DEVIL´S POWER´S ORIGIN

Zur Problematik der „Einführung des Nazismus in die Philosophie“ durch Heidegger

Reinhard Linde

(Berlin/Deutschland)

Die humanisierende, textverstümmelnde Heidegger-Interpretation

„Die Verjudung unserer Kultur u. Universitäten ist allerdings schreckenerregend u. ich meine die deutsche Rasse sollte noch soviel innere Kraft aufbringen um in die Höhe zu kommen.“ (Heidegger 1916 in einem Brief an seine Frau)

Heidegger ist, da er seit 30 Jahren nicht mehr lebt, ein geschichtlicher Autor. Im Vergleich zu den meisten geschichtlichen philosophisch-soziologischen Autoren hat er seine Intentionen textlich vorwiegend hochgradig intransparent präsentiert, und zwar mit Vorsatz. Eine Ausnahme davon bildet gerade die Zeit seines Rektorats in Freiburg 1933/34, in der er sich sowohl politisch wie philosophisch ausnehmend transparent und unumwunden äußerte. Diesen Widerspruch hat er selbst nicht aufgeklärt. Aus all diesen Gründen ist es notwendig, über Heidegger zu forschen und alles ernst zu nehmen, was er sagte und tat. Erforderlich dazu sind ein breites methodisches Fundament, die Einbeziehung aller Arten von Quellen und gedanklichen Pendants und ausgewiesene ethische Bewertungsprinzipien. Ermittelte Fakten müssen überprüfbar, entdeckte Zusammenhänge clare et distincte sein, Fehler und Irrtümer werden öffentlich eingeräumt und korrigiert. In dieser wissenschaftlichen Weise forschen Victor Farias, Hugo Ott, Jean-Pierre Faye, Hassan Givsan, Domenico Losurdo, Johannes Fritsche, Emmanuel Faye, ich und andere über Heidegger. Die von ihnen durch selbständige Arbeit ermittelten Tatbestände ergeben ein kohärentes Bild des Phänomens Heidegger.

Jede Forderung, nur vermeintlich rein philosophische Behauptungen Heideggers zu betrachten, vermeintlich bloß politische Positionen dagegen als irrelevant zu ignorieren, ist restlos illegitim. Es gibt keinen für Philosophen reservierten Freiraum, historische Fakten zu relativieren und authentischen Äußerungen eine Bedeutung zuzulegen, die der offenkundigen Handlungsrichtung des betreffenden Autors entgegensteht. Eben ein solcher wird von den zahlreichen Akademikern und Publizisten in der ganzen Welt reklamiert, die sich bei ihrer Interpretations- und Lehrtätigkeit auf einen von ihnen selbst verstümmelten Heidegger stützen. Bei der Lektüre keines anderen philosophischen Autors werden so viele Stellen bewußt ausgeblendet oder schlechthin übersehen, noch bevor die Einbeziehung anderer Quellen und die ethische Folgenabschätzung seines Denkens als unnötig abgewiesen wird oder direkte politische Positionen Heideggers berührt sind. Viele Schriften Heideggers, ja komplette Bände der Heidegger-Gesamtausgabe werden gänzlich vermieden, auch wenn sie Materialien zum jeweilig gewählten thematischen Aspekt bieten.

Sein öffentlicher Umgang mit humanistischen Philosophen wie Husserl und Cassirer wird als Beleg seiner redlich philosophierenden Haltung ausgegeben, obwohl er sie faktisch bekämpfte. Daß ihn Hannah Arendt, Karl Löwith, Ludwig Marcuse und andere als impulsgebenden Lehrer ansahen, ändert nichts an der Tatsache, daß deren Werke einer gegenteiligen Intentionsrichtung folgten und daß Heidegger ihnen restlos feindlich bzw. ignorant gegenüberstand. Dagegen werden pseudowissenschaftliche und unstrittig diktaturfreundliche Autoren wie Friedrich Gottl-Ottlilienfeld, Graf Paul Yorck von Wartenburg, Karl Ernst von Baer, Eduard Spranger und Oskar Becker aus der Betrachtung ausgeklammert, obwohl sich Heidegger ausdrücklich auf sie bezog und wesentliche ihrer Denkmotive in seine Philosophie integrierte. Von gleichermaßen fundamentaler Bedeutung sind die Wirkungen des extremistisch-völkischen Katholizismus, seiner geistigen Wiege, der kriegsverherrlichenden Schriften Max Schelers und Georg Simmels und des Rassentheoretikers L.F. Clauß auf Heideggers Denken. Diese naheliegenden Recherchen wurden jedoch unterlassen.

Es resultiert, daß gerade die amputierten, noch immer mit vielen „dunklen“ Stellen behafteten Texte Heideggers als seine authentische Philosophie ausgegeben werden. Die anschaulichen und politisch konkretisierenden Zusätze, die er 1933 und 1934 präsentierte, um seine Philosophie einem breiten Zuhörerkreis transparent zu machen, gelten als Ausfluß einer zeitweiligen philosophischen Unzurechnungsfähigkeit. Da es aber zwischen diesen Zusätzen und seinen bereits bestehenden Theoremen keinerlei Reibungspunkte und Widersprüche gibt, können sie nicht dem Augenblick entstammen. Er sprach sie bis dahin nicht aus, weil ihn das seine akademische Position gekostet hätte. Bei einer solchen Textbasis muß es zu einer Vielzahl divergierender und sich weit von Heidegger entfernenden Interpretationen kommen, die in der Regel von mindestens einem der nicht beachteten Aussprüche Heideggers ad absurdum geführt werden.

Der textlichen Verstümmelung Heideggers korrespondiert die Abspaltung der sozialen Anwendungsrichtungen seiner Theoreme, die er selbst andeutete, aussprach beziehungsweise lebte. Verbunden ist dies mit einer hochgradigen Unsicherheit bezüglich des konkreten Gehalts seiner Zentralbegriffe. Sie führt dazu, daß der Gegenstand seines Denkens nicht einmal in seiner abstraktesten, noch ganz handlungsfernen Form benannt werden kann. „Sein“ und „eigentliches Dasein“ erscheinen als bloße Hülsen, die der privat-persönlichen Ausfüllung durch jeden Einzelnen anheimgestellt sind. Doch Heidegger legte nichts leidenschaftlicher dar als deren Geschichtlichkeit – das heißt die ihnen immanente realpolitische Umwälzungskraft. Zu einer solcher finden nur politisch formierte, keineswegs jedoch isolierte Einzelne. Heidegger verwahrte sich noch selbst vehement gegen alle existentialistischen Auslegungen.

Zuvor hatte er deutlich erklärt, Philosophie sei nicht „Bekümmerung um die vereinzelte Existenz des einzelnen Menschen als solchen” (Die Grundfrage der Philosophie, 1933). In Sein und Zeit findet sich kein einziger Satz, der dem widersprechen würde. Alle Sorge, Fürsorge, Befindlichkeit, Geworfenheit usw. ist nur relevant im Rahmen des „Mitseins“ in einer jeweiligen „Welt“, also eines ganzheitlichen Sozialgebildes, um deren Sein es dem Dasein gehe. Das alltägliche Dasein der Einzelnen ist für ihn nur „uneigentlich“ und als verfallendes keiner philosophischen Hilfestellung wert. „Eigentlich“ wird man nur als Vereinzelter, durch das entschlossene Ergreifen der „eigensten Möglichkeiten“ im unbezüglichen Vorlaufen in den Tod. Auch hier geht es nicht um ein individuell bestimmtes Entwerfen und Erfülltwerden. Heidegger erklärte definitiv, daß „die `gewaltsame` Vorgabe von Möglichkeiten der Existenz“ „methodisch gefordert“ sei und dem „freien Belieben“ entzogen werden müsse (Sein und Zeit, S. 313).

In diesem Zusammenhang verwies er unmißverständlich darauf, daß der „durchgeführten ontologischen Interpretation der Existenz des Daseins“ eine „bestimmte ontische Auffassung von eigentlicher Existenz, ein faktisches Ideal des Daseins zugrunde“ liege (S. 310). Worin besteht es? Es ist ungeheuerlich, wenn die Heidegger-Interpretation unterschlägt, daß eine konkrete nichtphilosophische Ansicht vom eigentlichen Dasein erklärtermaßen die Ausgangsbasis seiner Philosophie ist und durch diese zu „eindringlicherer Entfaltung“ gebracht werde. Ihre Erhebung in den ontologischen Status bezweckt, das „Ideal“ verbindlich zu machen. Nach seiner Maßgabe soll gehandelt werden, da „der Gewissensruf ... kein leeres Existenzideal vorhält, sondern in die Situation vorruft.“ (S. 300, Hervorhebung durch Heidegger!) Wir kommen darauf zurück.

