Edmond Leupold

Die Prüfung

(eine philosophische Parodie)

mitwirkende Personen:

Prüfer (P)

Student (S)

Beisitzer (B)

(B) Fühlen Sie sich gesundheitlich in der Lage die Prüfung zu absolvieren? Und haben Sie die Frage gelesen und verstanden?

(S) Ähm - ja! Also, äh, ich weiß gar nicht....

(ein Stift des Studenten fällt zu Boden)

Oh, mein Stift!

(sucht den Stift ungeschickt unter der Bank, der Kopf bleibt oberhalb der Tischplatte)

Ja wissen Sie, mmh... ich bin ein wenig nervös. Ich weiß auch nicht warum... - Ach ja, jetzt weiß ich ... - ich bin in der Prüfung.

Also ich weiß auch nicht...

(P) (wohlwollend) Gut, weiter so...

(S) Ja ehm, - ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

(P) Ach so, ich dachte Sie sind schon voll beim Thema. Nun, was Sie sagen sollen, können wir Ihnen auch nicht sagen, sonst wäre es ja keine Prüfung.

(kurzes Schweigen)

Nun gut, ich formuliere nochmals die Frage: "Nennen Sie die wesentlichen Inhalte der Seinsauffassung in Heideggers 'Sein und Zeit' und in Sartres 'Sein und Nichts', einschließlich des Nichtsein bei Sartre und die entscheidenden Unterschiede in den Auffassungen der beiden Denker."

(S) Ja die Frage war mir schon klar...

(P) (etwas ungehaltener) Na dann, fangen Sie an!

(S) Nun ja, wo soll ich denn aber anfangen? Eh, vielleicht beginne ich einfach am Anfang.

(B) Ja, gut!

(S) Also, am Anfang war das Wort und dann schuf Gott...

(P) (ausrufend) Stopp! Fangen Sie nicht am Anfang an.

(S) Ja, aber wo soll ich denn anfangen, etwa mittendrin?

(P) Ja versuchen Sie es gleich mit Heideggers Seinsauffassung.

(S) Aber das ist doch das Letzte.

(P) (leichter Anflug von Wirrnis) Nun gut, beginnen Sie mit Sartre.

(S) Mm' ja dieser Sartre - der verwirrt mich immer so mit seinem Blick, der von seiner verzweifelten Identitätssuche herrührt...

(P) (ungehalten) Sie machen mich auch ganz wirr, können Sie nun etwas zu Sartres existenzialistischer Seinsauffassung sagen, oder nicht?

(S) Soll ich nun aber wenigsten bei Sartre am Anfang beginnen?

(B) (ruhig, aber bestimmt) Fragen Sie nicht, sprechen Sie!

(S) Zuerst stand bei Sartre die Libido...

(P) (dazwischenfahrend) Das ist Freud, Sie sollen über Sartre sprechen.

(S) Sind Sie sicher? Ich meine, Sartre hat doch ganz am Anfang Freud gelesen und dann wäre meine Ausgangsthese doch...

(P) (weinerlich verzweifelnd) Das gehört doch aber alles gar nicht hierher. Können Sie denn nichts über die Grundthesen in der Seinsauffassung bei Sartre oder Heidegger sagen?

(S) (schnell gesprochen) Doch, doch - also der eine, der kam so vom Sein her, das ein seiendes Sein in der Verfaßtheit von seiendem Sein ist und Sein nur ist, insofern es seiend ist, und stellte den Menschen als Dasein, der sein seiendes Sein als Da in der Zeit erfährt, in dieses Sein, und der andere, der kam so aus dem Nichts und versuchte verzweifelt seine Identität zu finden, die aber nur dem Sein zukommt und nicht dem Nichtsein. Während das Sein ein seiendes Sein ist, ist das Nichts das, was vom Sein im Bewußtsein übrigbleibt.

(P) (verwirrt mit den Augen rollend) Wie bitte! Können Sie das noch etwas genauer erläutern, was ist denn nun das Sein bei Sartre, Sie sprachen nur über das Nichts.

(S) Das Sein ist bei Sartre das Andere, also das dem Nichts gegenüber Seiende. Somit ist das Sein bei Sartre das Gegenteil vom Nichts.

(P) Und was ist daran das Existenzialistische?

(S) Na daß das Sein vor dem anderen existiert und das andere, was seine Negation ist, eben nicht.

(P) Und was ist das andere?

(S) Das ist das Bewußtsein, was bei Sartre ungefähr so definiert wird: 'Das Bewußtsein ist reflektierender Reflex, was die reflektierende Reflexivität des reflektierenden Reflexes reflektiert, aber ein unreiner reflektierender Reflex ist, da es sich nur quasi als Objekt und nie zum Objekt haben kann, es negiert sich und wird so zum Nichts'.

(P) Sie wollen also behaupten, daß das Bewußtsein ein Nichts ist?

(S) Wer, ich? - Nein - Sartre behauptet das.

(P) (kopfschüttelnd) Das stimmt doch aber so gar nicht.

(S) Das habe ich mir auch schon gedacht.

(P) Sie haben doch da etwas hineininterpretiert, was bei Sartre gar nicht so steht und wenn es so oder ähnlich in den Texten steht, dann war es anders gemeint.

