Die Geschichte der Wissenschaften wimmelt von Fehlern und Irrtümern - das wird niemand bestreiten können. Sie reichen in der Philosophie von Platons ‘Topos hyperouranios‘ - zumindest soweit er auch Gattungsbegriffe in sein Ideenreich mit aufnimmt bis zu Kants ‘transzendentalen Bewußtsein‘, das erst soviel später richtig gedeutet wurde, von der Forderung bei Aristoteles, alle Bewegungen von Himmelskörpern müssten kreisförmig sein, um ‘vollkommen‘ zu sein - eine Forderung, an der noch Kopernikus gescheitert ist -‚ bis zu Leibnizens ‘Monaden‘ oder von Nicolaus von Kues ‘coincidentia oppositorum‘, die schon bei Plotin sich ankündigt und die so intensiv bis über Kant, Fichte, Schelling und Hegel bis zu Heideggers ‘Nichts‘ nachgewirkt hat.
Merkwürdig ist aber, daß gerade solche Irrtümer sich oft besonders fördernd und fruchtbar ausgewirkt haben. Die Wissenschaft geht ja stets den Gründen der vertretenen Meinungen nach und unterscheidet sich dadurch von allen außerwissenschaftlichen Erkenntnisversuchen. Darauf beruht ihre immer wieder bewährte Stärke: sie kann aus eigener Kraft Irrtümer als fehlerhaft erweisen und sie dadurch überwinden. Wie das von Fall zu Fall geschehen ist und wie gerade dadurch neue Kräfte entwickelt und neue Erkenntnisse gewonnen worden sind, das gibt der Geschichte der Wissenschaften und besonders auch der der Philosophie ihren dramatischen Reiz.
Zu diesen Irrtümern gehört nun, wie wir dartun wollen, auch Nietzsches Lehre von der ‘ewigen Wiederkehr des Gleichen‘, und hier trifft auch besonders deutlich zu, wie fruchtbar dieser Gedanke für sein ganzes weiteres Denken geworden ist. Es ist ja kein schlechtes Zeichen für Nietzsche, daß er immer wieder der Kritik aus- gesetzt war, daß er, wie Heidegger gesagt hat, “entweder belobigt und nachgeahmt oder beschimpft und ausgebeutet wurde“, was auch eben wieder Alexander Widner in seinem Stück “Nietzsche oder das deutsche Elend“, das gerade in Weimar uraufgeführt wurde, nahegelegt hat. Daran ist Nietzsche freilich nicht ganz unschuldig: seine Neigung zu Übersteigerungen in pathetischen Formulierungen hat ja auch den “Willen zur Macht“, der, richtig verstanden, eine so wesentliche Grundansicht enthält, zu soviel ablehnender Kritik herausgefordert. Da ich ihm in der zweiten meiner beiden ‘Traumreisen‘ selbst begegnet bin,i wage ich das mit der Sicherheit dessen, der ‘geträumt‘ hat, zu behaupten.
Im übrigen stammen ja manche der Grundgedanken Nietzsches gar nicht von ihm selbst - er hat sie nur neu entdeckt und fruchtbar gemacht. So ist etwa der polare Gegensatz von ‘apollinisch‘ und ‘dionysisch‘ bereits bei Schelling in seiner vollen Auswirkung zu finden, und auch der Gedanke der ‘ewigen Wiederkehr‘, eines in allen Einzelheiten gleichen Weltzustandes ist bereits uralt: Er findet sich schon bei Heraklit, dem ‘Dunklen‘, unter seinen vielen geheimnisvollen Gedanken, also um 500 v.d.Z., und er gibt auch Gründe an: ein großes ‘Jahr‘ ist abgelaufen, wenn alle Planeten wieder an ihren Platz zurückgekehrt sind, also wohl wenn sie wieder die gleiche Stellung zueinander haben. Wie lange das dauert, sagt er freilich nicht, und er läßt auch offen, wie genau diese Übereinstimmung in der gegenseitigen Lage sein muß - ihm hat ja wohl nur eine recht grobe Übereinstimmung vorgeschwebt, denn genauere Positionsbestimmungen gab es nicht.
Es ist also nun nicht schwer, seine Begründung für die Existenz eines ‘großen Jahres‘ als falsch zu erweisen: er setzt ja offenbar voraus, daß alles in der Welt von der Stellung der Planeten bestimmt wird. Selbst wenn diese aber eine mehr oder weniger gleiche Stellung wieder erreichen - der Jupiter überholt z.B.
den Saturn alle 20 Jahre und kommt mit ihm alle 60 Jahre wieder an den gleichen Ort -‚ läuft ja die übrige Welt unentwegt weiter. Die ‘große Konjunktion‘ von Jupiter und Saturn mit dreimaliger Begegnung im Sternbild der Fische, die der Legende nach die drei Weisen aus dem Morgenlande zum Aufbruch nach Bethlehem veranlaßt hat, hat sich vor 50 Jahren fast genau wiederholt, so daß wir sie Z.B. im Planetarium einfach anstelle der alten vorführen konnten - aber der Wettlauf ging mit immer neuen, oft sehr schlimmen Geschehnissen weiter. Der Grund, den Heraklit angibt, ist also nicht tragfähig für seine kühne Lehre.