Im Sinne solcher exorbitanter Ausblendungen findet auch kein Diskurs zur Frage statt, ob seine Begriffe überhaupt etwas Reales repräsentieren. Die Denkfiguren des transindividuellen, jedoch wesensmäßig partikularen Daseins und seine Bestimmungen als unentrinnbare Sorge, Befindlichkeit, Uneigentlichkeit, Verfallen, Nichtigkeit, Geworfenheit, Sein zum Ende, Ekstase, verschwiegene Entschlossenheit, Vorlaufen in den Tod, Volk, Held und Wiederholung sind mitnichten allgemeine Gegen­stände und Ansätze, die zu weiteren Erkenntnissen führen und in den Bestand des Menschheitswissens eingehen können. Dies unterscheidet den Heideggerianismus von allen klassischen Philosophien. Schon die bloße Aufzählung der Begriffe erhellt, daß hier eine systematische Negation nicht nur des kritischen, selbstverantwortlichen Subjektes, sondern des Individuums als solchen und seiner erfüllsamen Entfaltung innerhalb der Sozialität betrieben wird.

Einige namhafte Interpreten haben sich abgemüht, erklärende Brücken zwischen Heideggers Kerntheoremen und seiner direkten theoretischen Unterstützung des NS zu schlagen. Sie konnten nicht zu befriedigenden Resultaten kommen, da sie keine Forschung betrieben und den sozialwissenschaftlichen Blick nicht schärften. So beruht die Lehre Heideggers noch immer weithin auf verstümmelnden Lesarten und der absurden Abspaltung eines angeblich politisch unschuldigen Werkes von der stümperhaft politisierenden Person Heideggers. Damit umgeht sie basale Informations- und Bildungspflichten.

Eine intellektuell anspruchsvoll auftretende Version der „hermeneutischen“ Betrachtungsweise leistet hier und im publizistischen Bereich eine besonders destruktive Arbeit. Habermas, Derrida und ihre Adepten räumen zunächst das Gesagte weitgehend ein und geben sich sogar als Unterstützer der Aufklärungstätigkeit von Forschern bezüglich des unmittelbar politischen Heidegger. Doch sie behauptet, daß Heideggers Denken gerade vermöge seines Durchgangs durch die nazistische Option, auf die es zunächst hinführte (!), einer sukzessiven Klärung unterzogen wurde, die etwas Gültiges und Tradierbares zeitigte. Heidegger hätte die Gefahren erkannt, die der Menschheit durch eine Übermacht der Technik drohten, und richtigerweise die Entwicklung des Vernunftdenkens von Platon an als deren geistige Ursache identifiziert. Das müsse man aus dem „weltanschaulichen Kontext“ seiner positiven Erwartungen an den NS „herausheben“ (Habermas), die sich erst im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges in gänzliche Enttäuschung verkehrt hätten, als er die Kriegführung des NS-Staates als Unterwerfung unter die Technik erkannte. Das ist eine Lüge, die sich frech über die Faktenlage bezüglich Heideggers hinwegsetzt. Sie ist die Basis einer erschütternden Logik.

Die gefährliche Wirkung dieser Version liegt aber vor allem in der Affirmation von Heideggers Kriminalisierung der Vernunft. Diese zielte auf Descartes unter Miß­brauch der Relativierung der Verstandeskräfte durch Kant. Heidegger ging hinter den kritischen, auf einen universellen Geist bezogenen Menschen zurück, der Erkenntnisse sucht, die allen Menschen zugute kommen können. Wenn dies ein überdauernder Fortschritt sein soll und wahr wäre, dann gibt es keine allgemeinen Menschenrechte, keine humanistische Wissenschaft und Technik, ja keine Tötungshemmung gegenüber menschenähnlichen Wesen, die nicht zum eigenen „Dasein“ gehören. Dann gibt es nur die „Grundweisen des Seins“: „das Gottsein, Menschsein, Knechtsein, Herrsein.“ (Vom Wesen der Wahrheit 1933/34.) Mensch­sein besteht für Heidegger kategoriell nur als regionales, völkisches oder rassisches Dasein. Seine Vernunftkritik ist nicht im geringsten unabhängig von der von ihm angebotenen Alternative, jene ist auf diese hin konstruiert. Heidegger wirft Descartes nicht in erster Linie vor, daß er das selbstdenkende Subjekt zu hybriden Allmachtshaltungen ermutige, sondern daß es „bodenlos“ sei – das heißt nicht seine regionale oder völkische Determiniertheit beziehe, sondern einen nichtexistenten universalen Rahmen.

Nach Heidegger kann man ohne Bezug auf das „Sein“, das dem von ihm erwählten historischen Volk einen Auftrag erteilt, überhaupt nichts erkennen. Es versteht sich von selbst, daß diesem wiederum alles spezielle Denken untergeordnet sein muß (deutsche Mathematik, Biologie usw.). Intendieren und Verstehen bleiben so lange „uneigentlich“, brüchig und kontingent, solange der Einzelne nicht in den Tod „vorläuft“, das heißt durch vollständige Abtrennung von allem Lebendigen und Seienden ekstatisch in die Sphäre des zeitlich-überzeitlichen Seins hineingeht. Auch dann wird es nicht ganz hell, sondern es erscheint bloß ein Lichtschimmer (eine „Lichtung“) im ewigen Dunkel des Gemütes, das nur „glauben“ und „für-wahr-halten“ kann, da Wahrheit von Unwahrheit nicht zu unterscheiden sei.

Für Heidegger liegt die Erfüllung in etwas, das jeden wachen Menschen erschaudern läßt, weil er in ihm eine entsetzliche Verengung des Lebens erkennt: „Dasein ... hat sich, in welcher mythischen und magischen Auslegung auch immer, je schon verstanden. Denn sonst `lebte` es nicht in einem Mythos und besorgte nicht in Ritus und Kultus seine Magie.“ (Sein und Zeit S. 313; Hervorhebungen von Heidegger) Der Gebrauch der Präsensform macht klar, daß Heidegger ein solches soziales Leben als ein natürliches, immer gültiges Ideal ansieht. Seine Inhalte hat er offensichtlich den zeitgenössischen Kitschbildern vom „primitiven“ Dasein und vom christlichen Mittelalter entnommen, die alle historische Wirklichkeit zu einem Brei scheinbarer Homogenität verrührten. Realiter handelt es sich um die Ontologisierung eines antiindividuellen, pseudo-volksstammlichen und rationalitäts­feindli­chen Zwangsgebildes, das nur mit terroristischen Mitteln installiert werden kann. Ein Projekt diesen Zuschnitts verfolgten nur die Nationalsozialisten. Und nur „On­to­logen“, die die tatsächliche Anwendung der erforderlichen Gewalt befürwor­teten, konnten behaupten, daß in der Vernunft selbst, in der von Descartes geforderten Bedachtsamkeit, Pflicht des Prüfens und Verantwortlichkeit des Menschen der Mißbrauch und die Hybris lauert. Ihre Feinde hängen der Vernunft selbst die Vorspiegelung unvernünftiger, rücksichtsloser Menschen an, daß sie vernünftig seien, um die Vernunft überhaupt auszuschalten. Kein Denken, das sich auf einen abgetrennten, bornierten Lebensverbund verengt, kann menschenfreundlich sein!

