Krause, die Idee vom Menschheitsbund und die Freimaurerei

Karl Christian Friedrich Krause, Ausgewählte Schriften, Band II, Philosophisch-freimaurerische Schriften 1808-1832, herausgegeben und eingeleitet von Johannes Seidel, Enrique M. Ureña, Erich Fuchs und Pedro Álvarez Lázaro, Stuttgart-Bad Cannstatt 2009, ISBN 978-3-7728-2342-8, Preis: 197 Euro

von Stefan Groß

Nunmehr liegt der zweite Band von Karl Christian Friedrich Krauses Ausgewählte Schriften im renommierten Frommann-Holzboog Verlag vor. Das editorische Großprojekt, dessen mühevolle Kleinarbeit in den Händen der derzeit sicherlich berühmtesten Krauseforscher Enrique M. Ureña und Erich Fuchs liegt, und das insgesamt auf sechs Bände ausgelegt sein wird, nimmt sich nun im zweiten Teil, nachdem im ersten Krauses Entwurf des Systems der Philosophie im Mittelpunkt stand, Krauses Idee vom Menschheitsbund und seiner Schrift, Die drei ältesten Kunsturkunden I. und II an. Auch eine bislang nicht veröffentlichte Schrift findet in der Edition Eingang, die Frohkunde an die Menschheit.

Mit Krauses Ausgewählte Schriften soll zum ersten Mal eine komplette Studienausgabe des in Deutschland weitestgehend vergessenen Fichte- und Schellingschülers, der im thüringischen Eisenberg 1781 geboren wurde und in Jena – neben Schelling und Hegel als Privatdozent lehrte –, vorlegt werden, eine repräsentative zugleich. Aus dem umfangreichen Schrifttum, das der Philosoph hinterlassen hat, und das an Umfang sogar das schon große Opus Magnum Hegels übertrifft, werden in die Edition neben naturphilosophischen auch Schriften zur Ethik und Rechtsphilosophie, ebenso Texte zur Religions-, Rechts-, Geschichtsphilosophie und zur Pädagogik und Ästhetik aufgenommen. Dabei wird auch das wichtigste Werk Krauses Das Urbild der Menschheit, das 1811 erschien – und im Unterschied zu den vielen anderen Schriften – den größten Einfluß auf die Leserschaft ausübte, im fünften Band der Studienausgabe Eingang finden.

Die enge Verquickung zwischen Krauses Menschheits- bzw. Gesellschaftslehre und seiner Naturrechtslehre ist in seiner Schrift Grundlage des Naturrechts bereits angelegt. Schon zu dieser Zeit findet sich der Gedanke einer überindividuellen harmonischen Einheit aller vernünftigen Wesen, eines universalen Ganzen, in dem sich die Individuen zu einer geselligen Einheit zusammenschließen, zu einem Bund, zur einem, wie es später bei Krause heißen wird, „Erdrechtsbund“. Dieser Erdrechtsbund ist Idee und Ideal zugleich, diesen zu verwirklichen Krauses utopische Vision von einer Welt, in der sich jeder Einzelne das sittliche Gebot auferlegt und bei der Schaffung dieses Bundes seinen Beitrag leistet.

Dieses Ideal der Menschheit, das Urbild der Menschheit, als Leitbild menschlicher Geselligkeit voranzustellen, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk des Philosophen bis zum Todesjahr 1832. Daß Krause bereits sehr früh seine Soziallehre in Grundzügen vorgestellt hat, wie die Herausgeber Johannes Seidel, Enrique M. Ureña, Erich Fuchs und Pedro Álvarez Lázaro in ihrer Einleitung betonen, arbeitet dabei einem Interpretationsansatz entgegen, der diese erst auf das Erscheinen des Werkes Das Urbild der Menschheit datiert.

