Die Einheit der Vernunft bei Kant ist ein Thema, das nach seiner Blüte im Deutschen Idealismus und einem kurzen Wiederaufleben im Neukantianismus erst in den letzten zwei Jahrzehnten wieder beachtet wurde. Diese Einheit von ihrer praktischen Seite aus zu thematisieren, stellt bereits einen seltenen Sonderfall dar. Anders als bei Fichte ist bei Kant nicht von einer Einheit der Vernunft als praktischer Vernunft zu sprechen, wohl aber von einer Einheit der Vernunft insgesamt durch die praktische Vernunft. Will man dies zeigen, so muß zunächst das Problem der Einheit der praktischen Vernunft selbst behandelt werden. Der Frage, ob es eine solche Einheit praktischer Vernunft gebe, soll im folgenden nachgegangen werden. Ihr entspringt eine Analyse des Stellenwertes der Religion im kantischen Werk, der zufolge das Selbstverhältnis praktischer Vernunft sich im religiösen Symbol erschließt.
Die Ausführungen gliedern sich in vier Abschnitte: einer Einleitung in die nähere Fragestellung (1) folgt eine Analyse der Struktur des synthetisch-praktischen Satzes a priori (2a-c), der sich eine Diskussion verschiedener Interpretationsmöglichkeit der kantischen Postulatenlehre anschließt (3a-e), von der aus Kants symbolische Religionsphilosophie (4a-b) neu verstanden werden kann. Die Ausführungen enden mit einem Ergebnisbericht (5).
(1) Um zu klären, ob und welche Funktion Religionsphilosophie für die praktische Vernunft erfüllen kann, ist Kants Religionsphilosophie zunächst innerhalb seiner kritischer praktischer Philosophie auf eine innerliche und auf eine äußerliche Weise zu verorten. Suche ich nach dem innerlichen Zusammenhang von praktischem System und Religion, so frage ich nach der systematischen Funktion des Gliedes Religion im praktischen Bewußtsein, also nach dem religiösen Vollzug als einer praktischen Selbstbestimmung. Suche ich dagegen nach dem äußerlichen Zusammenhang der Religion mit den weiteren Disziplinen der praktischen Vernunft, so bewege ich mich auf der Peripherie der praktischen Philosophie: ich frage nach dem systematischen Ort einer Theorie der Religion in Abgrenzung zu den Theorien des Rechts, der Moral, der Politik.
Wenn die Rede von Kants praktischer Philosophie als einem System einen Sinn macht, dann müssen Funktion und Ort der Religion, ihr innerlicher und ihr äußerlicher Zusammenhang mit diesem System also, notwendig bestehen und jeweils auseinander hervorgehen. Gilt aber dies, so kann das Zentrum der Theorie nicht umfassend erschlossen werden, ohne die Peripherie zu berücksichtigen, und umgekehrt der Organismus der praktischen Disziplinen nicht harmonisiert werden, es sei denn aus dem Zentrum derselben heraus. Zunächst zur Peripherie:
Entfaltet man das Sittengesetz, das als solches nicht auf ein bestimmtes Anwendungsfeld beschränkt ist, sondern als Strukturgesetz aller praktischen Vollzüge verstanden werden kann, in Richtung auf eine mögliche Anwendung als sittliches Gesetz, so bietet sich mit Kant die Unterscheidung in eine Sphäre innerer und eine äußerer Sittlichkeit an.(2) Kant unterscheidet innerhalb der Sphären nochmals - zwischen einer negativen und einer positiven Anwendungsweise des Sittengesetzes. