Luzifer lacht.

Philosophische Betrachtungen von Nietzsche bis Tabori hg. v. Steffen Dietzsch, Leipzig 1993, 256 S.‚ 20, 00 DM

Roberto Simanowski

Wann eigentlich trat das lachen in die Welt? Als der HERR Luzifer aus dem Himmel warf, diesen Geist, der stets verneint? Denn das lachen ist ja die kleine Subversion, wie Odo Marquard im Einleitungsgespräch des vorliegenden Buches versichert (12). Oder, wie Marquard mit Bezug auf seinen Lehrer Joachim Ritter sagt: “Weil und wo die offiziell herrschende und geltende Wirklichkeit andere Wirklichkeiten ausgrenzt oder ausschließt oder als nichtig setzt, ist es das Lachen, das geltend macht, das dieses offiziell Nichtige dennoch zu unserer Wirklichkeit gehört. Dem Lachen gelingt es, die Identität des Ausgegrenzten mit dem Ausgrenzenden wiederherzustellen...“ (11f.)

So lachte also Luzifer, von Gott gemacht und von Gott verstoßen, ihn und dessen Welt wach blieb ihm damit immer nah? Gott selbst, versichert Marquard, lache nicht, denn: “wenn das Lachen das all offiziell Ausgeschlossene geltend macht, braucht der nicht zu lachen, der nichts ausschließt (...) Gott verdrängt nichts, darum hat er nichts zu lachen, (13) Und Luzifer? Gab es mit dessen Ausschluß nicht schon zwei Lachende im Uni­versum? Steckte dahinter vielleicht eine Absicht: das Lachen als Bestandteil des Schöpf­ungsplans? Wann trat das Lachen in die Geschichte? Und welche Funktion hat es?

Eine Genealogie des Lachens will das Buch nicht liefern. Es sollen philosophische Betrachtungen “aus unserer Gegenwart (seit Nietzsche)“ präsentiert werden. Auch um Luzifer geht es nicht. Er eröffnet das Buch im werbewirksamen Titel und verschwindet sogleich. Das ist selbst schon zum Lachen; sofern Komik, wie ihre allgemeine Definition lautet, im Unverhältnismäßigen liegt, im Kontrast zwischen Erwartetem und Eingelöstem. Der Herausgeber, der in Chemnitz geborene Steffen Dietzsch (1989 Professor für Philo­sophie in Berlin, seit 1991 in Marburg) will mit dem vorliegenden Band, wie er betont, nicht repräsentative, aber bemerkenswerte Texte zum Lachen vorlegen. Zum Lachen im doppelten Sinne: zum Lachen als Handlung des Lesers und zum Verstehen des Lachens. Der Weg zu ersterem ist weit, wenn man dem Fahrplan des Buches folgt. Nach dem Einleitungsgespräch des Herausgebers mit Odo Marquard, in dem bereits die Essenz einiger der folgenden Texte geboten wird, und nach der Erwärmungsübung an verschiedenen Nietzsche Aphorismen steht der Leser den nicht ganz einfachen, z. T. sehr akribisch ausgeführten Beschreibungen und Klassifizierungen des Lachens durch Henri Bergson, Friedrich Georg Jünger, Joachim Ritter und Helmut Plessner gegenüber. Eine Theorie des Lachens muß nicht zum Lachen sein. Lachen kann man nach diesen 175 Seiten dann für 10 Minuten bei Karl Valentin, ehe Dürrenmatt mit seiner Überlegung zur “Freiheit als ironischem Begriff‘ erneute Disziplin erfordert und Manfred Frank zu einem Ausflug in die Transzendentalphilosophie einlädt, indem er ganz harmlos mit ein paar Witzen beginnt. Die letzten 20 Seiten gehören Woody Allen, George Tabori und Max Frisch.

