Seinsunwilligkeit vor dem Schleier gebürtlichen Nicht­wissens.

Von John Rawls zu Samuel Butler

Karim Akerma

„Urzustand“ und „Schleier des Nichtwissens“ sind die Reagenzien für eines der bekanntesten philosophischen Gedankenexperimente. Der Experimenta­tor, John Rawls (1921-2002), bedient sich dieser philosophischen Chemi­kal­ien, um Gerechtigkeitsgrundsätze zu ermitteln. Was sind der Urzustand und der Schleier des Nichtwissens? Anders als für Teile der älteren politischen Philo­sophie, ist der Urzustand für Rawls kein vergangener tatsächlicher oder rekonstruierter Naturzustand, sondern ein Fragezustand, in den sich jeder von uns zu jedem beliebigen Zeitpunkt gemeinsam mit anderen versetzen kann, um mit ihnen in fairer Verhandlung und Übereinkunft Grundsätze der Gerechtigkeit zu gewinnen. Mit Rawls muss man den Urzustand so auf­fassen, „dass man sich jederzeit seinen Blickwinkel zu eigen machen kann.“ (John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp, Ff/M 1979, S. 162)

Im Rawlschen Urzustand befinden wir uns dann, wenn wir uns gedankenexperimentell vorstellen, auf folgende Weise durch den so­genannten Schleier des Nichtwissens von unserem bevorstehenden irdisch­en Dasein getrennt zu sein: Wir wissen, dass wir existieren werden, aber es entzieht sich unserer Kenntnis, in welcher gesellschaftlichen Position, mit welchen physischen und psychischen Eigenschaften und zu welchem ver­gangenen oder zukünftigen Zeitpunkt wir leben werden. Rawls stellt die Frage, welche Gerechtigkeitsgrundsätze wir in einem solchen Urzustand ver­nünftigerweise wählen würden. Ihm zufolge werden Menschen im Urzustand folgende Gerechtigkeitsgrundsätze betreffend die Verteilung der Früchte und Lasten gesellschaftlichen Zusammenwirkens wählen: „einmal die Gleichheit der Grundrechte und -pflichten; zum anderen den Grundsatz, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa verschiedener Reichtum oder ver­schiedene Macht, nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft.“ (Rawls, S. 31f) Der Schleier des Nichtwissens garantiert Rawls zufolge, dass bei der Bestimmung von Gerechtigkeitsgrundsätzen „niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird.“ (Rawls, S. 29) Hiermit ist der biologischen und sozialen Schicksalslotterie Rechnung getragen.

Lockerung des Rawlsschen Daseinszwangs

Was geschieht nun, wenn wir den in Rawls’ Gedankenexperiment gegebenen Daseinszwang lockern und wir nicht mehr nur die Gesellschaft als ein Auffangbecken für unser unbekanntes Sosein zu gestalten haben, sondern wir entscheiden dürfen, ob wir überhaupt in die Welt oder auf die Welt hin­einfallen wollen. Entführen wir also Rawls’ Kombination der Reagenzien „Ur­zustand“ und „Schleier des Nichtwissens“ aus dem Kontext der polit­ischen Philosophie und lassen wir sie in einem existenz-philosophischen Ver­suchs­aufbau zur Wirkung kommen. – Rawls selbst ermutigt uns zu einer solchen Vorgehensweise, da er an einer Stelle seiner Theorie der Gerechtigkeit be­denkt: „Es ist vorstellbar, dass man lieber nicht geboren sein möchte.“ (Rawls, S. 460) Zunächst sollten wir mit Rawls ins Auge fassen: „Was auch die Stellung eines Menschen in der Zeit sein mag, er ist stets gezwungen, für alle Menschen zu entscheiden.“ (Rawls, S. 163) – Denn der Schleier des Nichtwissens verhindert, dass jemand die zu gewinnenden Grundsätze der Gerechtigkeit auf seine individuellen Merkmale zuschneiden kann. Einer steht für alle, da er sich vermittels Schicksalslotterie gleichsam in der Haut eines jeden wiederfinden kann. Rawls’ philosophische Reagenzien „Urzu­stand“ und „Schleier des Nichtwissens“ sind somit nicht nur ein probates Mittel, um aus einem quasi extra-existentiellen oder prä-existentiellen Blick­winkel heraus Grundsätze der Gerechtigkeit für eine Welt zu gewinnen, in der man späterhin in unbekannter Position ungefragt zu leben haben wird. Vielmehr ist der Blick aus dem Urzustand heraus, der den Schleier des Nichtwissens nicht durchdringt, auch dazu geeignet, Antworten auf die Frage zu gewinnen, ob wir überhaupt hätten existieren wollen, hätte es uns freigestanden über unser eigenes Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Jeder begann zu existieren, ohne dass man ihn gefragt hätte oder hätte fragen können. Während Rawls voraussetzt, dass wir existieren werden und uns nur eine faire Wahlmöglichkeit zur Ermittlung von Gerechtigkeitsgrund­sätzen zugesteht, weist die Apparatur und Untersuchungsanordnung seines Gedankenexperiments auf die grundlegendere Frage hinaus: ob wir uns aus ur­zu­ständlicher Einstellung heraus überhaupt für eine Existenz in unbe­kannter Position (räumlich, zeitlich, physisch, psychisch) entschieden hätten oder eine solche Existenz anderen zumuten würden.

