Michel Onfray, Die reine Freude am Sein, Wie man ohne Gott glücklich wird, Piper-Verlag, München 2008, 270 Seiten, Preis: 17,60 Euro
Kaum ein Jahr vergeht, in dem der Franzose Michel Onfray kein Buch auf den Markt wirft. Schon befürchtet man, daß der gesundheitlich angeschlagene Popularphilosoph schnell noch alles sagen will – und dies um jeden Preis. Der erklärte Anti-Metaphysiker und bekennende Hedonist füllt – zumindest in Frankreich – die Bücherregale mit seinen unzähligen Schriften. Onfray besorgt die Schlagzeilen, die der akademischen Philosophie immer fehlen.
Von einem anderen Anfang des philosophischen Denkens spricht er gern und plädiert für eine leib-geistige Einheit, die ihre Ursprünge in den elementaren Befriedigungen körperlicher Grundbedürfnisse habe. Eine ganze Ästhetik des Essens, ein Ratgeber für den ästhetischen Geschmack wird da entworfen, ein kulinarischer Wegweiser in die abendländische Geschichte. Bücher mit Titeln wie: Der sinnliche Philosoph, Philosophie der Ekstase, Die genießerische Vernunft, Der Bauch des Philosophen sind Besteller geworden. Geradezu gebetsmühlenhaft wird immer wieder gegen die Askese und gegen die radikale Leibfeindlichkeit gewettert. Doch immer wird klar: So sehr der große Nietzsche bei Onfray immer im Hintergrund seine Bahnen zieht, die Trefflichkeit, die Ironie und die beißende Satire des aus dem sächsischen Röcken stammenden Philosophen erreicht er nie. Onfray poltert, gerade in seinen Exkursen zu Diogenes, Rousseau, Kant, Fourier, Marinetti und Sartre, durch die ganze Philosophiegeschichte, die letztendlich auf den wohl wahren Feuerbachschen Satz „Der Mensch ist, was er ißt“ zuläuft, für dessen Relevanz es aber keiner philosophischen Rechtfertigung bedarf.
Bei Onfray findet sich alles, was philosophisch literarisch zu verwerten ist. Ist es dort Diogenes in der Tonne, ist es hier Batailles Lehre der Verschwendung, die für eine Theorie des verliebten Körpers Pate steht, womit für eine solare Erotik geworben werden soll. Wenn man dem poststrukturalistischen Denken den Vorwurf machen kann, daß es statt Verständlichkeit Unverständlichkeit erzeugt, daß sich das Denken zerfasert und nur noch als bruchstückhafte Kost zu genießen ist – dann kann man Onfray in diese Tradition getrost stellen. Wenn aber die Arbeit der Postmoderne dann zu würdigen ist, wenn sie wie im Fall von Deleuze mit Begriffen wie Immanenz und Ereignis arbeitet, und diesen Termini auch philosophischen Background verschafft, indem sie sich am Begriff abmüht, Begriffe schafft, und die unerschöpfliche Arbeit am Begriff als würdige Aufgabe der Philosophie begreift, dann ist Onfray kein Begriffsschöpfer und nicht in diese Tradition zu stellen, was sich gerade dann zeigt, wenn man seinen inflationären Gebrauch philosophischer Termini betrachtet – ein Blick in Die Formen der Zeit, Theorie des Sauternes genügt, um derlei Sophistereien zu erkennen.
Wer en vogue sein will, und Onfray will es, der muß natürlich den lieben Gott destruieren. Sein anti-religiöses Plädoyer Wir brauchen keinen Gott ließ dann nicht lange auf sich warten. Auch hier wird hartnäckig die Vernunft attackiert, die Atheologie als einzig selig machende Alternative zum Glaubenswahn angeboten, da nur dieser es gelingt, aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit und aus der das Leben negierenden Transzendenz herauszukommen. Was dabei gegen die ganze abendländische Philosophie und Theologie aufgefahren wird, ist eine Physik der Metaphysik, eine „wirklichkeitsnahe Theorie der Immanenz“ und eine „materialistische Ontologie“. Solange der Monotheismus nicht besiegt ist, nicht etwa verdrängt, sondern vergessen wird, so lange muß der Hedonismus von Onfray noch seiner Ankunft harren. Was nun aber unter diesem neuen und glücksverheißenden Zeitalter näherhin zu verstehen ist, darüber erfährt man leider nichts. Statt dessen erfährt man viel über die französischen Materialisten, über den Terror in der Welt und ein längst in den Schubladen der Wissenschaft verstaubtes Paulusbild. Wie eine aufgebrachte Furie rast Onfray durch die Geschichte des Christentums, verzerrt das Geschichtsbild und schreibt gegen alles und jeden in einer schon fast bizarren Form des Ressentiments.