Und wie steht es nun mit Nietzsche ? Er hat Heraklits Lehre zweifellos gekannt; er hat ihn ja auch sonst als den Philosophen ständigen Wechsels und Werdens verehrt, und wie dieser hat auch er die bloße ‘doxa‘, wie sie der gewöhnliche Mensch ohne weiteres Nachdenken, ohne Besinnung auf den ‘logos‘, der doch allen innewohnt, vertritt, als unzureichend abgelehnt Die gewöhnlichen Menschen vergleicht Heraklit mit den Schlafenden, und da ist es nun die Aufgabe des Philosophen, sie aufzuwecken.ii Das hat auf seine Weise Heraklit versucht, und auch Nietzsche hat seine Aufgabe darin gesehen, mit allen Mitteln, auch poetischer Übersteigerung, die herrschenden Fehlmeinungen zu überwinden - durch eine ‘Umwertung aller Werte‘ Das gilt nun auch für die Lehre von der ‘Wiederkehr‘ Er verkündigt sie ja höchst geheimnisvoll - nicht als seine eigene Entdeckung und Meinung, sondern als eine verborgene Weisheit, die ihm seine Tiere im ‘Zarathustra‘ unter der Überschrift ‘Der Genesende‘ verraten er soll sie verkünden und sie als sein großes Schicksal tragen, ‘das noch keines Menschen Schicksal war! Denn deine Tiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden muß: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -‚ das ist nun dein Schicksal!‘. Ganz ohne Gründe trägt er sie freilich doch nicht vor: er hatte über das ‘Gesetz von der Erhaltung der Energie‘ gehört, und obwohl er sonst naturwissenschaftlichem Denken nicht besonders geneigt war, findet sich im Nachlaß von 1888 eine Begründung, wenn auch in hypothetischer Fassung: “Wenn die Welt als bestimmte Größe von Kraft und als bestimmte Zahl von Kraftzentren gedacht werden darf -. und jede andere Vorstellung bleibt unbestimmt und folglich unbrauchbar -, so folgt daraus, daß sie eine berechenbare Zahl von Kombinationen im großen Würfelspiel ihres Daseins durchzumachen hat. In einer unendlichen Zeit würde jede mögliche Kombination irgendwann einmal erreicht sein; mehr noch, sie würde unendliche Male erreicht sein. Und da zwischen jeder ‚Kombination’ und ihrer nächsten ‚Wiederkehr’ alle überhaupt noch möglichen möglichen Kombinationen abgelaufen sein müßten und jede dieser möglichen Kombinationen die ganze Folge der Kombinationen in der selben Reihe bedingt, so wäre damit ein Kreislauf von absolut identischen Reihen bewiesen: die Welt als Kreislauf, der sich unendlich oft bereits wiederholt hat und der sein Spiel in infinitum spielt‘.
Wir verstehen, daß ihn das bestochen hat; aber auch wenn man statt ‘absolut identisch‘ richtig ‘völlig gleich‘ setzt, bleibt diese Begründung falsch, weil die Voraussetzung falsch ist: unsere Welt besteht eben nicht aus einer bestimmten “Zahl von Kraftzentren“ und läuft damit auch nicht in einer endlichen Zahl von Kombinationen ab, Und wenn auch Ben Akiba meint, es sei alles “schon dagewesen“, so gilt da nur für ähnliche oder mehr oder weniger gleiche Situationen und Geschehnisse, die Zeit, dieses große Rätsel unseres Daseins, läuft immer weiter, und in ihr geschieht immer alles neu, auch wenn es uns manchmal vertraut und bekannt vorkommt.
Für Nietzsche hat diese Auffassung nun freilich noch eine weitreichende Bedeutung: wenn alles wiederkehrt, wenn also dieser jetzige Augenblick genauso ewig wieder eintritt, dann muß ich ihm besonderes Gewicht beilegen und ihn richtig verwerten - soweit ich kann, denn ich wiederhole ja nur, was nur unendlich oft abgelaufen ist. Er folgert daraus eine neue Tugend. Diese Tugend folgt für ihn aus dem ‘Willen zum Selbst‘, wofür man wohl angemessener sagen muß: aus dem “Willen zur Vollendung des Ich“ - womit ich noch einmal an mein erwähntes Buch anknüpfe. Der ‘Augenblick‘ ist dabei nicht entscheidend, weil er “ewig wiederkehrt“, sondern gerade weil er nie wiederkehrt was du von der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück, wie Schiller wußte. Wir müssen sie stets jetzt nutzen!
Es wird aber dadurch deutlich, warum diese Lehre für Nietzsche von so großer Bedeutung war: sie gab seinen Forderungen, nachdem er bisherige Begründungen als haltlos abgelehnt hatte, eine neue Grundlage. Es zeigt sich dabei noch einmal: auch Irrtümer können fruchtbar sein. Sie werden es aber uni so mehr, wenn sie entlarvt werden und der richtige Grund gefunden wird. Es bleibt seltsam, daß man immer wieder diese Lehre ernst genommen hat, statt sie rundweg als - ‘Unfug‘ abzulehnen. Man darf nur nicht etwa die für Nietzsches so gewichtigen Folgerungen daraus mitablehnen: sie werden um so mehr wirksam, wenn sie richtig begründet werden. Und da hat ja wohl die Philosophie nach wie vor eine wesentliche Aufgabe.
i In meinem Buch ‚... bis über die letzte Schwelle’ - Berichte über zwei Traumreisen in philosophische Gefilde. Stuttgart, Radius-Verlag, 1992.
ii Vgl. Volker Gerhardt: Friedrich Nietzsche. Verlag C.H. Beck, München 1992.