Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleib' im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben. Goethe: West-östlicher Divan, Buch des Unmuts
Die Frage "Was ist Seele?" ist in der Geschichte des abendländischen Denkens dreimal beantwortet worden, in der Antike von der griechischen Philosophie, im Mittelalter von der christlichen Kirche und schließlich in der Neuzeit von der modernen Naturwissenschaft; jedesmal war die Antwort auf diese Frage scheinbar endgültig, und jedesmal war sie eine fundamental andere. Die unentschiedene Beantwortung dieser Frage ist ein Indiz für die Krise, in die das abendländische Denken geraten ist. Diese Krise des abendländischen Denkens muß als die eigentliche Ursache für die existentielle Krise der abendländischen Zivilisation angesehen werden.
Eine der drei wesentlichen Wurzeln des abendländischen Denkens ist die griechische Philosophie. Sie begann im 6. Jahrhundert v. Chr. mit der ionischen Naturphilosophie, die von einer Allbeseelung aller Dinge ausging, und erreichte zwei vorläufige Höhepunkte in Demokrit (460 - 370 v. Chr.) und Platon (427 - 347 v. Chr.), den Begründern der materialistischen bzw. idealistischen Tradition in der Philosophie. Nach Demokrit entstehen und vergehen die Einzeldinge durch Vereinigung und Trennung der Atome, die als ewig und unzerstörbar angenommen werden. Die Atomistik wurde von Demokrit nicht nur auf das Unbelebte beschränkt sondern auch auf das organisches Leben, auf die Seele und das Denken angewandt. Die das Denken hervorrufenden Atome werden als besonders rund und glatt und daher als besonders beweglich angenommen. Im Gegensatz zu den Materialisten ging Platon vom Primat der "Idee" aus; danach besteht das Wesen der Welt in unveränderlichen Ideen, die unabhängig von und vor den materiellen Dingen existieren. Die Ideen können nicht mit Hilfe der Sinne, sondern nur durch Rückerinnerung (Anamnese) erkannt werden. Nach Platon existiert die Seele bereits vor dem Eingehen in den Körper im Reich der Ideen und kehrt nach dem Absterben des Körpers wieder in dieses Reich zurück.
Die griechische Philosophie erreichte ihren Gipfel mit Aristoteles (384 - 322 v. Chr.), dem Schöpfer des universellsten philosophischen Systems der Antike, eines Systems, das sowohl materialistische als auch idealistische Elemente enthält. Beim Versuch, das "Wesen" der Dinge zu erkennen und zu beschreiben, gelangte Aristoteles zum Bild einer Stufenleiter, deren niedrigste Stufe die unbelebte Natur darstellt, und deren höhere Stufen die belebten Dinge versinnbildlichen. Als Ausgangspunkt für die Klassifikation der Lebewesen diente Aristoteles die Überlegung, daß die Form dieser Wesen die Seele sein müsse; "Seele besitzen" ist danach nur ein anderer Ausdruck für "leben". Nun bedeutet aber "Seele besitzen" nicht dasselbe für eine Pflanze, ein Tier und einen Menschen. Pflanzen scheinen weniger beseelt zu sein als Tiere und jene wiederum weniger als Menschen. Pflanzen, die ja nur vegetieren, haben nach Aristoteles eine vegetative Seele, die Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung steuert, bei den Tieren kommt eine animale Seele hinzu, die zusätzlich die Wahrnehmung und die Empfindung bewirkt und dadurch das Tier über das Pflanzliche hinaushebt. Beim Menschen kommt schließlich zur vegetitiven und animalen Seele die Geistseele hinzu, die ihn vom Tier unterscheidet und zu dem macht, was er ist. Die Dreiteilung der Seele hat somit ihre Entsprechung in den drei Seinsstufen des Lebendigen, repräsentiert durch das Geschlecht der Pflanzen (hier wären auch primitive, einzellige Lebewesen einzuordnen, die Aristoteles noch nicht kannte), das Geschlecht der Tiere und das Menschengeschlecht.