(S) (wieder schnell gesprochen) Ja, was er damit gemeint hat, wollte ich Sartre auch selber mal fragen, aber der ist ja zwar noch im Nichts, doch selbst ist er jetzt Sein-an-sich und als Sein-an-sich kann er schwerlich Antwort geben, denn das kann nur das Sein-für-sich-an-sich, das zum Sein-an-sich-für-sich strebt, aber eben nur das Sein-an-sich erreicht.

Und dann hätte er es mir ja auch nicht sagen können, da er mir etwas vorspielen würde oder sich selbst oder uns beiden, und selbst nicht wüßte wie er seinen 'bösen Glauben' überwinden soll, um mir die Wahrheit zu sagen. Aber im Gegensatz zu Heideggers Text hat Sartres Text wenigstens noch einen Aussagengehalt, nämlich, daß alles Lüge ist.

(P) Wie kommen Sie darauf? Haben Sie Heideggers 'Sein und Zeit' überhaupt gelesen, daß Sie so etwas behaupten können?

(S) 'Sein und Zeit'? - Ah ja, das ist das Buch wovon Heidegger uns den zweiten Teil nur versprochen hat, aber nie 'Zeit und Sein' geschrieben hat, genau wie Sartre. Aber ist auch nicht so schlimm, 's wäre auch nicht mehr herausgekommen. Und zu Heideggers 'Sein und Zeit' hatte ich sogar ein ganzes Seminar.

(P) (bedeutungsvoll) Und???

(S) (breit grinsend) Wir haben alle sehr gelacht...

(P) (dazwischenfahrend) Was ist den daran so lächerlich oder komisch?

(S) Also komisch ist es ja nicht oder vielleicht doch, weil es so lächerlich ist, wird's ja auch ein bißchen komisch sein.

(P) Und was ist daran so lächerlich?

(S) Die Suggestivität, mit der der Denker von der Alm auf uns zuschreitet als würde er das Neue Evangelium verkünden.

Das wurde uns allen erst bewußt als der Seminarleiter mit rollender Stimme Heidegger zitierte und danach fragte,(tiefe Stimme rollend) ob wir die (langgezogen) 'ontische Tiefe' dieses Satzes verspüren würden, und Ludwig kurz und bündig 'Nö' antwortete. (vertraulich schwatzend) Der Semi fragte dann den Ludwig, ob er die Tiefe wenigstens ahne. Es kam wieder nur ein kurzes 'Nö' und der Nachsatz, daß solche Sätze nämlich aussagenlos sind.

(P) Und was wurde zitiert?

(S) mmh, ich glaube es war: 'Das Sein als seiendes Sein repräsentiert seine Seinshaftigkeit in einer Seinsweise, die dem Sein als seiendes Sein eigen ist.' - oder so ähnlich.

(P) Wieso, oder so ähnlich?

(S) Weil man, wenn man die Struktur Heidegger'scher Sätze einmal verstanden hat, diese beliebig produzieren kann.

(B) Wieso hat Heideggers 'Sein und Zeit' keinen Aussagengehalt?

(S) Na weil, immer wenn er auf den Punkt kommen will, jongliert er mit Tautologien, also sinnlosen Sätzen. Und da würde ich Sie nun fragen wollen, ob ich nun dem Sinnlosen das Lügenhafte vorziehen soll oder eher umgekehrt, das Sinnlose dem Lügenhaften vorziehen.

(P) Also ich würde die Wahrheit vorziehen.

(S) Wenn die Wahrheit sich aber ausspricht wie der sich selbst definierende Stein, wenn er den Hang herunterrollt, also in einem sinnlosen Vor-sich-hin-brabbeln, soll ich dann dem Stein für seine gelungene Selbstdefinition gratulieren?

(P) Sie schweifen vom Thema ab, kommen Sie zurück auf Heidegger und Sartre.

(S) Also während der eine vom Sein spricht als könnte man es definieren, ohne etwas auszusagen, spricht der andere über das Nicht-sein als wäre darüber nichts Wahrhaftes auszusagen, weil es sich nie so aussprechen kann wie es ist. Während dem einen die Identität geradezu zugeschrieben wird, fehlt dem anderen jegliche Möglichkeit zur Identität mit sich selbst.

(P) Sie haben bisher sehr wenig vom Sein bei Sartre gesprochen, Sie sprechen immer nur über das Nicht-sein oder das Nichts. Aber die Zeit ist auch schon um, also sagen Sie noch einen Satz.

(S) Das Sein ist das existierende Andere als Entgegensetzung zum negierenden Nichtsein oder Nichts, wobei das Nichts dem Sein negierend gegenübertritt, des Inhalts dieser Negation bewußt werdend, macht es sich zum Quasi-objekt, da es nur Etwas, also Seiendes, negieren kann und negiert sich in diesem Prozeß, der zum nichtseiende Nichts führt und diese negierte Negation, des zu negierenden Seins wird in einer transzendentalen Überschreitung der eigenen Nichtigkeit zum Sein als Objekt, welches seinerseits wiederum negiert wird und nun negiertes nichtseiendes Nichts ist, doch trotz dieser dreifachen Nichtigkeit wird auch dieses negiert und das Ergebnis ist eine Negation der Negation der Negation der Negation, die wiederum...

(P) Ja gut, gut, wir haben verstanden, was sie sagen wollen.

(S) Wirklich?