Nun sollte man im Zeitalter der Nachaufklärung meinen, auch eine kritische Bibelexegese und eine reflexiv untermauerte Geschichte der abendländischen Religionen mitgeliefert zu bekommen. Doch das Gegenteil ist der Fall, wenn man Onfrays Auseinandersetzung mit dem Christentum betrachtet, denn der Blick auf dieses bleibt in einer merkwürdigen und fast grotesken Schieflage. Außer dem ewigen Kritisieren an der christlichen Ethik des Abendlandes, an der Askese und an der Transzendenz hat Onfray nichts zu bieten. Anstatt endlich darüber informiert zu werden, wie ein nachchristliches Zeitalter denn nun aussehen soll und was sich konkret unter einem postchristlichen Laizismus denken läßt, bleibt unbestimmt. Mit seiner Religionskritik kommt er aus dem Bannkreis Nietzsches und der Aufklärung nicht heraus, da hilft auch die vielbeschworene Rede nichts, daß die Philosophie, wie in seiner neuesten Publikation – Die reine Freude am Sein, Wie man ohne Gott glücklich wird –, utilitaristischer und pragmatischer werden muß.
Auch hier wiederholt sich die ewige Anklage gegen das Christentum, auch hier fordert Onfray, „die Mythen und Fabeln zu zerpflücken, um diese Welt hier bewohnbar und wünschenswert zu machen; Götter und Ängste, existentielle Furcht und Befürchtungen auf die Verkettung materieller Kausalitäten zurückführen; den Tod hier und jetzt mit einer aktiven Therapie zähmen, ohne dazu aufzufordern, schon zu Lebzeiten zu sterben, damit man leichter fortgeht, wenn der Augenblick gekommen ist; zusammen mit der Welt und mit den Menschen brauchbare Lösungen erarbeiten; anstelle von erhabenen, aber unbewohnbaren begrifflichen Konstrukten lieber bescheidene philosophische Aussagen machen, die nützlich sind; sich weigern, Schmerz und Leid zu Wegen zur Erkenntnis und zur persönlichen Erlösung zu machen; sich der Lust, dem Glück, dem Gemeinwohl, der Freude verschreiben; sich mit dem Körper einrichten und nicht fordern, ihn zu verachten; Leidenschaften und Triebe, Begierden und Emotionen zähmen und nicht brutal aus sich verbannen. Das Anliegen des epikureischen Projekts? Die reine Freude am Sein [...]. Das Projekt ist nach wie vor aktuell.“ Daß dieses „Projekt“ nach wie vor aktuell ist, steht außer Frage, jedoch wie Onfray dieses aufarbeitet in Frage.
Kurzum: Onfray tritt nach wie vor zu einem Schlagabtausch mit der idealistischen Philosophie an, was aus heutiger Sicht nicht verwerflich ist. Nur: Mit seinem hedonistischen „System“, das sich als Sammelsurium aller möglichen Philosophen-Zitate liest, als aufgeschwemmtes und zusammengeschobenes Wissen, mag man sich auch nicht anfreunden. Nachhaltig plädiert Onfray für die „Entchristianisierung“, für eine „herrschaftsfreie Libido“, für die „sinnliche Gastfreundschaft“ und für eine „körperliche Vernunft“. Mögen auch die Themen anspruchsvoll klingen, sie verklingen auch wieder, wenn man das Buch zugeschlagen hat. Immer wieder singt er den alten Refrain eines Klageliedes, immer wieder nur der Kampf mit den alten Mühlen des Glaubens. So läßt sich das zwischen zwei Klappentexte Geschriebene auf die Maxime von Nicolas-Sébastien de Chamfort, und Onfray tut dies selbst, zurückführen: „Freude dich und mache anderen Freude, ohne dir selbst oder anderen Leid zuzufügen, das ist schon die ganze Moral.“ Onfray könnte das Leid minimieren, wenn er endlich auf das populärphilosophische Geschwätz und auf seine unendliche Selbststilisierung verzichten würde.