Von John Rawls zu Samuel Butlers Lackmustest auf Existenzwillig­keit

Mit Recht mutmaßte Rawls: „Der Schleier des Nichtwissens ist eine so natürliche Bedingung, dass schon viele auf einen ähnlichen Gedanken ge­kommen sein müssen.“ (Rawls, S. 159, Anm. 11) Einer unter diesen viel­leicht doch gar nicht so vielen ist Samuel Butler (1835-1902). Inter­essanterweise hat Butler in seiner Utopie Erewhon geraume Zeit vor Rawls nicht bloß die philosophischen Reagenzien „Urzustand“ und „Schleier des Nichtwissens“ kombiniert, sondern just zur Behandlung der Frage in An­wendung gebracht, ob wir einem Dasein in unbekannter Position zustimmen würden. Es handelt sich hierbei um einen Lackmustest auf Existenzwilligkeit, der freilich mit einem grundsätzlichen Problemen behaftet ist: Bei Rawls wie bei Butler verlangt der Umgang mit dem Schleier des Nichtwissens von uns, dass wir uns mit dem Gedanken anfreunden, einen vollständigen Erinner­ungsverlust überdauern zu können, ohne dass unsere Selbstidentität ver­loren ginge. Diesem Problem wäre zumindest prinzipiell beizukommen, wenn wir dem zustimmen, dass wir bereits existierten, bevor wir ein deut­liches Erinnerungsvermögen hatten (als Föten und Neugeborene) und dass wir fortexistieren können, wenngleich unser Erinnerungsvermögen ab­handen gekommen sein mag (als Schwerstdemente).

In Butlers Roman erfährt der Erzähler von den Bürgern des imaginären Landes Erewhon, dass sie sich aus sogenannten „Ungeborenen“ rekrutieren, die einst den Wunsch auf einen Körper verspürten. Man muss wissen, dass die Ungeborenen als unsterbliche und unverkörperte Geister konzipiert werden, die sich als solche mitten unter uns aufhalten können, auf­ Grund ihrer Körperlosigkeit jedoch nicht von uns wahrgenommen werden. Sie hingegen seien imstande, unsere Taten und Untaten mitzu­ver­folgen und sogar unsere Gedanken zu lesen.

