Die Kunst des essayistischen Schreibens erfordert, daß der Schreiber sich selbst
unkenntlich genug macht, um durch Formen und Themen immer wieder verblüffen zu können. Der Essay soll in knapper Form pointiert neue Interessengebiete erkunden oder vertraute Gegenstände der Kultur neu beleuchten. Es läßt sich aber nicht vermeiden, daß die Person des Essayisten im Lauf der Zeit kenntlich wird, daß der Essay, der scheinbar aus kurzen Beschreibungen verschiedener Phänomene besteht, in eine Selbstbeschreibung mündet. Dann wird verdeutlicht, daß am Beginn der essayistischen Kunst eine radikale Selbstanalyse stand : Montaignes ‚Essais’ von 1580 sollten vor allem auch dazu dienen, daß der Autor sich selbst ohne Furcht und Falschheit gegenübertreten konnte. “Es reicht, sich das Gesicht zu pudern; müssen wir uns auch noch die Seele pudern?“ (3. Buch der Essais, 10. Kapitel) Susan Sontag prägte mit ihren Essays die amerikanische Szene der 60er und 70er Jahre wie keine andere. Auch sie wurde dem Leser des ‘New Yorker‘ oder der ‘Partisan Review‘ im Laufe der Zeit eine vertraute Person; ihre Meinungen entwarfen ein Bild von ihr. Susan Sontags Interessen waren die Interessen der Zeit, sie richtete ihren Blick auf zahlreiche Probleme, die das Leben der US-Intellektuellen bestimmten.
Ihre Beschreibung des ‘Camp‘-Stils beginnt mit Entschuldigungen. Was sie entschuldigen zu müssen glaubt, ist ein Geheimnisverrat. Die Geheimnisse sind Privatangelegenheiten, sie haben viel mit einem Lebensstil und der Phänomenologie modernen Intellektuellenlebens zu tun. Der Blick auf scheinbar unwichtige Details, auf Geschmacksfragen, erhellt, wie sich Rolle und Selbstdefinition bei den urbanen Cliquen, um die es geht, geändert haben. Der neue Typus des kultivierten Bürgers ist nicht mehr als Verteidiger einer Hochkultur-Arroganz vorstellbar, er ist kein Konservierer belanglos gewordener Klassizismen oder Romantizismen, sondern ein Moderner in vollem Wortsinne. Seine analytischen Fähigkeiten richten sich nicht mehr nur auf den tradierten Kulturkanon, er gesteht sich selbst auch ‘schlechten‘ Geschmack ein, weil die Einteilung in gute und schlechte ästhetische Werte sichtlich unmöglich geworden ist.
Geprägt vom Adornoschen Begriff einer Kunst, die im kreativen Vollzug ihre eigene Unmöglichkeit einbegreift, sind ihre Aussagen über ‘Camp‘: “Nicht das Altern läßt demnach die Dinge ‘campy‘ werden, sondern das Nachlassen unserer Teilnahme an ihnen und unsere Fähigkeit, das Scheitern des Versuchs zu genießen, statt enttäuscht davon zu sein“. Und an anderer Stelle über das Bild des Intellektuellen: “Der Kenner des Camp hat sinnvollere Genüsse entdeckt. Er delektiert sich nicht an lateinischer Poesie, an seltenen Weinen und Samtjacken, sondern an den derbsten und gemeinsten Vergnügungen, an den Künsten der Massen. Der bloße Gebrauch befleckt die Gegenstände seinen Vergnügens nicht, da er lernt, sie auf ausgefallene Weise zu besitzen. Camp - der Dandyismus im Zeitalter der Massenkultur - macht keinen Unterschied zwischen dem einzigartigen Gegenstand und dem Massengut. Der Camp-Geschmack läßt die Übelkeit unter sich, die die Reproduktion bewirkt“.