Die Struktur des Buches verrät eine didaktische Absicht: erst die Theorie, dann die Praxis. Genauer gesagt: die Anwendung der Theorie in der Praxis; z. II. an Woody Allens Kommentar zur schwarz aufscheinenden Zukunft: “Die Überbevölkerung wird die Probleme bis zum äußersten verschärfen. Die Zahlen sagen uns, daß es schon heute mehr Menschen auf der Erde gibt, als. wir gebrauchen kämmen, um selbst das schwerste Klavier zu heben.“ Darüber sollten wir bereits als Wissende lachen: im Bewußtsein des Lachens als Reaktion auf eine Unangemessenheit, auf die “unerwartete Subsumtion eines

Gegenstandes unter einem ihm übrigens heterogenen Begriff‘, wie es bei Schopenhauer heißt (192). Oder, mit Kant zu reden: als Affekt “aus der plötzlichen Verwandlung, einer gespannten Erwartung in nichts“ (193). Die gezielte Banalisierung des demographischen Desasters zum Phänomen des Klaviertransportes ist eine solche Subsumtion und Ent-Spannung zweifellos.

Wie gesagt: der Weg des Lesers zum Lachen ist weit. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen; ein deutsches Buch. Gewissermaßen ein ostdeutsches Buch, gewidmet den Landsleuten in den neuen Bundesländern. Der Bezug ist indirekt, aber deutlich genug, wenn Dietzsch in der Nachbemerkung vom Lachen als einem angeratenen „Umgang kein “Aufarbeiten“!) mit Geschichte“ spricht, als Mittel gegen ein neues, aus “dem Personalakten Wahn“ produziertes, endgültig definitives “Wissen wie es mit UNS eigentlich gewesen sei“. Oder wenn er unter Anspielung auf den Verlust der DDR Identität vier therapeutische Funktionen des Lachens markiert: “Lachen rettet vor Wahnwitz“, “Lachen erleichtert Abschiednehmen“, “Lachen ist zweifeln, um nicht zu verzweifeln“ und “Lachen tötet die Macht der Vergangenheit“ (256). Sicher hat Dietzsch nicht unrecht, wenn er sich mit seinem Plädoyer für das Lachen gerade an die soeben aus der Verbissenheit einer stattlichen Indoktrination entlassenen Bundesbürger im Osten wendet. Die Suche nach einer anderen ldentität sollte in Partnerschaft mit dem Lachen geschehen und viel zu schnell sind schon wieder biedere Übereinkünfte mit neuen Wahrheiten getroffen. Aber die Akzentuierung dieses Adressatenkreises darf nicht als Einschränkung verstanden werden. Das “Training des Lachens“ geht alle etwas an. Und nachdem Descartes Selbstbewußtseinsversicherung “cogito ergo surn“ schon in ein “dubito ergo sum“ ich zweifle, also bin ich (Ulrich Beck) umformuliert wurde und manch einer in Nordamerika und Europa bereits das “rideo ergo sum“ probiert ich lache, also bin ich (so auch der deutsche Titel eines Buches von J. A. Paulos)‚ gibt es wohl kaum ein wichtigeres

philosophisches (und ethisches) Thema als das Lachen und die Ironie und kein wichtigeres Buch als eine Sammlung von philosophischen Betrachtungen zum Lachen. Dieser Hypothek wird das Buch nicht gerecht.