Die Ungeborenen kennen weder übermäßiges Leid noch übermäßiges Glück. Sie heiraten nie, „sondern leben in einem Dasein, wie die Dichter den Urzustand der Menschheit schildern.“ (Samuel Butler, Merkwürdige Reisen ins Land Erewhon, Rütten & Loening, Berlin 1981, S. 156) Gleichwohl leiden sie an der „Langeweile des körperlosen Daseins“ (Butler, S. 156), die ver­nichtend sein muss, sollte Bernard Williams (1929-2003) in seinen Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit recht haben, wonach schon ein unsterbliches körperliches Dasein unerträglich langweilig wäre (vgl. Williams, Probleme des Selbst, Reclam-Stuttgart 1978, S. 133-162). Die Unsterblichen lesen unsere Gedanken und beobachten uns in Momenten höchsten Glücks, weshalb manche von ihnen uns die verkörperte Existenz so sehr neiden, dass sie bei Strafe ihres sodann unvermeidlichen Todes selbst verkörperte Bewusstseine werden möchten. Die Weisen unter den Un­ge­borenen versuchen denen, die im Begriff stehen, dem Verlangen nach Körper­lichkeit nachzugeben, zu erläutern, dass das Geborenwerden ein Kapitalverbrechen ist, das unweigerlich mit dem Tode bestraft wird, wobei die Strafe jederzeit vollzogen werden kann.

Vom Erzähler des Romans erfahren wir, dass es nur die dümmsten Ungeborenen sind, die den Wunsch verspüren, den Zustand unsterblicher Körperlosigkeit aufzugeben, um als verkörperte Sterbliche zu existieren. Die Gründe, mit denen den Verkörperungswilligen davon abgeraten wird, den Zustand körperloser Unsterblichkeit aufzugeben, lassen sich zwanglos als Argumente für den Antinatalismus entfalten.

Wie Rawls, konzipiert auch Butler eine die Ungeborenen von der Welt der Geborenen trennende Instanz. Bei ihm ist es kein Schleier, sondern ein Trank des Vergessens; und ähnlich wie bei Rawls ist ungewiss, wohin das Schicksal die zur Welt Kommenden verschlagen wird:

Zuerst muss der Ungeborene einen Trank zu sich nehmen, der sein Gedächtnis und das Bewusstsein seiner Identität auslöscht. Er muss hilflos und ohne eigenen Willen in unsere Welt eintreten. Zuvor aber muss er ein Los ziehen, das ihm seinen Charakter zuteilt, und er muss es hinnehmen, wie es kommt, sei es gut oder böse. Auch hinsichtlich des Körpers, den er so sehr begehrt, ist ihm keine Wahl gelassen. Ganz willkürlich und ohne die Möglichkeit eines Einspruchs werden ihm zwei Menschen zugewiesen, zu denen er gehen und die er quälen muss, bis sie ihn aufnehmen. Was das aber für Leute sind, ob sie reich oder arm, gut oder böse, gesund oder krank sind, davon erfährt er nichts. Tatsächlich muss er sich auf viele Jahre der Sorge von Menschen anvertrauen, für deren gute Körperkonstitution und Gemütsart er keinerlei Gewähr hat.“ (Butler, S. 157)

Die einen philanthropischen Antinatalismus vertretenden Ungeborenen leugnen durchaus nicht das Gegebensein mancher Freuden in der Welt der Sterblichen. Doch fragen sie:

Ist irgendein Vergnügen es wert, mit dem Elend eines gebrechlichen Alters erkauft zu werden? (...) Vergiss auch nicht, dass bisher noch jeder Mensch mit vierzig Jahren gern in die Welt der Ungeborenen zurückgekehrt wäre, wenn er es nur mit Ehre und Anstand hätte tun können. Da er einmal auf der Welt ist, wird er in der Regel dort bleiben, bis er gezwungen wird, sie zu verlassen. Aber glaubst Du etwa er würde einwilligen, noch einmal geboren zu werden und sein Leben wieder von vorn zu beginnen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte? Glaube das nur nicht! Wenn er die Vergangenheit so ändern könnte, dass er nie geboren wäre, meinst Du nicht, er würde es nur zu gern tun? Was sonst meinte einer ihrer Dichter, als er den Tag beweinte, an dem er geboren wurde...“ (Butler, S. 160)