Von besonderer Wichtigkeit ist es, wie Aristoteles das Verhältnis zwischen Körper und Seele gesehen hat. Am Anfang des zweiten Buchs "Über die Seele" (De anima II. 414a), wo Aristoteles das Prinzip der Seele einführt, heißt es: "die Seele gibt es weder ohne Körper noch ist sie ihrerseits Körper" und dann: "sie (die Seele) ist zwar nicht Körper, wohl aber etwas an einem Körper". Hier wird ganz deutlich herausgestellt, daß einerseits ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Seele und Körper vorhanden ist (Seele ist nicht Körper), als auch andererseits eine unlösbare Gebundenheit der Seele an den Körper existiert (Seele gibt es nicht ohne Körper). Mit heutigen Begriffen ist die aristotelische Seele ein übermaterielles Lebensprinzip, welches untrennbar an das Körperlich-Materielle gebunden ist und dieses überformt. Dieses Lebensprinzip ist bei Aristoteles menschlichen Sinnen und menschlicher Erfahrung zugänglich und keinesfalls ein übersinnliches oder übernatürliches Prinzip.
Durch Aristoteles ist der materialistische und idealistische Denkansatz seiner Vorgänger zu einem ganzheitlichen Denkansatz vereint worden, der besonders deutlich in dem angenommenen Körper-Seele-Verhältnis zum Ausdruck kommt. Lebewesen bilden eine Ganzheit aus Körper und Seele und das eine ist bei ihnen nicht ohne das andere denkbar. Körper ohne Seele ist ein Totes und kein Lebendes und Seele ohne Körper ist ein Gedankengespinnst. Es gehört zu den folgenschwersten Entwicklungen in der Geschichte des abendländischen Denkens, daß dieser ganzheitliche Denkansatz des Aristoteles in den nachfolgenden Jahrhunderten wieder auseinandergerissen wurde, indem seine materialistischen und idealistischen Aspekte isoliert betrachtet und fortgeführt wurden.
Die zweite wesentliche Wurzel des abendländischen Denkens ist die christliche Religion, die sich in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende als geschichtsbildende Kraft etablierte. Schon frühzeitig wurde der Versuch unternommen, den christlichen Glauben vernunftmäßig zu begründen und mit den philosophischen Überlieferungen der Antike in Einklang zu bringen. Während der Zeit der Kirchenväter (Patristik) wurden vor allem Anleihen aus der idealistischen Philosophie Platons gemacht, um die Dogmen der zur Macht strebenden katholischen Kirche zu begründen; so wurde der Christengott philosophisch als absolute Idee interpretiert. Als später die Philosophie des Aristoteles aus Arabien überliefert und im mittelalterlichen Europa bekannt wurde, entwarfen unter dem Einfluß dieser Philosophie Albertus Magnus (1200 - 1280) und Thomas von Aquin (1225 - 1274) ein einheitliches, als Scholastik bezeichnetes System der philosophischen Weltdeutung, das für Jahrhunderte Geltung behielt. Sie beraubten dazu die aristotelische Philosophie aller materialistischen Elemente und verbanden sie mit dem Platonismus. Während bei Aristoteles die Seele vom Körper nicht getrennt werden kann, hielten sich die Scholastiker an die Bestimmung der Seele als nichtstoffliches Prinzip und verbanden diese Bestimmung mit Transzendenz und Geistigkeit. An die Stelle der an den Körper gebundenen aristotelischen Seele trat die vom Körper trennbare und von Gott geschaffene unsterbliche Seele des christlichen Dogmas. (In der theologischen Lehre von der Seele unterscheidet sich die später entstandene evangelische Dogmatik nicht wesentlich von ihrer katholischen Vorgängerin).