Daß der Herausgeber sich bei der Auswahl der Texte auf das Kriterium der Zufälligkeit verließ, muß man akzeptieren. Selbst mit der vorgenommenen Begrenzung des interessierenden Zeitraumes hätte die Intention eines repräsentativen Kompendiums den Rahmen des Machbaren gesprengt. Auf vakante einschlägige Texte (wie Freuds „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“ von 1905) wird z.T. in den abgedruckten Aufsätzen Bezug genommen, zudem listet der anregende Anhang weiterführende Literatur auf. Der Verzicht auf die Aufnahme oder zumindest Erwähnung eines Textes wie Dieter Wellerhoffs „Infantilismus als Revolte. Zur Theorie des Blödelns“ von 1974 bleibt dennoch zu bedauern, ebenso das gänzliche Schweigen über den Dadaismus als programmatisches Auslachen gewohnter Moral, Ästhetik und Vernunft. Das inszenierte Blödeln der Lautgedichte hätte Valentins noch recht logisch verfahrene Logikkritik komplementieren können. Unverständlich bleibt jedoch, warum kein Text aus dem Umfeld der Postmoderne-Diskussion in das Buch aufgenommen wurde. Im Einleitungsgespräch macht Dietzsch zwar eine Anspielung in die Richtung des postmodernen Lachens durch das Octavio Paz-Zitat: “Geboren aus der Verneinung des Absoluten endet das Lachen in der absoluten Verneinung“ (14). Der Ball wird jedoch sehr schnell fallengelassen. Marquard bezeichnet Dietzsch gegenüber seiner eigenen Philo­sophie als “Abschied vom Prinzipiellen“, als Vermeidung absoluter Positionen und spricht von der gefährlichen Humorlosigkeit der finalisierenden Weltverbesserungs­theorien (einschließlich der ‘68er Bewegung). Da wünschte man sich eine Zuspitzung der Unter­haltung durch die Thematisierung der aktuellen nicht finalen, spiel- und lach­orientierten „Weltverbesser­ungstheorien“ und der ethischen Konsequenzen ihres Ab­schieds vom prinzipiellen, Allge­meinen, Verbindlichen Die ironische Geste der post­modernen Philo­sophie wird nur kurz erwähnt, die Auseinandersetzung mit Ihr erfolgt weder im Gespräch, noch wird sie dem Leser durch die Aufnahme eines entsprechenden Textes nahegelegt. Eine schmerzhafte Leerstelle. Denn die nicht nur modische, sondern (unter der Annahme unentrinnbarer Dissonanz und Relativität des Wahrheitsbegriffs) auch adäquate ironische Haltung der postmodernen Philosophie hat ihre Abgründe. Ihre teuf­lischen Ambivalenz von Toleranz der Heterogenität und gefährlichem Einfallstor für Beliebigkeit, Oberflächlichkeit und Kritikverlust hätte in einem philosophischen Buch der neunziger Jahre über das Lachen nicht so leichthin übergangen werden dürfen.

Trotzdem sei das Buch jedem empfohlen, der sich in die Materie des Lachens einlesen will. Die vorgelegten Texte bieten jede Menge Anregungen zu interessanten Gedankenfolgen. Da wird das Lachen mit seinem kritischen Impuls z.B. als „Modellfall dessen, was Vernunft ist“ verstanden (Marquard) und als Zur Rede Kommen des normativ Ausgegrenzten (Ritter). “Was mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird“, schreibt Ritter, “ist diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Dasein ...“ (104) “Im Unsinn, im ausgelassenen Treiben, „ist Spiel, im Scherz werden die Seiten des Lebens als zu ihm gehörig ergriffen, die für den Ernst immer nur als Ausgegrenztes und Nichtig Widerständiges faßbar sind.“ (109) Jünger leitet den Humor aus dem Reiz an der Übertreibung und am sonderbaren her und bindet ihn deswegen an das Häßliche. Denn das Schöne besitzt keinen Ausnahmecharakter, es ist die Erfüllung einer Norm, es bedarf nicht des Humors als Entschädigung so gibt es auf dem Theater zwar die Rolle der komischen Alten, nicht aber die der schönen Komischen.

Den Witz als Medium der Sprachkritik wiederum analysiert Plessner, der eine ganze Reihe von Anlässen des Lachens untersucht: den Kitzel, das Spiel, die Komik, den Witz, die Verlegenheit, die Verzweiflung.