Das Ineinanderfallen von phänomenologischen Versuchen über kulturelle Eliten in der Massenkultur und detaillierten Einzelbeschreibungen der geistigen Innenausstattung seiner selbst und der Cliquen, zu denen man gehört, wurde bei Susan Sontag schnell von einer ständigen Anwesenheit der Öffentlichkeit begleitet. Der Person Susan Sontag wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Grund dafür liegt bestimmt in ihrer medial vielfach gespiegelten äußerlichen Attraktivität. Wenn die junge Essayistin der 60er Jahre Artikel über pornographische Literatur veröffentlichte und in den Zeitschriften dazu ihr verschlossen-schönen Gesicht weit mehr dargestellt wurde als die inhaltlichen Thesen, dann ist das auch ein Lehrstück über Selbststilisierung und Medieneigenresonanz gewesen.
Wie entfaltet sich aber diese Vorstellung vom Intellektuellentypus in den Büchern, in denen handelnde Personen wichtig sind, in ihren Romanen? Hier, wo sie die Umstände selbst zu bestimmen hat, könnte sie über die Perspektiven intellektuellen Selbstverständnisses freier sprechen und über die Wechselbeziehungen von Kultur und Gesellschaft reflektieren.
3 Romane hat Susan Sontag bisher veröffentlicht, zuletzt ‘The Vulcano Lover, A Romance‘ (1992, deutsch: ‘Der Liebhaber des Vulkans‘, München 1993). Davor erschienen ‘Death Kit‘ (1967, deutsch ‘Todesstation‘) und ‘The Benefactor‘ (1963, deutsch ‘Der Wohltäter‘).
Ich will mich bei meinen Bemerkungen auf ihren letzten und ihren ersten Roman beschränken, da diese beiden besonders das Problem intellektueller Persönlichkeitsstruktur behandeln. In beiden steht ein kultivierter reflektierter männlicher Held im Mittelpunkt, der wenig tatkräftig heldisches hat, sondern das eigene Leben als einen Entwicklungsroman ‘schreibt‘ und die Stufen der Veränderung sorgsam notiert. Im ‘Wohltäter‘ ist es der Ich-Erzähler Hippolyte, dessen Gedanken beständig um die eigene Person kreisen, der in Träumen und extremen Erfahrungen ein Bild von sich entwirft, das durch Reduktion und Sachlichkeit geprägt ist Hippolyte lebt separiert von den meisten äußeren Geschehnissen Vollkommen unabhängig, auch finanziell luxuriös abgesichert führt er ein Leben, das nur der Selbsterfahrung und Konzentration dient. Die Gestalt steht in enger Beziehung zu den Hoffnungen der damaligen Intellektuellengeneration, deren Weg unaufhaltsam ‘nach innen‘ zu führen schien. Hippolytes Leben vollzieht sich ohne benennbaren Sinn, ohne Ziele, es endet in geistiger Verwirrung und Isolation, einer radikalen Vereinzelung. Seine Träume und seine Lebenswirklichkeit dringen ineinander und beginnen, sich zu destruieren. Die Autorin leitet dabei keine Erkenntnisse aus der Geschichte ab; so wenig Hippolyte lernt, so wenig erfährt auch der Leser. Erzählt wird die Geschichte einer inneren Erlebniswelt, die hermetisch abgeschlossen zu sein scheint, dem entspricht ein hermetischer, spröder Stil. Der Sinn, der bei dieser radikalen Suche nach sich selbst entstehen sollte, entgleitet und verflüchtigt sich. Kein Weg, nirgends. Ganz anders die Hauptfigur im historischen Roman ‘Der Liebhaber des Vulkans‘. Es geht in diesem um Sir William Hamilton, den Ehemann der berühmten Lady Emma Hamilton, Geliebte des Admirales Nelson. Hamilton, englischer Gesandter in Neapel, wird als Prototyp des Sammlers gezeichnet, mit enzyklopädischen Interesse und dem rastlosen Kunstsinn der großen englischen ‘Dilettanti‘. Viele Reflexionen Hamiltons lehnen sich stark an Benjaminsche Aussagen an, wie wir sie im ‘Passagenwerk‘ über den Sammler und die Sammlung finden. Formal unterscheidet sich das Buch deutlich vom ‘Wohltäter‘, indem es in historischer Stimmungsmalerei schweigt und mit seiner Fülle an Beobachtungen der Menschen und Orte ein opulentes Lesevergnügen bietet. Gleichzeitig ist der Text vielfach durchzogen von Stilmitteln der avantgardistischen Moderne, von Symbolen einer Romankunst, die Susan Sontags frühe Romane so stark prägten. Die ‘unaufdringliche Modernität‘, die Kritiker so gerne erfolg-