Die Scholastik führte zur Unterordnung der Philosophie unter die Theologie, deren Oberherrlichkeit sich schließlich auf alle Bereiche der intellektuellen Tätigkeit erstreckte. Was wahr ist, sollte sich aus den Dogmen der katholischen Kirche ergeben. Kennzeichnend für diese, durch die Theologie geprägte Denkrichtung war einerseits der Hang zu reiner Spekulation über allgemeinste und abstrakteste Dinge und andererseits die Unterschätzung und Mißachtung der sinnlichen Erfahrung. Das bekannteste Beispiel für die letztgenannte Tatsache ist der Prozeß der Inquisition gegen Galileo Galilei (1564 - 1642). Dieser hatte das Experiment in die Naturwissenschaft eingeführt, mit Hilfe dessen der Wahrheitsgehalt einer Behauptung unabhängig von kirchlichen Dogmen überprüft werden konnte. Zwangsläufig geriet Galilei mit seiner neuen wissenschaftlichen Denkmethode in Gegensatz zum spekulativen und alle Bereiche der Wirklichkeit umfassenden theologischen Weltbild. So war es schließlich auch ein neues, durch die aufstrebende Naturwissenschaft geprägtes Weltbild, durch das die Vorherrschaft der Theologie auf dem Gebiet des menschlichen Denkens gebrochen wurde.
Nach der griechischen Philosophie und der christlichen Theologie ist als dritte wesentliche Wurzel des abendländischen Denkens die neuzeitliche Naturwissenschaft zu nennen. Im 17. Jahrhundert setzte eine Entwicklung ein, die als wissenschaftliche Revolution bezeichnet wird und die mit den Namen Descartes, Galilei und Newton verbunden ist. Der Beitrag von Descartes (1596 - 1650) an dieser Entwicklung bestand in der analytischen oder reduktionistischen Denkmethode, wonach Gedanken und Probleme in Teile zerlegt und diese in ihrer logischen Ordnung aufgereiht werden können, sowie in dem von ihm vermittelten Glauben an die Gewißheit der wissenschaftlichen Erkenntnis. Galilei führte das Experiment in die Wissenschaft ein und lenkte die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler auf die quantifizierbaren Eigenschaften der Materie. Newton (1643 - 1727) schließlich vervollständigte die erste und entscheidende Phase der wissenschaftlichen Revolution, indem er durch logische Verknüpfung und Vereinheitlichung der damals vorhandenen empirischen Fakten die nach ihm benannten Gesetze der Mechanik aufstellte, aus denen sich alle damals bekannten Phänomene der terrestrischen und Himmelsmechanik deduzieren ließen. Die Physik Newtons stellte eine geschlossene mathematische Theorie der Welt dar, aus der sich nicht nur Bekanntes ableiten sondern auch Unbekanntes voraussagen ließ. Das spektakulärste Beispiel hierfür war die Voraussage der Position eines unbekannten Planeten (des Neptun) aus den Bahnstörungen des Uranus.
Die wissenschaftliche Methode der Quantifizierung und Mathematisierung von Naturphänomenen, die sich in der Mechanik so hervorragend bewährt hatte, wurde später auch zur Beschreibung elektrischer, magnetischer und weiterer Phänomene angewandt. Anfang des vorigen Jahrhunderts stellte sich heraus, daß die auf mittlere (alltägliche) Dimensionen zugeschnittenen Begriffe der klassischen Physik sich als ungeeignet erwiesen, Phänomene, die sich in atomaren oder kosmischen Dimensionen abspielen, zu verstehen. Aber auch hier führte die wissenschaftliche Methode schließlich zum Erfolg. Durch die Verwendung von radikalen Abstraktionen und die Aufgabe von gewohnten, sich an mittleren Dimensionen orientierenden Vorstellungen von Wirklichkeit ließen sich sehr allgemeine und abstrakte Theorien konstruieren, mit denen auch Phänomene in atomaren und kosmischen Bereichen erklärt werden konnten. Der Verlust an Anschaulichkeit dieser Theorien wurde durch einen außerordentlichen Gewinn wettgemacht: die Vereinigung bisher getrennter Wissenschaftsgebiete zu einem einheitlichen Gebiet. Durch die Quantenmechanik konnte die Chemie und durch die Relativitätstheorie die Kosmologie mit der Physik vereint werden.