Hinter der Unverantwortlichkeit, einen bleibenden und berechtigten Kern aus der klumpigen Erkenntnistheorie Heideggers „herauszuheben“, muß selbstredend ein nichtphilosophisches Motiv stehen. Es ist die kulturelle, politische und ökonomische Hegemonie des „Amerikanismus“, die mit der heideggerianischen Zurückweisung des europäisch-west­lichen Universalismus getroffen werden soll. Die Volte verweist auf alternative Potentiale, die Habermas besonders in seiner unsäglichen Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 anrief: die „Religion“ und die asiatische bzw. arabische „Kultur“. Deren Potentiale sollen gar nicht überzeugend spezifiziert, sondern dem Amerikanismus als Reserve und Drohung entgegengehalten werden. Denn auch die terroristischen Extremisten gelten Habermas als religiös und der Kultur zugehörig. Wenn er zum „Dialog“ mit ihnen aufruft, gibt er unter dem Vorzeichen eines angewandten kommunikativen Handelns dessen demokratische Forderungen preis. Wird der Teufel eingeladen, um realpolitische und ökonomische Machtmißbräuche als scheinbare Auswüchse der Vernunft niederzuringen, dann wird er nicht diese, sondern das offene, gewaltenteilige und Grundrechte gewährende Gesellschaftsprinzip ausschalten.

Die Affirmation von Heideggers Vernunftkritik adelt die philosophische Schlampigkeit des üblichen hermeneutischen Ansatzes. Im Gegensatz zu der Absolution, die Hannah Arendt Heidegger erteilt hatte, unterstützt sie es konzep­tio­nell, dem NS-Engagement Heideggers „moralisch enthaltsam“ zu begegnen (Habermas) und läßt den Nazismus als Geburtshelfer einer zukunftsträchtigen Wahrheit erscheinen. Arendt hatte nur in einem mitleiderregenden Akt der Selbstverleugnung den Philosophenberuf lächerlich gemacht, wenn sie Heidegger eine politikblinde déformation professionelle zugute hielt. (Diese gleichsam amtliche Bescheinigung für geistige Behinderung wird nun von Heideggers Verteidigern stolz herumgezeigt.) Die Anwendung der von ihr entwickelten Analytik des Totalitären auf Heideggers Denken ist dagegen heuristisch ungemein förderlich.

„Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts“. Die „denkende Verneinung“ ist „nur eine Weise des nichtenden ... Verhaltens. ... Abgründiger als die bloße Angemessenheit der denkenden Verneinung ist die Härte des Entgegenhandelns und die Schärfe des Verabscheuens. Verantwortlicher ist der Schmerz des Versagens und die Schonungslosigkeit des Verbietens. Lastender ist die Herbe des Entbehrens.” (Was ist Metaphysik? 1929; alle Hervorhebungen von Heidegger.)

Die pronazistische Heidegger-Verteidigung

„Das Nichts, davor die Angst bringt, enthüllt die Nichtigkeit, die das Dasein in seinem Grunde bestimmt, der selbst ist als Geworfenheit in den Tod.”
(Sein und Zeit 1927, S. 308)

Es kann keinen Zweifel darüber geben, welchen politischen Kräften die Bestätigung der heideggerschen Vernunftkritik am meisten nützt. Sie hat keine starken Kriterien, die sie vor dem Abgleiten in die gezeigten inhärenten Konsequenzen bewahren würde. Sie will jene wohl auch nicht haben, denn ihre Hoffnungen gehen auf eine „aufgeklärte“, antitechnizistische Diktatur mit gewissen Demokratie- und Wohlstandselementen unter der Ägide einer diskursbestimmenden Philosophenkaste. Nutznießer dieses Traums sind die postnazistischen nationalen Sozialisten, die ihren Mythos von einem möglichen „guten“ Nazismus ohne weiteres applizieren können. Dies können sie auch dann, wenn sie selbst gar nicht in der Lage sind, sich argumentativ auf der wahrheitstheoretischen Metaebene zu bewegen.

So im Fall von Henning Ritter. Zunächst übererfüllt er in seiner Polemik gegen Emmanuel Faye (FAZ am 29.10.2005) ein imaginatives Soll an Abgrenzung zum nazistisch „infizierten“ Heidegger und stellt heraus, der dieser die Denkfiguren und Begriffe seiner Philosophie „rückhaltlos“ in den NS investiert hätte. Doch er kann kein einziges Zitat präsentieren, das Heidegger als humanistisch und konstruktiv gesinnten Autor ausweisen würde, der er als uninfizierter Denker doch gewesen sein müßte. Er belegt nicht einmal, daß Heidegger den Virus bald wieder aus seinem Kopf hinausgeworfen hätte. Stattdessen findet es Ritter „schwer zu erklären“, daß Heidegger 1953 seine Rede von der ´inneren Wahrheit und Größe der Bewegung´ „unverändert stehenließ“. (Das stimmt nur inhaltlich, wörtlich hatte er ehedem „des Nationalsozialismus“ geschrieben). Denn selbst beim infizierten Heidegger könne ja wohl keine „kohärente nationalsozialistische Philosophie“ gefunden werden. Aber was! Es gab keine einzige solche Philosophie. Alle theoretischen nazistischen Texte von Hitler bis Rosenberg waren Konglomerate aus verkrüppelten Soziologismen, die vor allem Haß- , Eroberungs- und Diskriminierungsphantasien transportierten. Eben solche, nun sogar ontologisch untermauerte Phantasien präsentierte Heidegger während seines Rektorates und danach im (entstellenden) Rekurs auf Nietzsche, Parmenides und Heraklit.

Die Hervorkehrung einer haarsträubenden historischen Unkenntnis und Naivität gegenüber Heideggers durchgängigem Extremismus dient aber nur der Vorbereitung auf einen haßerfüllten Schlag gegen Faye, für den Ritter die von Habermas, Gadamer und Derrida zurechtgezimmerten Vorlagen zu einer tödlichen Waffe umschmiedete und mit dem er sich als Pronazist outet. Sei nicht Emmanuel Fayes Philosophie – der abendländisch-westliche Universalismus á la Descartes – , mit der die nationalsozialistische Infektion der Philosophie exorziert werden solle, verhängnisvoller als die Infektion selbst? Nun, dann war es doch richtig, daß sich Heidegger infizieren ließ, und zwar als Philosoph und schon lange vor 1933! Dann ist es gut, wenn seine Philosophie in „ihrer äußersten Verklammerung mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und mit der Erfahrung der durch ihn geprägten Generation“ als legitime nazistisch-völkische Reaktion auf den destruktiven cartesianischen Internationalismus überdauert! Äußerst verklammertes Denken, also die reflexionslose Übernahme gerade herrschender Sozialaffekte soll Philosophie sein? Wer ist diese „Generation“ und welche Erfahrung hat sie gemacht?

Vermutlich träumt Ritter, daß ein „guter“ nationaler Sozialismus in Ge­stalt eines sinnstiftenden, sozial verbindenden Autoritarismus nach dem Vorbild des katholizistischen Sozialideals möglich war oder wäre. Für Gutgläubige und flüchtige Leser scheint Heidegger genau dafür der geeignete geistige Führer zu sein (weshalb er auch die Sympathien vieler Katholiken hat). Doch eben dies träumten viele Rechtskonservative in der Weimarer Zeit und sahen in den Nazis diesbezüglich keine Gefahr. Mit Hilfe ihrer politischen Führer kam Hitler schließlich an die Macht. Denn sie wußten, daß eine solche Gesellschaft nicht ohne enorme Gewalt herstellbar ist, zu deren Anwendung sie selbst nicht bereit waren. Um den Traum zu erfüllen, muß man also den Teufel gewähren lassen. Der schafft es, aber wer hat dann die Macht? Dem Traum von einem nicht massenmörderischen Nazismus hingen auch Hans-Georg Gadamer und Otto Pöggeler an, die gleichsam die Umkehrung der These Emmanuel Fayes, daß Heidegger den Nazismus in Philosophie eingeführt habe, in die Welt setzten: Heidegger hätte vielmehr die Philosophie in den Nazismus einführen wollen. Wäre der NS-Staat für Heideggers angeblich individuali­täts­freundliches Seinsdenken offen gewesen, hätte er quasi humanisiert werden können und wäre womöglich nicht zu einem reinen Vernichtungssystem entartet.