Diese jeglichen Wunsch nach Geburt, geschweige denn Wiedergeburt, weit von sich weisende altüberlieferte Daseinsverwünschung hat einen rück­wärts­gewandten Charakter, der deswegen absurd scheint, weil er nicht un­geschehen gemacht werden kann. – Es sei denn im Rahmen eines Ge­dankenexperiments: Vor dem Hintergrund der Ausführungen Butlers – den Blick auf den undurchdringlichen Schleier gebürtlichen Nichtwissens ge­richtet – ist also die Frage aufzuwerfen, wer von uns das existentielle Risiko eingegangen wäre, in eine hungernde Familie, Kriegsgegend, Erd­beben­region oder einen kontaminierten oder wasserarmen Landstrich hineinge­boren zu werden. Während es Rawls unter Rekurs auf einen Urzustand und bei unterstellter Seinswilligkeit um die Ermittlung von Gerechtig­keits­grund­sätzen ging, steht mit Butler die Frage im Raum, ob jemand sich für einen Eintritt in diese Welt entschieden hätte, wenn ihm hinter einem Schleier des Nichtwissens verborgen gewesen wäre, als Kind welcher Eltern, zu welcher Zeit- und an welcher Raumstelle er zu existieren hätte. Wie gesagt, stellt sich diese Frage niemandem auf diese Weise, da wir alle ungefragt ins Dasein gerufen wurden. Lassen wir uns aber einmal auf diesen existenz­iellen Lackmustest zur Kontrolle unserer Seinswilligkeit ein, so entfaltet er unweigerlich einen über uns selbst hinausweisenden Impetus betreffend die Bejahbarkeit der Fortsetzung jenes Großexperiments, dass das Aggregat „Menschheit“ mit jeder einzelnen Fortpflanzung an sich selbst vollzieht. Denn wir wissen, dass unter den Menschen, die existieren werden, stets auch solche sind, die in unerträgliche Verhältnisse hineingeboren werden oder deren zunächst erträgliche Lebensverhältnisse sich später im Leben – etwa nach dem Butlerschen 40. Lebensjahr – ins Unerträgliche wandeln. Wer in Anbetracht verschleierter existentieller Unwägbarkeiten die eigene Seinsunwilligkeit bekennt, hat stellvertretend für alle Menschen die Antwort gegeben, dass besser keine Menschen wären. Wer bekennt, auch vor dem Schleier des Nichtwissens seinswillig zu sein, mutet sich und allen Menschen all das zu, wovon die Schwarzbücher der Weltgeschichte uns berichten.

Samuel Butler hält uns den Schleier gebürtlichen Nichtwissens vor Augen und fragt, wer von uns so kühn wäre, hinter diesem Schleier an ungewisser Weltstelle geboren werden zu wollen. Setzen wir mit Rawls voraus, dass ein Urteil durch den Schleier des Nichtwissens hindurch ein Urteil ist, in dem ein Mensch für alle anderen spricht – sofern der in der Konstellation dieses Gedankenexperiments Urteilende als jeder andere existieren könnte –, so spricht aus Butlers Ausführungen über die Welt der Ungeborenen nichts Geringeres als ein Votum für den Antinatalismus.

Butlers Roman ist nicht bloß Satire, sondern auch Gesellschaftskritik. Das Maß, in dem er für den Antinatalismus einzustehen scheint, zeichnet sich freilich erst dann ab, wenn wir berücksichtigen, dass er den Bericht über die Welt der Ungeborenen als einen von den Erewhoniern ersonnenen Mythos konzipiert, dem die Funktion zukommt, sie von der Schuld zu ent­lasten, die alle Eltern unweigerlich auf sich laden. Im Mythos der Welt der Ungeborenen sind es diese, die nach Dasein drängen und mit ihrem Zur­weltkommen kapitale Schuld auf sich nehmen, die mit ihrem Tode be­straft wird. Auf diese Weise werden die Eltern entlastet. Ohne einen solchen Mythos, der die wahren Verhältnisse verschleiert, führt Butler aus,

„nähme sich ja ein Mensch einem andern gegenüber eine ungeheuerliche Freiheit heraus, wenn er ihn veranlasse, ohne die Möglichkeit einer eigenen Wahl die Zufälligkeiten und Wechselfälle dieses irdischen Lebens auf sich zu nehmen. Kein Mensch hätte dann überhaupt das Recht zu heiraten, da er ja niemals voraussehen könnte, in welch schreckliches Elend er ein Wesen durch sein Handeln stoßen würde, das nicht unglücklich sein kann, solange es nicht existiert.“ (Butler, S. 149)

