Kant hat ein anderes Religionsverständnis vorgestellt, das die religiösen Widersprüche tiefgründig und nachhaltig löst. Mit diesem anderen Religionsverständnis kann auch der Konflikt mit der Evolutionstheorie, über die die moderne Naturwissenschaft zunehmend auch das geistige Sein und Verhalten des Menschen zu erklären sucht, zu einem einheitlichen Weltbild hin überwunden werden. Das ist dann keine rein theoretische und abstrakte Angelegenheit, sondern in der heutigen Globalisierung, in der die verschiedenen Religionen und Kulturen aufeinanderprallen und miteinander leben müssen, von ganz praktischem Interesse.
Die Problematik des Verhältnisses zwischen der Religion und der Evolutionstheorie ist der jüngste und aktuellste Fortgang der alten Auseinandersetzung zwischen der Religion und der modernen Naturwissenschaft. Diese Auseinandersetzung begann mit der Kopernikanischen Wende, die als Beginn der modernen Naturwissenschaft verstanden werden kann. In der Kopernikanischen Wende wurde mit Verstand und Vernunft eine grundlegende Sinneswahrnehmung (die sich scheinbar um die Erde drehende Sonne) und damit das bis dahin gültige und von der Religion gestützte Weltbild als falsch entlarvt. Ihre Fortsetzung fand diese Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie durch Charles Darwin. Die Evolutionstheorie stellte eine weitere (Kopernikanische) Wende im Selbstverständnis des Menschen dar und wurde ebenso wie die erste von der Religion oder Kirche abgelehnt und bekämpft. Zwischenzeitlich hat die Kirche zwar sowohl das moderne kosmologische Weltbild und auch größtenteils die Evolutionstheorie anerkannt, das letztere allerdings nicht hinsichtlich des geistigen menschlichen Seins. Hier setzt die Religion weiterhin auf übernatürliche statt natürliche Erklärungen, Begründungen und Ziele.
Doch die moderne Naturwissenschaft schreitet weiter fort, und heute wird besonders in der Soziobiologie zunehmend auch das Verhalten und damit das geistige Sein des Menschen über die Evolutionstheorie auf natürliche Weise erklärt. Die moderne Naturwissenschaft macht sich daran, hier Anspruch auf die letzte und wichtigste Bastion und damit die Grundlage des bisherigen Religionsverständnisses zu erheben. Wenn auch das moralische Verhalten, die seelischen Empfindungen und etwa in der Hirnforschung allgemein das Geistige im Menschen zunehmend natürliche Erklärungen finden, dann wird damit dem Glauben an übernatürliche Wesen, Kräfte oder Einflüsse endgültig der Boden entzogen. Als Gegengewicht zu dieser Entwicklung kann das Aufkommen des Kreationismus verstanden werden, der umgekehrt die Evolutionstheorie als solche mittels übernatürlicher Ansätze wieder komplett in Frage stellt. Mit dem herkömmlichen Religionsverständnis an übernatürliche Dinge ist dieser Konflikt unlösbar, und er wird mit dem weiteren Fortschreiten der natürlichen Erklärungen des menschlichen Verhaltens, der Kultur und des geistigen menschlichen Seins durch die moderne Naturwissenschaft an Schärfe gewinnen.
Eine grundlegende Lösung dieses Konfliktes ist aber nicht nur in Sicht, sondern liegt schon seit über 200 Jahren fertig vor. Immanuel Kants idealistische Philosophie, in der die realen Gegenstände der Welt nicht unsere Erkenntnis bedingen, sondern umgekehrt der Geist die Dinge der Welt, die dann nur Erscheinungen sind, wird von vielen mit einer weiteren Kopernikanischen Wende verglichen, auch von Kant selbst.i Als wichtiger Teil seiner Philosophie stellt Kant dabei ein völlig anderes Religionsverständnis vor, in dem die Religion und ihre Aussagen relativiert werden. Das ermöglichte damals schon eine tiefgründige Überwindung der Widersprüche zwischen den verschiedenen Religionen und auch der Spaltungen in den einzelnen Religionen. Doch dieses revolutionäre Religionsverständnis von Kant hat sich bisher nicht durchgesetzt.