Beziehungsvoll ist seine Replik über das Lachen aus Verlegenheit. So werde der Mensch in Situationen, mit denen er “nichts mehr anzufangen weiß, weder mit sich noch mit der Welt, in denen er mit seinem Latein zu Ende ist und im Leeren steht wie vor einer Mauer oder vor einem Abgrund auf sich zurückgeworfen und erlebt eine höchst fatale Pause, einen Abbruch seines Daseins, der ihm das Mißverhältnis zwischen sich und der Umwelt offenbart. Ein Mißverhältnis, das die Quelle seiner Not und zugleich ihrer Linderung, Fessel und Befreiung wie in einem sein kann, wenn er sich von der Komik des Deplaciertseins packen läßt. Diese Flucht in die Komik erklärt zu einem guten Teil das Lachen in Verlegenheit (und Verzweiflung). Und doch gibt es daneben das echte verlegene oder verzweifelte Lachen“ (166). Das „echte“ Lachen aus Verlegenheit oder Verzweiflung ist das Lachen, das mit Erröten, Schweißausbrüchen u.ä. einhergeht. „Verlegenheit kann über kein Ausdrucks­reservat verfügen. Sie würde sich dann im Ausdruck selbst verleugnen, der Ausdruck ihr selbst untreu zu werden. Verlegenheit muß um Ausdruck verlegen sein ...“ (169) Das Lachen über die Komik der Verlegenheit wäre als Ausdruck und Überwindung der Verlegenheit zu unterscheiden vom „roten“, „schweißigen“ Lachen aus Verlegenheit. Pointiert gesagt: In welcher Weise der unsichere Liebhaber oder der angeschlossene Staatsbürger im neuen Bewähr­ungskontext mit der Verlegenheit umzugehen versteht, wird sich an der Farbe seiner Ohren zeigen. Über das Lachen als Krisenmanagement bemerkt Plessner außerdem, „daß das Lachen mit zunehmender Distanz des Menschen zum Anlaß Freiheit und Heiterkeit, Fülle und Tiefe gewinnt, mit schwindender Distanz, d. h. wachsender Mitgenommenheit und Benommen­heit aber sie verliert. Affektive Beteiligung kann die Eindeutigkeit des Lachens in Frage stellen.“(174) Hier rückt das Lachen in die Nähe der Gefühlskälte, zumindest aber der Oberflächlichkeit: „Der Mensch antwortet mit ihm direkt, ohne sich in die Antwort mit einzubeziehen. Im Lachen wird er gewissermaßen anonym ...“ (175).

Franks referiert u. a. Kant, Schopenhauer und Ludwig Tieck begreift die Erscheinung des Komischen als das Bewußtsein einer Inkongruenz zwischen Wesen und Wirklichkeit bzw. zwischen dem Sein eines Menschen und seinem Entwurf von sich. “Diesen Widerspruch bringt die Situationskomik von außen ins Spiel, während die Charakterkomik dem unangemessenen Überstieg eines Bewußtseins über ‘sich selbst‘ entspringt.“ So ist “ein Betrunkener an sich nicht lächerlich, aber er wird es, sobald ihm ein guter Freund begegnet, der sich ganz ernsthaft einen vernünftigen Rat von ihm ausbäte“ (200). Der Begriff der Inkongruenz gibt nach Franks Meinung auch den kleinsten gemeinsamen Nenner aller philosophischen Theorien des Lachens an: Das Lachen reagiert auf den Kontrast zwischen Erwarteten und Eingelöstem. Deswegen lacht man z. B. über einen kunstvoll geschorenen Hund, wie Plessner erklärt: die „Idee der Norm, die wir in unserer Einbildungskraft (aus Gründen der Gewohnheit und ästhetischer Vorurteile) an die Erscheinung herantragen“, entspricht nicht dem Phänomen Hund als Kunde des Schönheitssalons. Noch nicht, möchte man heute sagen, denn mit den Normen ändert sich auch das Lachen. Das Lachen verschwindet und entsteht andernorts neu. Vielleicht wird irgendwann gerade der Hund ohne Frisur ein Objekt der Komik sein.

Der vorliegende Sammelband ist also durchaus lesenswert und läßt nur insofern unbefriedigt, als er das Verlangen nach einem zweiten bewirkt. Mit diesem hätte dann die ethische Diskussion zu folgen. Die Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen des Lachens. Das diabolische Motto für den zweiten Band könnte Max Frisch liefern, der den vorliegenden abschließt: „Haben Sie Humor, wenn Sie allein sind?“