Auch solche Suggestionen rechnen mit einem geschichtsunkundigen Somnambulismus von Rezipienten mit profunder Heidegger-Unkenntnis. Heidegger gehörte zu den konservativen Revolutionären, die den Nazismus auf der moralischen und soziologisie­renden Ebene bewußt mit vorbereiteten. Er entschied sich für die „konservative Revolution“ in der Form des „legal“ zur Macht gelangenden NS. Dessen Gewalt- und Vernichtungsziele waren von Anfang an bekannt und erlebbar. Otto Pöggeler selbst verriet, daß Heidegger die 1931 bekannt gewordenen Pläne der Nazis begrüßte, im Falle einer Machtergreifung die „Boxheimer Mittel“ anzuwenden – die Verhaftung bzw. Liquidierung von politisch oppositionellen Personen unter dem Vorwand der Rettung des Staates. Das geschah tatsächlich 1933 im Zusammenhang mit dem inszenierten Reichstagsbrand und in Gestalt der ersten Konzentrationslager. Nur wenige der konservativ-revolutionären Ideologen wirkten wie Heidegger und Carl Schmitt tatkräftig am Vollzug der „nationalen Revolution“ mit, der machtstaatlichen Etablierung des NS. Als Anhänger der 1934 entmachteten röhmschen SA-Fraktion und ihrer Ideologie der permanenten Revolution wiederum hielt Heidegger dem NS bis zum Kriegsbeginn 1939 vor, daß er nicht konsequent sei – indem er das angeblich anstehende seinsgeschichtliche „Ereignis“ der „Sammlung des Volkes“ nicht befördere (Beiträge zur Philosophie, 1938).

Ausschlaggebend aber ist, daß der Nationalsozialismus von Heidegger selbst und seinen genannten Anhängern als an sich legitime politische Bewegung ausgegeben wird, an der nur ihre (angebliche) Entartung zu verurteilen wäre. Der NS erscheint als notwendige Defensivreaktion, deren Radikalität mehr durch das „Diktat von Versailles“ und die Bedrohung durch den Kommunismus zu verantworten ist, als durch ihn selbst. Eine massivere und gefährlichere Rechtfertigung des Nazismus gibt es aber nicht. Denn sie ist an demagogischer Raffinesse und Reichweite aller direkten neonazistischen Agitation überlegen, die ihre gewaltsamen Inhalte allein schon auf Grund des martialisch-aggressiven Auftretens nicht verbergen kann. Diese Rechtfertigung ist das nazistische Gift, das in den intellektuellen und staatstragenden Schichten weiterwirken kann und dies oft genug auch tut.

Wer auf solche Wirkungen vertraut, wagt sich weiter und leugnet den Holocaust oder die Existenz der Gaskammern – oder versucht, solche Leugner zu schützen. Joseph Hanimann suggerierte in der FAZ vom 9.10.2006, daß der Verlag Gallimard die Ausgabe des von François Fédier zusammengestellten Bandes gegen Emmanuel Faye nur deshalb stoppte, weil er von Faye bedroht wurde: zuerst potentiell, da Fédiers Text persönliche Invektiven gegenüber Faye enthielt, dann aber, nachdem Fédier diese aus dem Text eliminiert hatte, direkt mit dem Vorwurf, er enthalte negationistische, d.h. den Holocaust leugnende Positionen. Fédier müsse laut Faye als Negationist gelten, da er von zwei Briefstellen des Negationisten Jean Beaufret eine andere, entlastende Lesart biete. Zunächst ist es lächerlich zu behaupten, Faye könnte Gallimard mittels eines bloßen Vorwurfs in die Kniee zwingen. Übersehen werden soll dadurch, daß Hanimann verschweigt, worin diese Lesart Fédiers bestehe. Dieser selbst behauptet, man könne die Existenz der Gaskammern in Zweifel ziehen, ohne die Vernichtung zu verneinen (que l'on peut „mettre en doute l'existence des chambres à gaz“ sans „nier l'extermination“; zitiert nach „Heidegger à perdre la raison“ in Le Monde des livres vom 28.09.2006).

Damit ist der Holocaust überhaupt in Zweifel gezogen, denn von einer anderen Methode ist nichts bekannt, mit der so viele Menschen in kurzer Zeit in den Vernichtungslagern getötet worden wären. Die Argumentation ist daher pronazistisch und tangiert die auch in Frankreich strafbare Leugnung des Holocaust im Innern. Das bedeutet, daß die französische Staatsanwaltschaft einschreiten muß, wenn diese Meinung Fédiers gedruckt wird. Hanimann nun würde sich in die Reichweite der deutschen Justiz bringen, wenn er erklärte, daß er einen gemäßigten, scheinbar nicht strafwürdigen Negationismus für tolerabel hält. Er versteckt diesen hinter dem konfusen Vorwurf gegenüber Faye, dieser würde das ermüdende „Ritual“ von Behauptungen des philosophischen Nazismus Heideggers und ihren Widerlegungen mit der „Moralkeule“ des Negationismus unterbinden wollen.

Nicht konfus, aber mit einem nazistischen Argument par excellence verteidigte Hanimann in der FAZ vom 5.2.2007 Heideggers Rassismus, indem er sich auf Alexandre Schild berief. Dieser schreibt, Emmanuel Faye verwechsele eine faktische mit einer normativen Aussage: für Heidegger wäre die Rassenauswahl „metaphysisch notwendig“ gewesen, was jedoch nicht „positiv“ und „wünschenswert“ bedeute, sondern „notwendig“ aus der inneren Logik einer bestimmten Situation heraus. Wir haben hier totalitäres Denken in Reinkultur vor Augen – die Rassentheoretiker haben die „metaphysische Notwendigkeit“ der Rassentrennung selbst erfunden, sie haben nur die gemeinsten und widerlichsten Begründungen für sie, sie haben keinerlei reales „Sein“ „gehört“. Sie fordern zur Auslöschung der Menschlichkeit auf, die die Aussonderung von Menschen nicht positiv und wünschenswert findet. Als Beobachterin einer Erschießung polnischer Juden übermannte Leni Riefenstahl ein Weinkrampf. Aber kurz danach traf sie Hitler zu einer Arbeitsbesprechung. Offenbar brachte er ihr die Notwendigkeit des Tötens nahe.

Wie man sich zum NS ohne unangemessene moralische Bewertung verhält, zeigt exemplarisch wiederum Fédier, indem er den Begriff Gleichschaltung mit „mise en harmonie“ übersetzte. Das deutsche Wort verdeckt die tatsächliche Dimension, die die Unterwerfung aller Behörden und Organisationen unter den persönlichen Willen Adolf Hitlers hatte, aber nicht die machtstaatliche, disziplinierende Absicht. Fédier gibt dem Begriff jedoch bewußt einen völlig unpolitischen, euphemisierenden Inhalt. Indem er damit jeden Distanzierungsversuch gegenüber Heideggers euphorischer Zustimmung zur Gleichschaltung unterlaufen will, betätigt er sich als Werber für das nazistische Führer- und Gewaltstaatsprinzip. Als langjähriger Mitherausgeber der „Heidegger-Studien“ hat er sicherlich einen erleichterten Zugang zu noch nicht veröffentlichten Skripten Heideggers und kennt so die zeitliche und inhaltliche Dimension von dessen NS-Engage­ment sehr genau. Gerade an seiner eklatanten Überverharmlosung und Perversion durch Fédier muß sich der Verdacht entzünden, daß dieses Engagement noch weit unerhörter, umfassender und abstoßender war, als bislang ermittelt werden konnte.

Die pronazistischen Verteidiger Heideggers leugnen und verharmlosen seine wirklichen Intentionen, weil sie sie kennen und bejahen. Sie hoffen, daß dadurch der von ihm transportierten Gesinnung noch eine anhaltende, untergründige Wirksamkeit beschieden sein kann. Dabei können sie sich auf die allgemein übliche Verstümmelung und desinformierende Auslegung seiner Texte verlassen und mit der Schützenhilfe affektgetriebener Erkenntnistheoretiker rechnen. Auch Hermann Heidegger hilft ihnen. Als Inhaber der Urheberrechte an Martin Heideggers Schriften und Briefen sucht er nach Möglichkeit, diejenigen von ihnen zu unterdrücken, aus denen der Teufel selbst hervorscheint. In gewissem Sinne ist dieses Unterfangen aussichtslos, da Heidegger seinen Sohn beauftragt hat, sämtliche Manuskripte nach einem bestimmten Plan sukzessive in einer Gesamtausgabe zu publizieren. Die in den letzten Jahren erschienenen Bände offenbaren eine klare Tendenz: der Anteil der Texte aus letzter Hand, die Heidegger belasten, nimmt stetig zu. Es läßt auf Verschleppungsabsichten schließen, daß sich das Editionstempo merklich verlangsamt. Hermann Heidegger hat die Texteinsicht im Deutschen Literaturarchiv Marbach untersagt und blockiert jegliche Editionen außerhalb der offiziellen Gesamtausgabe. Aber zum Schluß muß doch alles heraus! Hofft er darauf, daß er das nicht mehr erlebt? Kann er darauf hoffen, daß sein Nachruhm nicht darin besteht, er hätte einen ausgemachten Gedankenverbrecher zu decken versucht?