Heute erlauben es jedoch diese fast schon vergessenen Gedanken und Erkenntnisse von Kant zur Religion, diese als vollkommen natürlichen Teil der kulturellen und evolutionären Entwicklung des Menschen zu verstehen. Durch diese Relativierung der Religion löst sich nicht nur das Problem zwischen der Religion und der Evolutionstheorie auf. Es ist in der heutigen fortschreitenden Globalisierung, in der die verschiedenen Religionen und Kulturen aufeinanderprallen, eine auch in praktischer Hinsicht immer dringendere Notwendigkeit, die Widersprüche zwischen den verschiedenen Religionen zu überwinden, da der religiöse Glaube oft genug das Motiv und den Hintergrund gewalttätiger Auseinandersetzungen bildet und die Globalisierung so in einen „Kampf der Kulturen“ zu entgleisen droht. Die Frage und Auseinandersetzung um das Wesen der Religion und damit um die Art des menschlichen Selbst- und Weltverständnisses kann dabei sogar als der natürliche Fortgang der Evolution selbst verstanden werden.
In seiner Religionskritik lehnt Kant die Religion nicht pauschal als solche ab, denn „es ist notwendig, dass unser ganzer Lebenswandel sittlichen Maximen untergeordnet werde“ii. Dabei benötigt nach Kant die Vernunft oder Eigenart des menschlichen Denkens eine „wirkende Ursache“iii sowie einen „entsprechenden Ausgang, es sei in diesem, oder einem anderen Leben“iv. „Ohne also einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung“v. Doch wenn die praktische Vernunft die Vorstellung von einem Gott besitzt, „so darf sie sich gar nicht unterwinden, gleich als hätte sie sich über alle empirischen Bedingungen seiner Anwendung erhoben, und zur unmittelbaren Kenntnis neuer Gegenstände emporgeschwungen, um von diesem Begriffe auszugehen, und die moralischen Gesetze selbst von ihm abzuleiten“vi. Denn diese moralischen Gesetze waren es eben, „deren innere praktische Notwendigkeit uns zu der Voraussetzung einer selbständigen Ursache, oder eines weisen Weltregierers führte, um jenen Gesetzen Effekt zu geben“vii. „Wir werden, soweit praktische Vernunft uns zu führen das Recht hat, Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind“viii.
Kant sieht die Gottesvorstellungen oder Götter nur als bloße Hilfsmittel und nicht als „neue Gegenstände“ an, um das eigentliche Ziel zu verwirklichen, um das es geht, nämlich das sittlich-moralische Leben in der Welt. So werden wir Kant nach „das Sittengesetz, welches uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehrt“ix nur dadurch heilig halten, „dass wir das Weltbeste an uns und an anderen befördern“x. „Die Moraltheologie ist also nur von immanentem Gebrauche, nämlich unsere Bestimmung hier in der Welt zu erfüllen, indem wir in das System aller Zwecke passen, und nicht schwärmerisch oder wohl gar frevelhaft den Leitfaden einer moralisch gesetzgebenden Vernunft im guten Lebenswandel zu verlassen, um ihn unmittelbar an die Idee des höchsten Wesens zu knüpfen“xi.
Warum ist es „schwärmerisch oder wohl gar frevelhaft“, die Moralgesetze an ein als real angesehenes übernatürliches Wesen zu knüpfen, statt dieses Wesen nur als Hilfsvorstellung anzusehen, um die Moralgesetze durchzusetzen, die uns in diesem natürlichen Verständnis „die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehrt“? In dem von Kant kritisierten falschen Religionsverständnis werden eigentlicher Zweck und Hilfsmittel vertauscht, da dabei das eigentliche natürliche Erfordernis eines moralischen Verhaltens nur als Hilfsmittel zu einem übernatürlichen Zweck hin angesehen wird, der in dieser Übernatürlichkeit als real und absolut verstanden wird. Hinsichtlich dieses übernatürlichen und absoluten Zweckes entzweien sich aber nicht nur die verschiedenen Religionen, sondern spalten sich sogar die einzelnen Religionen in sich, von den Widersprüchen zur Philosophie und modernen Naturwissenschaft ganz zu schweigen. Da es sich um übernatürliche Dinge handelt, gibt es keine Möglichkeit diese Widersprüche und Spaltungen in der Welt und mit Vernunft und Verstand zu überwinden. Diese unlösbaren Widersprüche hinsichtlich des übernatürlichen, absoluten Zweckes laufen dem moralischen und sittlichen Verhalten durch diese Widersprüche entgegen, in der Praxis dann oftmals in gewalttätiger Weise. Das wird in der Regel aber gar nicht als größeres Problem angesehen, da das moralische Verhalten ja nur ein Hilfsmittel zu dem übernatürlichen, absoluten Zweck hin ist und die Gewalt somit, da es um den übernatürlichen eigentlichen Zweck selbst geht, erlaubt ist. In Kants Verständnis ist dagegen umgekehrt das moralische und sittliche Verhalten in der Welt der eigentliche und alleinige Zweck, um den es geht und die übernatürliche Vorstellung das Hilfsmittel, und es ist in diesem Sinne eben frevelhaft, in dem Streit um die Hilfsmittel gegen den eigentlichen Zweck zu verstoßen.
