Was hat die moderne Quantenphysik mit der Rückkehr der Menschen ins biblische Paradies und alt-chinesischer Philosophie zu tun? Nicht viel, wird jeder denken, der das Buch Elihu von Wolfgang Wallner F. nicht kennt. Doch nach der Lektüre dieses spannenden und zugleich sehr philosophischen Werkes wird der Leser erkennen, dass es zwischen diesen einander scheinbar unendlich fremden Gedankenwelten eine zugrunde liegende Gemeinsamkeit gibt: die Suche nach der Einheit des Kosmos, die gleichzeitig die Suche nach Gott ist und die Einsicht in das Tao, der Alleinheit der klassisch-chinesischen Philosophie des Laotze.
Ausgangspunkt des Buches ist der Fund einiger alter Floppy-Disks auf einer Müllkippe. Obwohl sie nicht alle lesbar sind, finden sich auf den noch funktionierenden Disketten Fragmente eines Tagebuches, „hinterlassene Aufzeichnungen aus der Ewigkeit“. In diesen Fragmenten wird die Geschichte des Paares Martin und Jemima erzählt, die aber nur eine Art Rahmen bildet für die weitergehende Erzählung von der Suche nach dem „Einen“ und dem Sinn der menschlichen Existenz, welche die Menschheit seit Anbeginn fesselt und auch niemals loslassen wird.
Martin erleidet einen schweren Autounfall und fällt in ein tiefes Koma. Doch während sein Körper nur mit Hilfe von Maschinen am Leben erhalten werden kann, tritt sein Bewusstsein in Kontakt mit der göttlichen Alleinheit und verwandelt sich in Elihu. Als Elihu erlebt er Szenen aus dem Leben vergangener und noch kommender Inkarnationen seiner selbst und beschreitet verschiedene Pfade auf der Suche nach Gott oder dem „Einen“ und der damit immer verbundenen Suche nach Sinn. Aber nicht alle Pfade führen zum Ziel, sondern im Gegenteil zu mehr Entfremdung des Menschen von seiner Natur, sei es durch eine Pervertierung der Methoden der Sinnsuche oder durch ein Ersetzen der Suche durch die Befriedigung vergänglicher Konsumwünsche.
Der biblische Name Elihu bedeutet „ER ist mein Gott“ und taucht auf in der Geschichte des Hiob. Der Elihu des Buches von Wolfgang Wallner F. ist jedoch weit mehr als der Elihu des Alten Testamentes. Vielmehr steht er für die Inkarnation des „Einen“ als Mensch. Er ist das göttliche Bewusstsein, das zugleich Einheit und Einzelheit darstellen soll. Dieser Elihu ist auch Metapher dafür, dass jeder Mensch als ein Teil des Ganzen auch Anteil an der Gesamtheit hat, denn „jeder Teil spiegelt das Ganze“.
Die Gedanken dieses Buches erscheinen tief und vielschichtig. Sie schlagen einen Bogen von der taoistischen Philosophie des antiken China über das alte und neue Testament, den mittelalterlichen Mystizismus Meister Eckardts bis hin zur Psychoanalytik des Carl Gustav Jung und sogar zur zeitgenössischen Theorie der Quantenphysik. Dieser bunte Mix in Verbindung mit dem fragmentarischen und teils aphoristischen Stil der Erzählung(en), der den Leser immer wieder zwischen den verschiedensten Ebenen hin und her springen lässt, macht es zuweilen schwierig, den roten Faden zu erkennen und kann den Leser sogar ganz verwirren. Die verschiedenen philosophischen Annäherungen an die Suche nach der Einheit oder nach Gott enthalten an einigen Stellen auch Spekulationen, die den kritischen Leser womöglich eine zu starke Nähe zur zeitgenössischen Esoterikmode vermuten lassen. Dieser Eindruck wird auch dadurch noch verschärft, dass der Autor immer nur Versatzstücke der jeweiligen philosophischen oder wissenschaftlichen Denkrichtung in sein Werk einarbeitet, die in seinen Augen ein Indiz für die Suche nach dem „Einen“ darstellen, während insbesondere die Ergebnisse und die Programmatik der modernen Naturforschung die diesem Ziel widersprechen nicht mit in die Reflexion darüber einfließen.
Diese Unzulänglichkeit wird aber zum Teil dadurch relativiert, das es gar nicht dass Ziel des Autors ist, eine wissenschaftlich fundierte, abstrakte Reflexion des Themas zu geben. Es ist ebenfalls nicht seine, dem Leser eine Anleitung für die eigene Sinnsuche an die Hand zu geben oder gar nach Art der Esoterik einen bestimmten Sinn zu postulieren. Die Stärke und der Wert dieses Buches liegt vielmehr darin, sich aus verschiedenen Richtungen und Epochen des menschlichen Denkens an ein uraltes Thema anzunähern und den Leser somit zum Innehalten und Nachdenken über die eigene Weltanschauung anzuregen. Dies geschieht in einer literarisch-lyrischen Form, die den Leser mitnimmt auf eine spannende und interessante Reise, die auch kritische Geister bereichern kann.