Durch die Anwendung der aufgefundenen physikalischen Gesetze in der Technik war es dem Menschen möglich, die Natur immer perfekter zu beherrschen und für seine Ziele auszunutzen. Die Erfolge der wissenschaftlichen Methode zur Erforschung der Eigenschaften der Materie waren so überraschend groß, daß sich bei vielen Wissenschaftlern und gerade auch bei den hervorragendsten Denkern unter ihnen die Erwartung einschlich, man würde mit dieser Methode schließlich alle Naturphänomene einschließlich die des Lebens verstehen können. Als ein Beispiel von vielen sei Albert Einstein zitiert. In seiner 1918 gehaltenen Rede zum 60. Geburtstag von Max Planck heißt es (Seelig, 1989) : " ... die allgemeinen Gesetze, auf die das Gedankengebäude der theoretischen Physik gegründet ist, erheben den Anspruch, für jedes Naturgeschehen gültig zu sein. Aus ihnen sollte sich auf dem Wege reiner gedanklicher Deduktion ... die Theorie eines jeden Naturprozesses einschließlich der Lebensvorgänge finden lassen" ... Und dann: "Höchste Aufgabe der Physiker ist also das Aufsuchen jener allgemeinsten elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen ist". In allen naturwissenschaftlichen Diziplinen ist inzwischen das Bestreben vorherrschend, der in der Physik so erfolgreich praktizierten wissenschaftlichen Methode nachzueifern. Wiederum als ein Beispiel für viele sei Francis Crick zitiert, der 1953 die Struktur des die genetische Information tragenden Makromoleküls mitentdeckte (Crick, 1966) : "the ultimate aim of the modern movement in biology is in fact to explain all biology in terms of physics and chemistry".
Die Geschichte des abendländischen Denkens läßt sich wie in einem Fokus zusammenfassen mit Hilfe der drei Antworten, die dieses Denken auf die Frage "Was ist Seele?" gegeben hat. Die drei Antworten gehen gemeinsam davon aus, daß Seele nicht gleich Körper (Materie) ist, sie unterscheiden sich jedoch fundamental in Hinblick auf das angenommene Verhältnis zwischen Körper und Seele. Aristoteles als hervorragendster Vertreter der antiken Ganzheits-philosophie beantwortet die Frage dahingehend, daß die Seele ein an den Körper gebundenes Lebensprinzip ist - die Seele ist unveräußerliches Eigentum des Körpers eines Lebewesens. Die christliche Kirche geht davon aus, daß die Seele von Gott erschaffen und dem Körper geliehen ist - die Seele ist Leihgabe an den Körper. Die moderne Naturwissenschaft schließlich spricht der Seele jegliche reale Existenz ab - es gibt keine Seele sondern nur den Körper (bzw. die Materie).
Angesichts dieses grundsätzlichen Dissenses im abendländischen Denken zum Seelenproblem drängt sich die Frage auf, ob es unter den drei Antworten eine "wahre", d.h. eine mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung befindliche Antwort gibt und wenn ja, welche der drei Institutionen - Philosophie, Theologie, Naturwissenschaft - in der Lage ist, diese Antwort zu finden und zu allgemeiner Anerkennung zu verhelfen.
