Petreu, Marta: An Infamous Past. E. M. Cioran and the Rise of Fascism in Romania. Chicago 2005. ISBN: 1566636078;
Stölzel, Thomas: Ein Säulenheiliger ohne Säule. Begegnungen mit E. M. Cioran. Graz 1998. ISBN: 385420485X;
Thoma, Friedgard: Um nichts in der Welt. Eine Liebe von Cioran. Bonn 2001. ISBN: 3931135608.
Am 20. Juni 1995 ist E. M. Cioran, der eminente Pessimist und Meister kaustischen Humors, zugleich – nächst Wittgenstein – der größte Stilist unter den Denkern des 20. Jahrhunderts, in seiner Wahlheimat Paris verstorben. Nach einem Jahrzehnt sehen wir uns einer ‚paradoxen’ Rezeptionslage gegenüber: In der akademischen Welt wird Cioran schlicht ignoriert. Montaigne, Vico, Friedrich Schlegel, Nietzsche, Heidegger, die Existenzialisten, Strukturalisten und Poststrukturalisten, auch reaktionäre Exzentriker von Gómez Dávilas Zuschnitt, all jene ‚Häretiker’ der Philosophie, die sich akademischer Äußerungsformen rundweg entschlagen, erfreuen sich höchster Wertschätzung, zumindest in Teilen der akademischen Öffentlichkeit – wenn nicht in philosophischen Milieus, so wenigstens in der Literaturwissenschaft. Cioran dagegen wird kaum beachtet – obschon er nach Klarheit und Genauigkeit des Ausdrucks so manchem der Genannten deutlich überlegen ist. Dass es Cioran an der gewünschten politischen Korrektheit gebricht – es taugt nicht als Erklärungsgrund, angesichts Heideggers oder Gómez Dávilas’ rechten Affinitäten. Dass Cioran den Aphorismus präferiert, nicht so sehr den Essai, am allerwenigsten den zünftigen Traktat – angesichts Schlegels und Nietzsches kann es kaum irritieren. Sollten die Ausfälle gegen akademisches Philosophieren, gegen die Institution ‚Wissenschaft’ den Ausschlag gegen? Wohl kaum. Selbstkritik, ja Selbstverachtung ist spätestens seit Nietzsche Gemeingut unter Philosophen. Kurzum: Die Ignoranz gegen E. M. Cioran ist kaum begreiflich zu machen. Freilich – dies ist die andere Seite besagter ‚Paradoxie’: Die literarische Öffentlichkeit zeigt sich durchaus interessiert. Nie kam Cioran mehr Aufmerksamkeit zu. Franz Schuh und Ilse Aichinger sind bemüht, seinen Ruhm im deutschen Sprachraum zu mehren. Vor allem aber sind zahlreiche Bücher über den „Säulenheiligen ohne Säule“ erschienen. Zum einen Erfahrungsberichte von solchen Autoren, die ihn persönlich kennen lernen durften. Zum andern regelrechte Biographien.
An erster Stelle ist Marta Petreus An Infamous Past zu nennen, 1999 auf Rumänisch erschienen, 2005 in englischer Übersetzung bei Ivan R. Dee in Chicago. Marta Petreu widmet sich den dreißiger und vierziger Jahren. Der Untertitel lautet demgemäß: E. M. Cioran and the Rise of Fascism in Romania. Nun geht es nicht allein um den rumänischen Faschismus der Eisernen Garde, jenes bizarre Gemisch aus christlichem, hysterisch nationalistischem und genuin faschistischem Gedankengut. (Beinahe alle jungen rumänischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit, neben Cioran auch Mircea Eliade, sind ihm verfallen – mit der rühmlichen Ausnahme Eugène Ionescos.) Es geht durchaus auch um den deutschen Faschismus. Marta Petreu rekonstruiert im Detail E. M. Ciorans Verstrickung in den Nationalsozialismus: Als Humboldt-Stipendiat gelangt er im Herbst 1933 nach Berlin, später nach München – um Philosophie zu studieren, so die ‚offizielle’ Version. Tatsächlich ist er längst nicht mehr an akademischem Philosophieren interessiert. (Mit Gusto sollte Cioran in späteren Jahren berichten, er habe ein Stipendium für Paris dazu verwandt, Frankreich mit dem Fahrrad zu erkunden.) Weit faszinierender scheint Cioran das politische Geschehen. Seine jugendliche Begeisterung speziell für die Person Hitlers ist in diversen Beiträgen für rumänische Zeitschriften dokumentiert. Den sog. Röhm-Putsch des Jahres 1934 (als „Nacht der langen Messer“ bekannt), jenes von Hitler veranlasste Massaker, dem die gesamte SA-Führung zum Opfer fällt, wird Cioran – zur Verblüffung seiner Redakteure – nachdrücklich rechtfertigen: Wo eine Nation sich im Aufbruch findet, ist auf den einzelnen keine Rücksicht zu nehmen. Ähnliches schwebt Cioran für Rumänien vor: Schimbarea la faţă a României (The Transfiguration of Romania, d.h.: ‚Rumäniens Verwandlung’), sein ‚magnum opus’ der dreißiger Jahre, redet dem ‚Großen Sprung nach vorn’ das Wort. Aus dem Agrarzeitalter soll Rumänien in die urbane, industrielle Welt versetzt werden. Das kann einzig, so Cioran, durch rohe Gewalt geschehen, in einer ‚Entwicklungsdiktatur’. Corneliu Codreanus Eiserne Garde scheint prädestiniert, dieses Amt zu exekutieren.