Dieser eigentliche Zweck ist uns nach Kant nicht durch eine übernatürliche Offenbarung in einem bestimmten Volk oder einer bestimmten Kultur übermittelt worden, sondern er wurde uns durch „die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst [ge]lehrt“xii, wobei „die Natur, in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist, keiner parteiischen Austeilung ihrer Gaben zu beschuldigen sei“xiii. Das heißt, dass der eigentliche Zweck, der sich ja aus der Natur der Handlungen oder der Welt selbst heraus ergibt, sich dann auch bei allen beteiligten Menschen und Religionen zeigt und äußert und nicht nur in einer einzigen bestimmten, parteiisch und mit übernatürlichen Begründungen in einer absoluten Weise scheinbar hervorgehobenen Religion oder Kultur.
In Kants Verständnis sind die religiösen übernatürlichen Vorstellungen nur Hilfsmittel, um bestimmte natürliche Zwecke zu erreichen. Grundsätzlich sind darin diese Hilfsmittel nicht etwas Absolutes, Unveränderbares und einzig Richtiges, sondern etwas dem jeweiligen natürlichen Zweck Angepasstes, d.h. dieser natürliche Zweck ist in einer evolutionären Entwicklung veränderbar. Die speziellen religiösen Vorstellungen und Glaubensinhalte sind in einer evolutionären Perspektive in dieser Weise der Ausdruck für bestimmte, dem jeweiligen (kulturellen) Entwicklungsstand angepasste Werte und Verhaltensweisen des Menschen. Naturvölker glauben so an Naturgottheiten, während bei den sogenannten zivilisierten Völkern eine soziale Verhaltensweise wie die der Nächstenliebe das Hauptthema ist.
Ein sehr aussagekräftiges Zeugnis für die jüngste Veränderung der religiösen Vorstellungen und damit der Verhaltensweisen des Menschen ist im Alten Testament unter 5 Mose/Deuteronomium 20 zu finden. Hier ist der Völkermord noch ein göttliches Gebot. Der Völkermord ist dabei der Extremfall eines archaischen Verhaltens, das wir als Fremdenhass kennen und das als innerartliche Aggression auch bei Tieren sehr verbreitet ist, deren Lebensgrundlage von einem bestimmten Territorium abhängig ist. In der nachfolgenden Gottesvorstellung des Neuen Testamentes ändert sich das radikal, der Völkermord wird zur Todsünde und stattdessen wird die völkerübergreifende Nächstenliebe zum bestimmenden Thema. Dieser Prozess und Wandel vollzog sich jedoch nicht nur (parteiisch) in einer Religion oder Kultur, sondern mehr oder weniger in allen Religionen und Kulturen. Es ist in diesem natürlichen Verständnis ein Wandel, der aufgrund der technisch-handwerklichen Entwicklung und der damit verbundenen geänderten Lebensweise der Menschen notwendig wurde.