Das kann er nicht, wie wir gleich sehen werden. Silvio Vietta verkündete in der FAZ am 18.10.2006 die Sensation, daß die verschollen geglaubte Originalschrift von Heideggers berühmter „Logik“-Vorlesung von 1934 wiederaufgefunden wurde. Um daraus zu zitieren, mußte er Hermann Heidegger um Erlaubnis fragen. Daß diese offenbar sehr begrenzt ausfiel, gab Vietta ein weiteres Motiv dafür, falsche Fährten zu legen. „Allerdings wenn dieses Flugzeug den Führer zu Mussolini bringt, dann geschieht Geschichte.“, notierten die damaligen Hörer Wilhelm Hallwachs und Helene Weiß. Vietta dagegen wählt die indirekte Rede von einem Verweis Heideggers „auf jenes Flugzeug, mit dem Hitler den Duce in Venedig besuchte“ und interpretiert dies „als ein Beispiel für museale Geschichtlichkeit auch eines technischen Geräts“. Als Zitat erscheint nur die Fortsetzung Heideggers, „der Flug“ sei „ein geschichtliches Geschehen“ und das Flugzeug „wird vielleicht später einmal im Museum aufgestellt“. Heidegger hätte dies, vermutet Vietta, „mit einem gewissen aleman­nischen Schmunzeln“ vorgetragen. Überhaupt komme die „Tagespolitik“ des Dritten Reiches „also nur am Rande“ vor. Dann wäre Heidegger ja geradezu aufmüpfig gewesen, indem er das historische Ereignis in die Harm- und Folgenlosigkeit des nur museal Geschichtlichen hinuntergezog und die übrigen aktuellen Handlungen des Führers einfach ignorierte!

Hier paßt nichts zusammen, was zur Rettung Heideggers aufgeboten wird. Erst recht muß Vietta bei der Konstruktion einer Zusammenfassung des unpolitischen philosophischen Gehaltes des Vorlesungsskriptes scheitern. Heidegger sei es um die „Aufhellung jener impliziten Vorurteilsstrukturen“ gegangen, denen die Neuzeit und verstärkt die Moderne aufsitzen würden. Er habe versucht, „ein neues Weltzeitalter eines mündigen Menschen vorzubereiten, der eine seinsverantwortliche Weltpolitik betreiben kann“. Ein so unglaublich dummer Satz kann nicht gebildet werden, wenn die Worte nicht gleichzeitig etwas Wesentliches verbergen wollen. Heidegger sprach laut Helene Weiß einfacher: „Ein Volksganzes ist also ein Mensch im Großen.“ Dasein als „je meines“ besage, daß „mein Sein dem Miteinander und Füreinander“ übereignet sei – dem Volk als „wir selbst“. Wenn wir Viettas Satz über Heideggers Aussagen legen, kommt also folgendes zum Vorschein: die Moderne erliegt den Vorurteilen des Internationalismus, der individuellen Freiheit und des zivilisatorischen Fortschritts, das neue Weltzeitalter muß von dem großen Menschen-Wir Deutsches Volk herbeigeführt werden, da dieses allein über das nötige Wissen vom geschichtsmächtigen Sein verfügt – dank seiner, Heidegger selbst. In der vorhergehenden Vorlesung hatte er ihm die Aufgabe zugewiesen, „die Grundmöglichkeiten des urgermanischen Stam­mes­we­sens auszuschöpfen und zur Herrschaft zu bringen“ (Vom Wesen der Wahrheit 1933/34).

Es ist klar, daß sich Vietta in privilegierter Kenntnis von Heideggers originaler Rede nicht von ihrer durch und durch nazistischen Stoßrichtung abgrenzen will. Er mag diese als solche nicht unterstützen, aber er will einen scheinbar überpolitischen Gehalt, den er ihr zuschreibt, weiter transportieren. Der Unsinn vom mündigen Menschen, der eine seinsverantwortliche Weltpolitik betreiben kann, geht auf den Heidegger von 1955 zurück: Nietzsche habe ein Geheiß gehört, „das eine Vorbereitung des Menschen für die Übernahme einer Erdschaft” verlange (Zur Seinsfrage). Heidegger fuhr fort, daß das Geheiß auch „den entbrennenden Kampf um die Herrschaft” verlange. Was bedeutet das? Halten wir vergleichsweise dagegen, was er selbst 1934 forderte und was Vietta unterschlägt: den Weltkrieg als Auftrag der Deutschen und Mittel zur Weltrettung, zu dessen Auslösung sich der Führer damals noch nicht entschließen konnte. „Der Weltkrieg als geschichtliche Macht ist noch gar nicht in die Zukunft eingebaut.“ (nach Helene Weiß).

Als dieser in einem ungeheuren Desaster für die Aggressoren endete, änderte sich deren Weltsicht aber nicht. Seit Hiroshima phantasieren alle totalitären Weltherrschaftsträumer, von den Nazis, Faschisten und Stalinisten über die Scientology Church bis zu den islamistischen Terroristen den weltweiten Atomkrieg, dessen Ausgang zeigen werde, ob „Asien“, „Europa“, „Amerika“, der „Sozialismus“, die „Religion“ oder der „Islam“ vom Sein als Weltmacht auserkoren ist. Heidegger wählte das Bild, der Kampf um die Herrschaft sei aber kein Krieg, sondern der polemos, „der Götter und Menschen, Freie und Knechte erst in ihr jeweiliges Wesen erscheinen läßt und eine Aus-einandersetzung des Seins heraufführt. Mit ihr verglichen, bleiben Weltkriege vordergründig.” (Zur Seinsfrage 1955).

Wer Heideggers überdauerndes Denken empfiehlt, indem er die grenzenlose Aggression innerhalb seiner Katastrophik systematisch unterschlägt, rechnet mit dummen Lesern, die sich der Katastrophik angstvoll anschließen, und mit solchen, die weiterlesen und auch die Aggression plausibel finden. Das Faß ist aber mit den letzten Zitaten noch nicht bis zum Boden geleert. Zunächst ist es dank Hermann Heidegger nicht möglich, die Hörermitschriften der Logik-Vorlesung mit dem Originalskript zu vergleichen! Dessen Eigentümer wollten es in einer Autographenhandlung versteigern lassen. Hermann Heidegger bedrohte sie jedoch mit Klage, weil sie zwei Seiten in Faksimile in ihrem Katalog abgedruckt hatte. Daraufhin zog sie das Skript verschreckt zurück. Nicht einmal Helmut Kohl kämpfte erbitterter darum, daß die Akten des DDR-Staatssicherheitsdienstes über ihn nicht allgemein zugänglich würden. Was will Hermann Heidegger hinausschieben? Stehen im Skript Sätze von außerordentlicher Bedeutung, die noch niemand außer ihm kennt? Das kann mit hochgradiger Sicherheit angenommen werden. Heidegger entwarf und schrieb den Vorlesungstext, als er noch amtierender Führerrektor in Freiburg war und hoffte, an die Spitze der NS-Dozentenschaft zu gelangen, das heißt der Herrscher über das akademische Denken im Deutschen Reich zu werden. NS-Funktionäre hatten ihm nach seinen ersten beiden Vorlesungen als Führerrektor im Dritten Reich vorgeworfen, er würde einen „Privatnationalsozialismus“ betreiben.

