen Osten.
Menschen finden in der Musik zusammen und widersprechen dadurch dem Geist von
Hass und Zwietracht. Der Violinist Nabil Abbud Aschkar, ein in Israel geborener
Palästinenser, sagt unumwunden, worum es geht: „Es ist klar, dass wir nicht
tatenlos zusehen können, wie palästinensische Kinder getötet werden, aber auch
nicht, wie Raketen auf Sderot fallen. Ich könnte mich den ganzen Tag mit mir
selber streiten.“
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern reißt die Menschen innerlich
entzwei. Das Land, in welchem Jesus von Nazareth wanderte und das Evangelium
der Freiheit predigte, ist zerrissen durch Sperranlagen, Hass und
Perspektivlosigkeit.
Die Gewalt trifft die Zivilbevölkerung ganz besonders. Sie wird als Geisel
genommen, wenn die Hamas sich in Wohngebieten und Moscheen verschanzt. Israel
erklärt, Rücksicht zu üben, und nimmt doch den Tod von Kindern und Eltern in
Kauf. Jeder Waffengang lässt befürchten, dass eine weitere Radikalisierung der
Palästinenser bevorsteht. Und wie wird es in Israel nach den nächsten Wahlen
aussehen?
Alle Beteiligten müssen einsehen, dass militärische Aktionen allein keine
friedliche Zukunft eröffnen. Denn der abgrundtiefe Hass wird dadurch nicht
gebrochen. Israel und Palästina brauchen die Gewissheit, dass sie als zwei
Staaten friedlich zusammen leben können. Die Palästinenser haben eine Regierung
verdient, die ihre Interessen mit Weisheit vertritt. Die Waffenlieferungen des
Iran in den Gazastreifen müssen unterbunden werden. Vor allem anderen muss die
Hamas das Existenzrecht Israels anerkennen.
Palästinenser und Israelis brauchen verantwortliche Führer, die Mut zum Frieden
aufbringen. Und sie benötigen die Hilfe internationaler Partner. Nur gemeinsam
lässt sich der Weg zu Versöhnung und Frieden gehen. Gott hat kein Gefallen am
Tod der Menschen - weder von Israelis noch von Palästinensern. Zum
gegenseitigen Verständnis brauchen beide Seiten Dolmetscher und Interpreten aus
Politik, Kirche, Wirtschaft und Kultur. Sie alle können einen kleinen, aber
sehr wichtigen Beitrag zu Versöhnung und Verständigung leisten.
„Unser Vorhaben verändert vielleicht nicht die Welt, aber es ist ein Schritt
vorwärts“, sagt Daniel Barenboim. Aber auch das Umgekehrte gilt: Jeder Schritt,
der den Friedenswillen zum Klingen bringt, verändert die Welt. Würden doch mehr
Menschen auf die Musik des West-Eastern Divan Orchestra hören!
Der Abdruck erfolgt nach Absprache mit Prof. Dr. Wolfgang Huber und dem Magazin
chrismon (www.chrismon.de)