Im natürlichen Verständnis der Entwicklung des menschlichen Seins ist dieser Wandel als weitergehende Gen-Kultur-Koevolution keinesfalls abgeschlossen, wir stehen in diesem Verständnis vielmehr erst mitten in diesem Wandel. Die Überwindung des archaischen und instinktgesteuerten Fremdenhasses durch ein verändertes Gottesbild und dem damit verbundenen neuen Verhalten der völkerübergreifenden Nächstenliebe war auch in dem natürlichen Verständnis ein epochaler Schritt in der Entwicklung des Menschen, der durchaus eine neue Zeitrechnung rechtfertigte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es im evolutionären Verständnis im Menschen zwei völlig unterschiedliche Verhaltenssteuerungen gibt, einmal das angeborene, instinkthafte und genetisch verankerte Verhalten und das kulturell erworbene, gelernte Verhalten, das auch nur auf dieser Ebene tradiert wird. Das neue Verhalten der stetigen völkerübergreifenden Nächstenliebe ist deswegen ein epochaler Schritt, weil hierbei eine kulturelle Verhaltensweise nicht in Richtung einer zugrundeliegenden instinkthaften liegt und diese verfeinert, verbessert und weiterentwickelt, sondern sich wohl zum ersten Mal eine kulturelle Verhaltensweise strikt und konsequent gegen einen bedeutenden Instinkt stellt, um diesen ganz auszuschalten. Das ist jedoch letztlich nicht möglich, da die instinkthafte Verhaltensweise genetisch verankert ist. Es ist die grundsätzliche Problematik der Gen-Kultur-Koevolution, dass unangepasst gewordene instinkthafte Verhaltensweisen, die allgemein auf dem Recht des Stärkeren beruhen, nur kulturell überdeckt werden und so jederzeit wieder hervorbrechen können, was auch im Falle des Fremdenhasses bis heute konkret erfahrbar ist. Hier findet die allgemeine dauernde Notwendigkeit eines weltlichen Strafrechts und der religiösen Moralverpflichtungen ihre ganz natürliche Erklärung.
Dieser epochale und bedeutende Schritt im Fall des Fremdenhasses geschah jedoch nicht direkt und ausschließlich über die nur dem Menschen zukommende und seine kulturelle Entwicklung kennzeichnende Eigenschaft von Vernunft und Verstand, sondern indirekt über den religiösen Glauben an übernatürliche Dinge. Der religiöse Glaube kommt zwar ebenfalls nur dem menschlichen Sein zu und ist wohl so alt wie das menschliche Sein, steht aber aufgrund dieses Alters und seines Widerspruches zu Vernunft und Verstand, wie sehr offensichtlich in den Sekten und im Aberglauben offenbar wird, in Verdacht, selbst noch instinkthafte Elemente zu enthalten. Das Instinkthafte zeigt sich dabei wie stets auf der gefühlsmäßigen oder emotionalen Ebene. In seinen Widersprüchen, die gerade in der heutigen Globalisierung, in der die verschiedenen Religionen und Kulturen aufeinanderprallen, offenbar und zum Problem werden, wird der religiöse Glaube an übernatürliche Dinge selbst zu einem mehr und mehr unangepassten Verhalten.
Der nächste Schritt in der evolutionären Entwicklung des Menschen besteht im Verständnis einer weiter gehenden Gen-Kultur-Koevolution dann darin, dass der Mensch ganz nach Kants „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ den Mut aufzubringen hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, um aufgrund der heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der herrschenden globalisierten Umstände zwischen und in den Religionen zu erkennen, dass alle Erkenntnisse, Erwartungen und Bilder eines Jenseitigen nicht in einem absoluten Sinne wahr, sondern bloße Hilfsmittel sind und es damit auch keine übernatürlichen Einflüsse auf diese Welt und das Sein des Menschen gibt (was nicht heißt, dass es damit überhaupt kein Jenseits der Welt geben kann). Dadurch würde nachvollzogen, was sich als Grundsatz und Methode in der modernen Naturwissenschaft schon lange äußerst erfolgreich bewährt hat, nämlich die Nichtberücksichtigung übernatürlicher Kräfte oder Wesen.
Die Ausdehnung dieses Prinzips auch auf die Religion würde darüber hinaus im Sinne einer stetigen Gen-Kultur-Koevolution dem Geistigen des Menschen zum endgültigen Durchbruch und zum bestimmenden Teil seines Wesens verhelfen, in dem der Mensch auch die tieferen Schichten seines eigenen Seins und Verhaltens nicht mehr übernatürlich und gefühlsmäßig, sondern natürlich und vernunftmäßig versteht und begründet. Dann könnte er sein heutiges unangepasstes Verhalten genauso erkennen und überwinden, wie er viele Krankheiten und Seuchen durch das Erkennen der natürlichen Ursachen überwunden hat. Magische Beschwörungsformeln an übernatürliche Kräfte konnten vielleicht in begrenzter Weise Krankheiten (auf der psychosomatischen Ebene) heilen, doch eher indirekt und zufällig. Dieses Prinzip gilt dann auch hinsichtlich einer unangepasst gewordenen sozialen Verhaltensweise des Menschen, d.h. der religiöse Glauben an übernatürliche Dinge als Maßstab des Selbstverständnisses und Verhaltens stößt heute an seine Grenzen und wird selbst zum Problem und zu einem unangepassten Verhalten, das nur durch den Verstand und die Vernunft überwunden werden kann. Das bedeutet nicht die Eliminierung von Gefühlen und Emotionen, aber doch deren Unterordnung unter Verstand und Vernunft.