Die Philosophie, bei Aristoteles noch "Königin der Wissenschaften", wurde während der Scholastik zur Magd der Theologie und durch den wissenschaftlichen Materialismus schließlich ganz aus den wirksamen Strömungen des modernen Lebens hinausgedrängt; die aristotelische Lehre von der dreigeteilten Seele ist praktisch der Vergessenheit anheimgefallen. Von seiten der Philosophie ist daher eine allgemein akzeptierbare Entscheidung in der Frage "Was ist Seele?" nicht zu erwarten. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, daß auch von der Theologie keine Entscheidung zu erwarten ist, die allgemein (z.B. von der Naturwissenschaft) akzeptiert werden kann. Angesichts der Tatsache, daß die wissenschaftliche Denkweise zunehmend Einzug in alle gesellschaftlichen Bereiche gehalten hat und zu einem dominierenden Faktor geworden ist, wird eine Entscheidung mit allgemeiner Akzeptanz nur noch von der Naturwissenschaft zu erwarten sein. Allerdings kann diese Aufgabe nur von einer Naturwissenschaft geleistet werden, deren Erkenntnisstreben nicht in ein dogmatisches materialistisches Naturverständnis eingezwängt ist und die sich nicht dem Erfolg, sondern allein der Wahrheit verpflichtet fühlt. Eine von Vorurteilen und Dogmen befreite Naturwissenschaft ist auf Grund des vorhandenen Wissens schon heute in der Lage, die Frage "Was ist Seele?" mit modernen wissenschaftlichen Begriffen in Beziehung zu setzen und eine allgemein akzeptierbare Antwort auf diese Frage zu geben.
Den drei Antworten auf die Frage "Was ist Seele?" und den damit charakterisierten Weltbildern ließen sich die drei Epochen abendländischen Denkens zuordnen, in denen jeweils eines dieser Weltbilder dominierend wurde. Dabei ist deutlich geworden, daß unser modernes Zeitalter, dessen Zeitgeist von materialistischen Weltbild der modernen Naturwissenschaft geprägt wird, kein Endstadium darstellt.
Eine Antwort muß in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden, die allerdings keine eigene Epoche begründete, die Antwort Goethes. Goethe war der erste Denker, der die zu seiner Zeit aufkommende moderne Naturwissenschaft hinsichtlich ihrer einseitigen Methode und ihres einseitigen Weltbildes kritisiert hat, und er hat dieser eine andere, neue Wissenschaft von der Natur entgegengesetzt. Goethe hat nicht versucht, eine Antwort auf die Frage "Was ist Seele" zu geben, da der ihm überlieferte Seelenbegriff etwas völlig anderes als der von Aristoteles verwendete Begriff war. Aber dennoch läßt sich das Weltbild Goethes, auf dem seine Naturwissenschaft basiert, zwanglos mit dem Weltbild des Aristoteles in Beziehung setzen läßt, mit anderen Worten, beide gingen von einem ganzheitlichen Weltbild aus. Goethe wollte nicht nur eine neue Naturwissenschaft sondern auch ein neues Zeitalter begründen, er wollte "Epoche in der Welt machen", wie er seinem Vertrauten Eckermann gestand. Wie wir heute wissen, ist er mit beiden Vorhaben gescheitert.
Dem modernen Menschen dämmert allmählich, daß er geistig in eine Sackgasse geraten ist, er gleicht immer mehr einem Verirrten, der mit immer größerer Angst vorwärts hastet und dadurch immer mehr in die Ausweglosigkeit gerät. Ständig wird er aufgefordert, sein Augenmerk auf die Zukunft zu richten und sich nicht bei der Vergangenheit aufzuhalten. Für das einzig Vernünftige meint er keine Zeit zu haben, nämlich sich zu besinnen, woher er gekommen ist, sich zu erinnern, wo er geistig noch festen Boden unter den Füßen hatte.
Wenn es stimmt, daß wir modernen Menschen falsch handeln, weil wir falsch denken, dann gibt es nur eine Möglichkeit, wieder zu richtigem Denken zu gelangen. Die Psychoanalyse hat gezeigt, daß es bei psychischen Krankheiten keine Heilung ohne Anamnese, ohne Offenlegung einer verdrängten Vergangenheit gibt. Analog wird es bei einer Krankheit des Geistes, und um eine solche handelt es sich beim falschen Denken doch wohl, keine Besserung geben, ohne eine Besinnung auf die Geschichte unseres Denkens. Nur ein solcher Rückblick in die Vergangenheit kann uns über die Herkunft unserer Irrtümer und Vorurteile belehren.