Im Naturrecht von 1803 findet nicht nur der Gedanke einer menschlichen Geselligkeit Eingang, in der Gerechtigkeit, Liebe, Erziehung, Sittlichkeit, Religion, Wissenschaft und Kunst die grundlegenden Axiome sind, sondern auch die Idee vom zu realisierenden Weltstaat, der mit dem Ideal und der Erziehung zur Menschlichkeit einhergeht. Die Erziehung zur Sittlichkeit, wie sie Krause in der Frohkunde an der Menschheit betont, ist zugleich eine Lebenskunst, die für die Bildung des Menschheitsbundes oder Weltstaates eine notwendige Voraussetzung bildet. Denn: „Die Erziehung des Menschen an Leib und Geist ist eine erstwesentliche Eigenschaft desselben; durch sie kann er sich in sich selbst vollenden, ja über sich selbst erheben, in immer höhern und höhern Ordnungen der Dinge eintreten, und ein vollständiges, treues Ebenbild der ganzen Menschen werden“ (S. 214.). Und: „Soll der Menschenbund die Erziehung der Menschheit als Ein gliedbauliches Ganzes vollenden, so kann sich sein Fleiß nicht auf die Erziehung einzelner Menschen beschränken, sondern er soll auf die Erziehung und Höherbildung aller geselligen Vereine wohltätig und kunstreich einwirken, ohne ihre Selbständigkeit und Freiheit zu stören, und ohne eigenmächtig in den eignen Kreis ihres Lebens einzuwirken“ (S. 229).

Wie sehr Krause bereits 1805 eklektisiert davon war, daß seine Idee vom Weltstaat mit den Händen zu greifen ist, wird in der Einführung der Herausgeber insbesondere anhand der Briefe, die der junge Philosoph an seinen Vater schrieb, nachgezeichnet. Krauses Begeisterung für den französischen Kaiser, den er als größten Feldherrn feierte und durch dessen Feldzüge er eine weltgeschichtliche Tat in Gang gesetzt sah, erinnert an Hegels Enthusiasmus Napoleon gegenüber. Wie sehr Krause damals noch den Franzosen verehrte, zeigte sich auch in verschiedenen Titelentwürfen, so auch bei dem, dem Vater angekündigten Versuch eines Buches der Menschheit nach dem Bedürfnisse unserer Zeit, vorzüglich in steter Hinsicht auf den durch Napoleon gegründeten Erdestaat.

Spätestens in der Jahreshälfte 1808 vollzog Krause dann seine politische Kehre. Anstelle von Napoleon, der als weltgeschichtliches Subjekt und Held des kommenden Weltstaates noch drei Jahre zuvor fungierte, inspiriert zu werden, trat jetzt die Freimaurerschaft, der nun die Aufgabe zukommen sollte, den nahenden Menschheitsbund zu verwirklichen. Nicht der Despot vermochte die Idee einer universellen Weltgemeinschaft zu realisieren, sondern diese Aufgabe sollte in die Hände der Freimaurergesellschaft, als sozialer Keimzelle, gelegt werden. Sowohl seine Würdigung der Freimaurerei als auch seine Kritik an der hermetischen Verschlossenheit der Logen dokumentiert Krause ausführlich in Die drei ältesten Kunsturkunden I und II, wobei es ihm vorrangig darum geht, die Idee vom Menschheitsbund zu entfalten.

Kurzum: In der gut dokumentierten Einführung der Herausgeber wird Krauses Verhältnis Freimaurerei und zu seinem Ideal der Menschheit, insbesondere anhand der Briefe an seinen Vater, der als Freimaurer der Altenburger Loge Archimedes zu den drei Reißbrettern angehörte, der auch Krause am 5. April 1805 beitrat, deutlich und eingehend nachgezeichnet. Nicht nur für die Krauseforschung liegt hier ein neues Kompendium, zudem exzellent verarbeitet und ästhetisch schön anzuschauen, vor, sondern auch für all jene, die sich für die Geschichte der Freimaurerei aus dem Blickwinkel eines Philosophen interessieren. Auch dieser Band, diesmal in den verantwortungsvollen Händen der spanischen Kollegen, ist wiederum ein Glanzpunkt, der maßgeblich zur Wiederentdeckung des in Deutschland weitgehend unbekannten Philosophen beitragen wird. Auf die nächsten Bände dürfen wir uns sowohl freuen als auch gespannt sein.