Ein dogmatischer Faschist – ob im Sinne Codreanus oder der Nazis – ist Cioran allerdings niemals gewesen. Marta Petreu weist detailliert nach, welche Beweggründe seine Abirrung motivieren. Da ist zunächst der Minderwertigkeitskomplex des „Balkanesen“. Alle politischen Extravaganzen scheinen gerechtfertigt, sofern sie zur Modernisierung des Landes beitragen. Zum andern ist eine hysterische Empfänglichkeit für alle Erscheinungsformen (vermeintlicher) politischer ‚Größe’ zu konstatieren. Es ist eine einzige Eigenschaft Hitlers, die Ciorans Aufmerksamkeit weckt: Des „Führers“ Fähigkeit, die Massen in den Bann zu schlagen, ein ganzes Volk (dem Anschein nach) auf ein Ziel auszurichten. (Deswegen kann Cioran sagen, ob eine „Bewegung“ rechts oder links stehe, sei ihm im Grunde egal. Auch Mao hätte seine Zustimmung gefunden.) Auch hier gilt: Allfällige ‚Opfer’ der nationalen Erhebung sind ohne Zögern in Kauf zu nehmen. Cioran sucht eine Intensität kollektiver Erfahrung, die ihm weder die westlichen Demokratien noch das verachtete Rumänien zu bieten vermögen. Dies vor allem erklärt seine Faszination durch den Faschismus.
Jenseits moralischer Bewertungen stellt sich dem Leser eine Frage (ganz ähnlich wie im Falle Eliades oder Heideggers): Sind Ciorans kanonische Schriften der Nachkriegsjahrzehnte faschistisch infekt? Inhalieren wir bei der Lektüre rechtes Gedankengut, wenngleich nur in ‚Spuren’? Dass Cioran sich nach dem Kriege – jedenfalls öffentlich – der Auseinandersetzung mit jenen Jahren verweigert, macht es nicht leichter. (Seine Einstellung gegen ‚Juden’ hat er noch während des Krieges, privatim, korrigiert.) Faschistische Ideen werden wir beim reifen Cioran durchaus nicht finden – so viel scheint sicher –, wohl aber solche Haltungen, die eine Hinwendung zum Faschismus begünstigen, ohne an sich bereits ‚inkriminierbar’ zu sein: Die Verachtung fürs politische Tagesgeschäft und bürgerliche Institutionen; umgekehrt die Bewunderung fürs Radikale, Rückhaltlose, Unbedingte, selbst fürs Barbarische – in der Philosophie und im Leben; die tiefe Selbstverachtung des Rumänen; die Neigung zu krudem, kulturpessimistischem Geschichtsdenken aus Schopenhauers, Nietzsches und Spenglers Geist; nicht zuletzt ist Ciorans Ästhetizismus zu nennen, der Kult der Form, dem Inhalte austauschbar scheinen. Wache Leser werden diese Ingredienzien von je mit Vorsicht genossen haben. Marta Petreu lehrt uns, wie wesentlich solche Wachsamkeit ist.
Neben aufklärerischen Interventionen wie Marta Petreus An Infamous Past nehmen sich Erfahrungsberichte von Freunden und Bekannten aus Ciorans Spätzeit einigermaßen harmlos aus. Friedgard Thomas, der letzten ‚unsterblichen Geliebten’ des Meisters, Erinnerungsbüchlein: Um nichts in der Welt. Eine Liebe von Cioran (Bonn 2001), nimmt sich selbstverliebt-eitel aus. (Das Presseecho war, zu Recht, überaus kritisch.) Anders präsentieren sich Thomas Stölzels Cioran-Reminiszenzen: Ein Säulenheiliger ohne Säule. Begegnungen mit E. M. Cioran (Graz 1998). Stölzel war es durch Zufall vergönnt, den greisen Cioran kennen zu lernen. Sein Erlebnisbericht ist ein Meisterstück präziser Charakterisierungskunst. Vor allem aber ist Stölzel Cioran auch geistig gewachsen. Seine Ausführungen sind von weit reichendem Einverständnis, durchaus von Sympathie getragen. Dennoch bringt er wohlabgewogene, durchdachte Kritik an. Ihm ist eine der klügsten Entgegnungen auf E. M. Cioran gelungen, fern aller Polemik und aller Apologie. Wer eine kluge, fein differenzierende Hinführung zur Person und zum Werk des unerreichten Meisters luziden Ausdrucks begehrt, der möge Stölzels Säulenheiligen konsultieren.