Was, wenn Heidegger in seiner dritten Vorlesung eben dies durch parolengerechte und weit voraus eilende politische Schlachtrufe ausräumen wollte, diesen Vorsatz aber nach seinem Rücktritt und dem Zusammenbruch seiner Hoffnungen wieder aufgab? Wenn die zitierte Aufforderung zu einem neuen Weltkrieg nur noch ein Rudiment noch ungeheuerlicherer Sätze wäre? Wenn er auf die Notwendigkeit von Massentötungen außerhalb Deutschlands anspielen wollte und eine Forcierung der „Lösung der Judenfrage“ forderte, um sich dem nichtintellektuellen Hitler direkt zu empfehlen? Dann enthielte das Skript die terminierenden Bomben für jede affirmative Heidegger-Betrach­tung. Es ist leicht zu erklären, daß Heidegger die Blätter in den 50er Jahren einer ahnungslosen Sekretärin schenkte. So verschwanden sie gleichsam, ohne vernichtet zu sein. Er hing am Korpus des Textes, wie er ihn ja dann vorgetragen hatte, und war stolz auf seine kompositorische Leistung. In der Tat atmet der Vortrag eine selbstgewisse Bedächtigkeit, wie sie Sein und Zeit vollkommen abgeht. Aber das Originalskript sollte nicht Bestandteil der geplanten Gesamtausgabe werden, weil es ihren Zweck hätte gefährden können: Die Gesamtausgabe ist ein einziges großes Bekenntnis Heideggers zur Einheit seines Werkes und Denkens in allen Ausdrucksformen, allen Inhalten und über alle Zeitphasen hinweg!

Nichts rettet Hermann Heidegger vor seiner Verantwortlichkeit als die sofortige Genehmigung zur Veröffentlichung des Skriptes der Logik-Vorlesung als Trans­skription und Faksimile. Das gilt auch für die Vorlesung Der Anfang der abendländischen Philosophie (Anaximander und Parmenides) vom Sommer 1932, die schon für 2004 angekündigt war. Die Verzögerung spricht dafür, daß der Herausgeber keine Lösung für das Problem findet, eine direkte Bezugnahme Heideggers auf Hitler zu vertuschen. Eine solche ist sehr wahrscheinlich, da Heidegger bekanntlich schon 1930 nach dem rief, „der unserem Dasein einen Schrecken einzujagen vermag“ (Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik 1929/30) und damit zweifellos Hitler meinte. Hermann Heidegger wird vom Leben bestraft werden, wenn er zu spät kommt. In verschiedensten Archiven und Nachlässen, die er nicht kontrollieren kann, warten noch viele Briefe, Texte und notierte Aussagen seines Vaters darauf, von unnachgiebigen Forschern entdeckt und bekannt gemacht zu werden. Es ist die Sache wert, wenn Hermann Heidegger dann zum Mittel eines Prozesses greifen sollte. Nicht sein Wunschbild vom Vater ist wichtig, sondern das Wissen um das Denken und Tun der einflußreichen öffentlichen Person Heidegger. Die Möglichkeit, es zu vervollständigen, ist ein Bürgerrecht. Wenn sich Hermann Heidegger an die Zivilcourage erinnert, die er einmal als Bürger gezeigt hat, wird er gegen alle schlechten Berater alle Handschriften Heideggers aus den Jahren 1930 bis 1945 als Faksimiles bereitstellen!

„Feind ist derjenige und jeder, von dem eine wesentliche Bedrohung des Daseins des Volkes und seiner Einzelnen ausgeht. Der Feind braucht nicht der äußere zu sein, und der äußere ist nicht einmal immer der gefährlichere. Und es kann so aussehen, als sei kein Feind da. Dann ist Grunderfordernis, den Feind zu finden, ins Licht zu stellen oder gar erst zu schaffen, damit dieses Stehen gegen den Feind geschehe und das Dasein nicht stumpf werde. ... und den Angriff auf weite Sicht mit dem Ziel der völligen Vernichtung anzusetzen.“

(Vom Wesen der Wahrheit 1933; Hervorhebungen von mir, R.L.)

Heideggers nationalsozialistische Utopie: die „Eigentlichkeit“

„Die höchste Gestalt des Schmerzes aber ist das Sterben des Todes, der das Menschsein opfert für die Wahrung der Wahrheit des Seins. Dieses Opfer ist die reinste Erfahrung der Stimme des Seins. Wie aber, wenn dasjenige geschichtliche Menschentum ..., das deutsche ... zuerst die Stimme des Seins vernehmen muß! Müssen dann nicht hier die Opfer sein, gleichviel, durch welche Ursachen im nächsten sie ausgelöst werden, da das Opfer in sich sein eigenes Wesen hat und keiner Ziele und keines Nutzens bedarf!“ (Parmenides 1942/43)

Die folgende Analyse von drei Kardinaltheoremen Heideggers will zeigen, daß er die philosophische, sozialpsychologische und polittheoretische Ebene, auf der er glaubt bzw. vorgibt zu argumentieren, überhaupt nicht erreicht. Insofern die Heidegger-Interpretation seinen bloßen formalen Habitus als Beweis dafür nimmt, seine Positionen lägen auf diesen Ebenen, hat sie selbst keine substanziellen Maßstäbe. Auch aus diesem Grunde werden Kernaussagen Heideggers innerhalb seiner Theoreme so behandelt, als wären sie nicht existent. Solcher Interpretation muß daher entgehen, der sie es mit nichts anderem als einer zunächst larvierten, dann aber offenen totalitären Herrschaftstheorie zu tun hat.

Der Begriff des „Daseins“ wird von Heidegger aus zwei verschiedenen Perspektiven heraus entwickelt und dargelegt, die zu seiner einheitlichen, bestimmten Bedeutung führen. Gelegentlich bezieht er sich auf das allgemeine und unspezifische „menschliche Leben“ und bloße Existieren, aber dies ist mehr ein Rudiment aus einer früheren Bildungsstufe. Systematischerweise bezeichnet er einerseits das Da-sein von Einzelnen in einem geschlossenen sozialen Zusammenhang (Welt) in der Weise ihres jeweiligen aktiven oder passiven psychischen Bezuges (Gemüt) auf diesen. Dieser Bezug ist aber durchaus nicht individuell und frei gestaltbar, sondern unterliegt einer Determination (Geschick) durch die jeweilige Welt. Hier ist es die Perspektive vom Einzelnen zur kollektiven psychischen Wesensart hin. Die zweite Perspektive besteht im Blick gleichsam von diesem Determinans her auf den bzw. die Einzelnen. Das „Sein“ des Daseins (Geist, Seele) und sein Sinn werden von Heidegger als eigenständige, transzendente Entitäten angesehen, die mächtig sind bzw. es werden, wenn die Einzelnen imstande sind, uneigentliche Determinationen des realweltlichen, verfallenden Daseins zurückzudrängen und sich auf die seinsmäßigen Möglichkeiten zu beziehen.

„Dasein“ ist demnach in jedem Einzelnen als ein Allgemeines (Schicksal) wirksam und kann von jedem Einzelnen als solches Allgemeines bezogen werden. Es ist „geistig“, aber gleichwohl nicht universell und zeitlos, sondern „räumlich“ (Sein und Zeit Drittes Kapitel und S. 417) und auf eine historische Epoche begrenzt (Seminar über Zeit und Sein 1962). Dieses nichtkontingente, nicht einzelne, „seiende“ Dasein ist das wahre Selbst des Einzelnen, das Ganze seiner Welt, das ihn übergreift und überdauert. Wir haben hier eine intellektuell durchfällige Konstruktion vor uns, die philosophiehistorisch nahezu singulär ist. Ihre distanzlose Lehre ist geeignet, die Reputation eines ganzen Berufsstandes zu untergraben. Des­cartes hätte wohl einen „räumlichen“ Geist so kommentiert: „Alors, mai oui, on peut s´imaginer un cheval avec des ailes ...“

Entweder ist etwas geistig, dann ist es unbegrenzt allgemein und immer gültig. Dies ist nicht nur die akademische Definition von Geist, sondern notwendig anzunehmen, sofern Geist als existent angesehen wird. Geistig bedeutet immateriell, etwas Immaterielles kann aber keine räumliche oder zeitliche Grenze haben. Soll dies der Fall sein, handelt es sich entweder um ein Materielles oder um einen psychischen Rahmen, der als innere Bewegtheit an ein materielles Gebilde, an einen belebten Körper gebunden ist und diesen weder räumlich noch zeitlich übersteigt. Sollte eine Ausstrahlung (Information) gemeint sein, die nur phasenweise eine begrenzte Zahl von Individuen erreicht, dann handelt es sich ebenfalls noch nicht um Geist. Geist ist als jeweilige Erkenntnis eines wirklichen, unbegrenzten Allgemeinen etwas schlechthin Offenes und erreicht zu allen Zeiten alle Wesen, die sich zu ihm hin öffnen.