Ein rein natürliches Selbst- und Weltverständnis des Menschen, das er dann ganz nach Kant und der Aufklärung nicht mehr übernatürlich begründet, übernatürlichen Einflüssen ausgesetzt sieht und mit dem er nicht mehr übernatürliche Ziele verfolgt, ist dabei keine bloße theoretische Einsicht, sondern etwas, das „uns die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehrt“, nämlich der Natur der Handlungen des menschlichen Umgangs und Miteinanders in einer globalisierten Welt. Der Kreationismus kann mit seinen übernatürlichen Bezügen nur scheinbar den Widerspruch zwischen der Religion und der Evolution lösen, aber in keiner Weise die Widersprüche hinsichtlich der übernatürlichen Bezüge zwischen verschiedenen und in den einzelnen Religionen. Welche der verschiedenen naturwissenschaftlichen, philosophischen, religiösen oder politischen Weltanschauungen sich in der weiteren Entwicklung auf welche Weise durchsetzt, ob rein durch Vernunft oder durch Emotionen oder gar Gewalt, ist dabei nichts anderes als die weitere Gen-Kultur-Koevolution selbst. Der eleganteste, harmonischste und angepassteste Weg ist es zweifellos, wenn das Finden neuer Verhaltensnormen und der zugehörigen Weltbilder rein auf geistige und vernünftige Weise erfolgt, was dann auch heißt, ohne übernatürliche Bezüge, Begründungen und Ziele. Dass dieser vernünftige Weg wie allgemein bestimmten Emotionen und Gefühlen des menschlichen Seins zuwiderläuft, ist das Kreuz, das der Mensch in der weiteren Gen-Kultur-Koevolution aufgrund der Besonderheiten der evolutionären Entwicklung zu tragen hat.
Der Sport und seine Großveranstaltungen erfüllen im Leben des modernen Menschen und der modernen Gesellschaften eine wichtige kultivierte Ableitungsfunktion hinsichtlich instinkthafter Verhaltensweisen. Solch eine Möglichkeit muss auch die Religion finden, d.h. dass der religiöse Glauben nur in einem fairen Wettstreit mit seinen konkurrierenden Formen zugunsten des sozialen Fortschritts und allgemein des vernünftigen Lebens auf diesem Planeten ausgeübt wird. Die Absoluthaltung und generelle Bevorzugung eines bestimmten Glaubens wäre dabei ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln eines fairen und kultivierten Wettbewerbs. Evolution auf der geistigen und kulturellen Stufe des Menschen bedeutet Auseinandersetzung und Entwicklung unter gerechten, fairen und vernünftigen Regeln bzw. eine geistige Auseinandersetzung und Entwicklung ohne rein emotionale oder gar gewalttätige Elemente. Dadurch wäre ein kultiviertes, angepasstes und vernünftiges Verhältnis der Religionen in einer globalisierten Welt gewährleistet, wodurch sie auch nur in diesem evolutionären (Selbst)Verständnis ihren eigentlichen Zweck verwirklichen und nicht „schwärmerisch oder wohl gar frevelhaft“ verfehlen würden. Zu diesem Verständnis kann der Mensch aus Vernunft und geistiger Einsicht gelangen, oder es wird ihm nach Kant „die Vernunft aus der Natur der Handlungen selbst lehr[en]“.
I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B. 2. Auflage 1787, Hamburg ²1998.
i I. Kant, Kritik der Reinen Vernunft, B XVI - B VII.
ii I. Kant, KrV, B 840.
iii ebd.
iv ebd.
v I. Kant, KrV, B 841.
vi I. Kant, KrV, B 846.
vii ebd.
viii I. Kant, KrV, B 847.
ix ebd.
x ebd.
xi ebd.
xii ebd.
xiii I. Kant, KrV, B 859.