reichen und dennoch nicht stupiden Büchern attestieren, auch hier findet sie sich. Sie steht wohl auch dafür, daß die Überlegungen zu Hamiltons Leben immer im Bezug zum Heute gesehen werden sollen. Der Engländer, der kühlen Sinnes die Eruptionen des Vesuvs verzeichnet, bietet das Musterbild für Intellektuelle, die sich der eigenen Emotionalität stellen wollen und glauben, aus den vergangenen Innerlichkeitsexzessen gelernt zu haben. Der. Sammler als moderne Figur, nun auch als einer, der sich liebevoll den Dingen zuwendet, die der historische Prozeß vergessen hat. Sicherlich auch jemand, der einen Blick für das zu entwickeln hat, was von der Geschichte aus dem normalen Kultur-Fundus aussortiert wurde, für alles, was irgendwann als ‘campy‘ wird beschrieben werden können, was unzeitgemäß oder banal erscheint. So wie Hamilton fast zärtlich seinen Vulkan und dessen Veränderungen beobachtet und diesem in den Augen der Zeitgenossen unziemlichen Hobby, das erst durch ihn ein wenig populärer wurde, nachgeht, so gibt es für den neuen Sammler-Typus vielfache Möglichkeiten, der Erstarrung in der musealen Geste, die die verwirrenden Bedingungen der Postmoderne nahezulegen scheinen, zu entkommen. Bewahrung des kulturellen Erbes und eigenes kreatives Eingehen auf das Heute werden verwoben in ein Lebensgeflecht, das nicht nur ästhetische Relevanz hat. Und das eben nicht mehr in geduldeten Nebenaspekten, als Frage der Inneneinrichtung, die ‘campy‘ sein darf, eines ‘schlechten Geschmacks‘, den
man sich lächelnd eingesteht. Das, was ‘Camp‘ war, rückt von der Peripherie ins Zentrum der Persönlichkeit, eine neue Selbstverständlichkeit entsteht, bei der Selbstanalyse nicht mit Selbstanklage einhergeht.
Ist es unpassend, darauf hinzuweisen, daß Susan Sontag zu den wenigen gehört, die auf die Situation Sarajewos anders als mit lautstark geäußerter Betroffenheit reagierte? Sie trug mit ihren Mitteln, der Inszenierung einer Aufführung von ‘Warten auf Godot‘ in der umkämpften Stadt dazu bei, daß der Eindruck, die kultivierte Welt habe die Menschen dort abgeschrieben, nicht ganz unwidersprochen bleiben mußte. Ewige Schande für die europäischen Intellektuellen, daß eine amerikanische Staatsbürgerin so für den Universalismus eines Kulturbegriffs eintrat, der in Europa geboren wurde.
Auch in der Aktualität ist Susan Sontag selbst die Person, die sie beschreibt. Sie ist Sir William Hamilton, aber auch die neapolitanische Revolutionärsdichterin Eleonora de Fonseca Pimentel, die nach dem kurzen republikanische Zwischenspiel in Neapel hingerichtet wird und die am Ende des Buches das Wort hat. Der Entwicklungsprozeß, den die Sontagschen intellektuellen Protagonisten durchmachen, ist auch der einer Intelligenzija, die jetzt erst richtig beginnt, sich vom ideologischen Autismus der Nachkriegsjahre zu befreien. Den Blick verstellende Gespenster, wie der Antikommunismus oder die geist- und herzlose Abneigung gegen das eigene Land und das historische Herkommen, verflüchtigen sich.
Aufgabe einer neuen Phänomenologie des Intellektuellen ist es, immer wieder Habitus, Lebensstil in der Fülle der sozialen Lebensumwelt zu thematisieren und dabei kein Banales oder Selbstverständliches zurückzuweisen. Nur so kann der Denkende als ganzer Mensch im Blick erscheinen, in widersprüchlicher Vollständigkeit. Denken ist: vollständig sein.