Einen determinierenden Geist, der über historische Zeitepochen hinweg nur in angeblich geschlossenen Lebenszusammenhängen wirkt und wesentlich, von sich aus gegenüber anderen Zeiten und anderen Welten abgeriegelt ist, kann es nicht geben. Heideggers Konstrukt muß also einer nichtphilosophischen Absicht, einem Ideologem folgen. Aus seiner Folgebestimmung des Gesche­hens des Daseins als Mitgeschehen, Geschick und „Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes“ (Sein und Zeit S. 384) wird leicht ersichtlich, daß es sich um das Ideologem der völkischen, rassischen bzw. landschaftlichen Daseinsweise der Menschen nach Maßgabe eines Kollektivgemüts handelt. Heidegger vermied es bis 1933, von „Daseinen“ zu sprechen, um seine Leser und Hörer nicht daran zu hindern, sich ohne äußere Hinführung auf das eigene, deutsche Dasein zu fokussieren, vor dem alle anderen Daseine ohnehin verblassen sollten. Zwischen 1933 und 1945 ging es ihm um die Versicherung, daß dem deutschen Dasein (Wesen) die Dominanz der kommenden Epoche vorbehalten sei, die keine Relativierung durch die Erwähnung anderer seinshafter Welten erlaubte. Nach 1945 überließ er es dem „Sein“ selbst, sich seinen Daseins-Favoriten zu wählen. Zum Zeichen, daß er sich nicht mehr einmische, sprach er nicht mehr vom Dasein, sondern vom „Arbeiter“ als Soldaten.

Auf einer scheinbar fundamentalen sozialpsychologischen Ebene bewegt sich Heideggers Theorem vom „Vorlaufen in den Tod“. Von Erkenntnistheorie kann hier keine Rede sein, denn das einzelne Dasein erkennt durch das Vorlaufen nichts Wirkliches außerhalb seiner selbst. Im Vorgriff auf die Ganzheit des eigenen Lebens, die sich mit dem Tod herstelle, ergreife der Einzelne seine „eigensten Möglichkeiten“, die mit den Seinsmöglichkeiten des (kollektiven) Daseins identisch sind. Das Vorlaufen als mentaler Bezug auf die völlige Selbstaufgabe im Tod mündet in die Eigentlichkeit und Entschlossenheit, das virtuelle historische Schicksal aktiv zu unterstützen. Dieses Theorem ist also ein Motivationskonstrukt. Daß es nicht um den Tod an sich und die reale Selbstaufgabe geht, stellte Heidegger in ausreichendem Maße klar (Sein und Zeit S. 264). Sein Ziel wird greifbar, indem seine mehrfache Beteuerung beachtet wird, die theoretische und ontologische Auszeichnung des Vorlaufens basiere auf ihm als einer „ontischen Möglichkeit“, ihr Resultat, die Entschlossenheit, sei „existenziell bezeugt“ (S. 309).

Das heißt, Menschen sind tatsächlich in den Tod „vorgelaufen“ und haben dabei zu der Entschlossenheit gefunden, sich für das Sein ihres (volklichen) Daseins ganz unbedingt einzusetzen und damit für das bisher nur verfallende Leben im alltäglichen Man „eigentlich“ zu sorgen. Kein anderer Vorgang kommt für das tatsächliche Vorlaufen in den Tod in Frage als der Sturmangriff von Soldaten im Krieg. Niemand riskiert für sich allein „faktisch-existenziell“ den Tod, sondern nur für eine wirkliche, vermeintliche oder aufgezwungene kollektive Sache. Handelte es sich nur um eine sozialpsychologische Vorbereitung auf eine notwendige Verteidigung, dann hätte Heidegger nicht das offensive Bild vom Vor-laufen gewählt. Er hat also den physischen Angriffskrieg zur Daseinssicherung in das Zentrum seiner gesamten Theorie gestellt. Alle Neubestimmung und Neuorganisation des sozialen Lebens folgt aus der Entschlossenheit, die sich nur im Vorlaufen bildet. Das bedeutet, Heidegger sieht den Angriffskrieg des deutschen Daseins auf andere Daseine als Basis, Motor und Strukturvorgabe für die Umwandlung der Gesellschaft in einen von Mythos, Ritus, Kultus und Magie beherrschten sozialen Block.

Die Frage, ob es solche geschlossenen Welten als „verfallende“ oder „eigentliche“ realiter überhaupt geben kann, führt auf das soziologische und sozialphilosophische Feld. Sie muß restlos verneint werden. Nicht nur zwecks Verhinderung ausschließlicher Inzucht haben Menschengruppen und Gesellschaften untereinander vielfältige Kontakte aufgenommen. Kulturen und zivilisatorisch-technische Prozesse haben sich nur im Rahmen des Austausches und des Interesses für die Fähigkeiten anderer Sozialverbände herausgebildet und entwickelt. Das gilt auch für die Sprachen, deren angebliche exklusive Typik Heidegger als Beweis für das Bestehen wesentlich differenter Daseine behandelte. Imperiale Ausbreitungen bestimmter Kulturen ließen durch Integration der Errungenschaften der unterworfenen Menschen stets eine neue Kultur entstehen. Soziale Formationen können nur gewaltsam von anderen abgekoppelt und auf ein angeblich eigenes Wesen verengt werden. Sie zerfallen aber dann in kürzester Zeit auf Grund innerer Desorganisation und gescheiterter Expansionsversuche. Jede Rede von einem völkischen, rassischen, klassen- oder religionsspezifischen Wesensgrund, der autark und in­nerlich verbindend sei, stellt daher eine Verdummungsstrategie und ein Herrschaftsbegehren gegenüber einer betreffenden Bevölkerung dar. Deren Einzelne werden konzeptionell voneinander isoliert, um sie beherrschbar werden zu lassen. Die vehemente Ablehnung des „Universalismus“, d.h. der Existenz eines Allgemeinmenschlichen bzw. der Menschheit war das zentrale Dogma des NS.

Heideggers Herrschaftsbegehren drückt sich nicht nur in seiner dislozierten Konkretisierung der „Räumlichkeit“ des „In-der-Welt-Seins“ aus: Natur* sei geschichtlich „als Landschaft, Ansiedlungs-, Ausbeutungsgebiet, als Schlachtfeld und Kultstätte“ (Sein und Zeit S. 388.* Natur meint hier offensichtlich die natürliche Lebensweise des Menschen.). Es kulminiert in der fiktiven polittheoretischen Figur des „Helden“. Die vorlaufende Entschlossenheit mache die eigentliche Wiederholung einer gewesenen Existenzmöglichkeit möglich – „daß das Dasein sich seinen Helden wählt“ (S. 385). Es ist völlig absurd zu behaupten, daß Heidegger hier von seinem nur persönlich gewählten Helden spräche. Dies sei Nietzsche, irreführte maßgeblich Otto Pöggeler. Aber das hieße, daß sich Heidegger selbst als „das Dasein“ bezeichnet hätte. Das ist völlig ausgeschlossen. Vielmehr hatte er unmittelbar zuvor klargemacht, daß das Geschehen des Daseins im Geschick „der Gemeinschaft, des Volkes“ bestehe (S. 384). Heidegger führt hier den „Helden“ als kategoriellen Begriff ein. Kein Einzelner, sondern nur eine Volksgemeinschaft kann sich mit der Wahl ihres Helden für die „kämpfende Nachfolge und Treue zum Wiederholbaren frei“ machen. Freilich gründet die Wahl „existenzial“ in der „vorlaufenden Entschlossenheit“, das heißt in der Kampfbereitschaft der Einzelnen (S. 385).

Die Nachforschung in der historischen Literatur gibt den Aufschluß über die Herkunft und Bedeutung des Begriffs des Helden. Thomas Carlyle benutzte ihn für besonders wirkungsreiche historische Personen auf geistigem oder politischem Gebiet. Houston Stewart Chamberlain verengte ihn dann auf volkliche Heroen mit prägender historischer Kraft. Auf dieser Grundlage wiederum reservierte Max Scheler den Helden-Begriff für herausragende politische und staatliche Persönlichkeiten (im Unterschied zum „Genius“) und lud ihn soziologisch auf. Der Held komme in den Gestalten des Feldherrn, Staatsmannes, Kolonisators und des Rassenvorbildes in der Geschichte vor, mitunter in teilweiser Personalunion (Materiale Wertethik und Nachlaßschriften). Heidegger stützt sich auf diese Strukturierung eines rein euphemischen Begriffs, über die er dank seines engen persönlichen Kontaktes zu Scheler genaustens informiert war. In einem Akt erneuter Euphemisierung entwarf er den Helden als mögliche Person, die alle jene Eigenschaften in sich vereinigt.