Antinatalismus im Hinblick auf Maschinen

Interessanterweise sehen wir Butlers Antinatalismus in einem weiteren Kapitel seines Erewhon bestätigt: im Buch der Maschinen. Dort appelliert Butler – ein Mann des Dampfmaschinenzeitalters – an uns, bewusste Wesen würden seit nunmehr 20 Millionen Jahren auf der Erde existieren – aber welche unglaublichen Fortschritte hätten doch die Maschinen allein in den letzten tausend Jahren gemacht! Und sei nicht wahrscheinlich, dass die Welt noch weitere 20 Millionen Jahre bestehen werde? Wenn ja, zu welcher „Daseinshöhe“ werden sich dann bei der schon jetzt ungeheuer rasanten Entwicklung die Maschinen entwickelt haben? Werden sie nicht letztlich Bewusstsein haben? Und wäre es in Anbetracht dieser Möglichkeit nicht besser, die Weiterentwicklung von Maschinen einzustellen, damit es gar nicht erst zu höherem Maschinenbewusstsein (und damit, wie wir sagen müssen: zu lebenden und leidenden Maschinen) kommt? Butler hatte eine Evolution der Maschinen zu unausdenkbaren Formen im Sinn. Und vermutlich hätte er geurteilt, dass in Gestalt heutiger elektronischer Systeme, Computer, das für ihn Unausdenkbare, an der Schwelle zur bewussten Maschine, vorliegt.

Wohl kaum jemand bestritte, dass in dem Moment, da ein Computer mentale Eigenschaften wie etwa Empfindungen erlangte, ein neues Leben begönne (womit zugleich belegt wäre, dass nicht die Eigenschaft, ein Organismus zu sein, Definiens für „Lebewesen“ ist, sondern die Eigenschaft, zumindest ein einfaches Bewusstsein zu haben). Insofern Butler dazu rät, rechtzeitig alles Nötige zu unterlassen, damit es nicht zum Hervorgehen von Maschinen mit Bewusstsein kommt, bezieht er auch im Maschinenkapitel seines Erewhon eine antinatalistische Position.

Mit seiner antinatalistischen Einstellung im Hinblick auf Maschinen – die Hervorbringung bewusster Maschinen sei zu unterlassen – steht Butler nicht allein da. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wiederholt der Bewusst­seins­philosoph Thomas Metzinger Befürchtungen Butlers und fordert eine neue Ethik. Auch Metzinger zufolge sollten wir keine künstlichen Systeme mit Bewusstsein hervorgehen lassen:

„Wir sollten uns an dem klassischen philosophischen Ideal der Selbsterkenntnis und an dem ethischen Minimal­gebot der Leidensverminderung orientieren und nicht fahr­lässig eine Evo­lution zweiter Stufe auslösen, die dann unserer Kontrolle ent­gleiten und die Gesamtmenge des bewussten Leidens im Universum weiter ver­mehren könnte. Wir sollten es nicht tun.“ (Metzinger: Postbiotisches Bewusstsein: Wie man ein künstliches Subjekt baut und warum wir es nicht tun sollten. In: Heinz Nixdorf MuseumsForum (Hrsg.), Computer. Gehirn. Was kann der Mensch? Was können die Computer? Begleitpublikation zur Sonderausstellung „Computer. Gehirn“ im Heinz Nixdorf MuseumsForum. Paderborn: Schöningh 2001, S. 111)

Halten wir uns an das ethische Minimalgebot der Leidensminderung – und lassen wir das sehr viel schwerer zu befolgende Gebot der Glücksmehrung außer Betracht –, so ist unsere ethische Grundposition diejenige des negativen Utilitarismus. Ein negativer Utilitarist wird sich freilich nicht allein gegen das Hervorgehenlassen empfindender und empfindlicher Computer aussprechen, sondern insbesondere gegen die Hervorbringung unweigerlich leidender Menschen und Tiere, was hiermit getan sei.