Dafür hatte er wieder eine „existenzielle Bezeugung“ zur Vorlage. Deutschland hatte einen Kriegshelden, dem auch staatsmännische Fähigkeiten zugeschrieben wurden: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg hatte sich im Ersten Weltkrieg als Sieger der Schlacht von Tannenberg profiliert und wurde in weiten Teilen der Bevölkerung als "Held von Tannenberg" verehrt. Er war Monarchist und in diesem Sinne Gegner der Weimarer Republik, kandidierte aber auf Drängen der Rechtskonservativen 1925 für das Amt des Reichspräsidenten und wurde per Volksabstimmung mit knapper Mehrheit gewählt. Zeigenossen berichten, daß um ihn ein regelrechter „Kult“ in rituellen Formen getrieben wurde. Heideggers Rede vom Dasein, das in "Ritus und Kultus“ seine Magie besorge, erweist sich so auch als konkreter politischer Bezug. Der „Held“ Hindenburg wurde vom Dasein, dem Volke gewählt, und dies gab Heidegger einen ersten Hoffnungsschimmer (die Lichtung), daß das, was „im Heute sich als `Vergangenheit`auswirkt“ augenblicklich widerrufen werden könnte (Sein und Zeit S.386). Die Weimarer Republik konnte von nun an als historisch erledigt angesehen werden.

In diesem Sinne steht Heideggers „gewählter Held“ schon 1927 in Parallele zu Hitlers Rede von der „wahrhaftigen germanischen Demokratie der freien Wahl des Führers“ (Mein Kampf S. 99). Das „Wiederholbare“, dem „die kämpfende Nachfolge und Treue“ gelten soll, kann im intentionalen Kontext konkreterweise nur die Wiederholung des Großen Deutschen Krieges bedeuten, der die Errichtung eines deutschen Imperiums mit europäischen Ausmaßen und vielen Kolonien bezweckte. Ein rassenvorbildlicher Staatsmann-Feldherr-Kolonisator ist wiederum nichts anderes als der Führer. Denn eine solche Person ist nicht von einer Staatsverfassung getragen, sondern in erster Linie von völkischer Euphemie. Deshalb ergibt sich zwangsläufig die Gleichschaltung aller sozialen Gliederungen in Bezug auf ihn. Eine Gesellschaft, die psychologisch und machttechnisch von kriegsmutigen Entschlossenen beherrscht wird, die sich zum „`Gewissen` der Anderen“ aufgeworfen haben (Sein und Zeit S. 298), ist organisatorisch auf den totalen Krieg ausgerichtet. Diesen hatte der Generalquartiermeister Ludendorff, der damals faktisch mächtigste Mann des Staates, in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges bereits konzipiert und teilweise umsetzen können. Ludendorff wurde einer der wichtigsten Förderer von Berater von Hitler. Aus den noch aufzufindenden bzw. unveröffentlichten Korrespondenzen und Notizen Heideggers aus den 20er Jahren wird hervorgehen, daß er genau all dies im Auge hatte. Noch einmal sei Hermann Heidegger an seine Bürgerpflicht erinnert.

So werden die Konturen des „faktischen Ideals“ Heideggers sichtbar. Er hat es nicht verborgen, aber bis 1933 auch nicht deutlich hervortreten lassen. Es ist nicht seiner Erkenntnistheorie, Daseinspsychologie und politischen Theorie appliziert, sondern diese dienen ihm. Heideggers Philosophie der zwanziger Jahre ist genau das, wovon Henning Ritter fürchtet, daß es sich als eine „geschickte Übermalung kruder protonationalsozialistischer Gedanken“ entpuppen könnte. Ihr seinsgeschichtliches Auftrumpfen mit dem „Verfallen“ und der „Un­eigentlichkeit“ ist eine systematische Stimmungsmache gegen die Demokratie, gegen den Abbau sozialer Hierarchien und gegen friedliches, auslandsfreundliches kulturelles und wirtschaftliches Gedeihen. Heidegger bediente den ganzen Katalog rechtsradikaler Verdammungen und Alternativen: die Verklärung des vorindustriellen, kultisch gebundenen Bauern- und Handwerkertums, den Heldentod für die „nationale Erhebung“, die konspirative, „verschwiegene“ Bildung einer Herrschaftskaste, den ständisch gegliederten Führerstaat. Das Individuum ersetzte er durch die „Person“, deren Entfaltung einer trägen und inkompetenten Masse von Unpersonen abgetrotzt werden müsse.

Und niemand wiege sich in der Illusion, es hätte jemals eine deutsche völkische Ideologie ohne brutalen Antisemitismus gegeben. Wenn schon nur die NS-Elite (frühzeitig) an die physische Ausrottung der Juden dachte, so haben alle anderen deutschvölkisch Gesinnten deren vollständige soziale Aussonderung gewollt und begrüßt. Dieser von den Nazis realisierte soziale Mord an den Juden war die entscheidende Voraussetzung für den Holocaust. In dem Moment, als die braunen Horden in allen deutschen Städten durch die Straßen zogen und „Juda verrecke!“ brüllten, rief Heidegger zur „völligen Vernichtung“ aller Volksfeinde auf. Sein exzessiver Gebrauch des Wortstamms „nicht“ ist keine bloße rhetorische Allüre, sondern spielte grundsätzlich auf „nichtendes“ Handeln an, wie wir sahen. Der Gleichklang von nicht, Nichts, nichten, vernichten, Vernichtung, Vernichtungslager ist in keiner anderen Sprache unmittelbar wiederzugeben. Haben deutsche Philosophen die Pflicht, die inhaltliche Bedeutung von Heideggers Aussagen zu ermitteln, so sind alle anderen verpflichtet, über seine Verbalität aufzuklären, die die Inhalte durch sich selbst transportieren sollte.

Heidegger hatte gehofft, daß die „innere Wahrheit und Größe“ des NS bzw. dieser „Bewegung“ umso mehr verstanden würden, wie die Zeit ein inneres Verblassen ihrer Verbrechen bewirkte. 1953, als er dies anfangen sah und sich wieder viele Anhänger einstellten, wagte er sich mit seiner Hoffnung heraus und ließ die Wendung im Nachwort zur Einführung in die Metaphysik stehen. In der Tat, er hat bereits mit Sein und Zeit in die nationalsozialistische Metaphysik eingeführt. Es ist auch eine Art von Volksverhetzung zu behaupten, er hätte sich „geirrt“, wenn er nur ein kleines, unbedeutendes Jährchen lang in vorderster Linie als nationalsozialistischer Philosoph agierte.

„Hunderttausende sterben in Massen. Sterben sie? Sie kommen um. Sie werden umgelegt. Sterben sie? ... Sie werden in Vernichtungslagern unauffällig liquidiert.“ Sie „verenden“ (wie Tiere, R.L.). „Sterben aber heißt, den Tod in sein Wesen austragen. Sterben können heißt, diesen Austrag vermögen. Wir vermögen es nur, wenn unser Wesen das Wesen des Todes mag.” (Die Gefahr 1949)

Dieser Text wurde am 27. Januar 2007 fertiggestellt, dem 62. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Er ist dem Gedenken an alle Opfer des Nationalsozialismus gewidmet.

Für vollständige Quellenbelege und vertiefende Analysen hinsichtlich Heideggers verweise ich auf mein Buch „Bin ich, wenn ich nicht denke?“ (Centaurus Verlag Herbolzheim 2003). Auszüge daraus befinden sich auf meiner Webseite www.reinhard.linde.de.vu.

Zu meiner Person: Ich wurde 1955 in Wernigerode (ehem. DDR) geboren und erwarb 1980 an der Humboldt-Universität zu Berlin das Diplom als Historiker. Mein Arbeitsfeld formte sich in der Gegnerschaft zum DDR-Regime und verbindet die Analyse totalitären Denkens mit der Formulierung philosophisch begründeter, ethischer Alternativen. Ich lebe als freier Autor in Berlin.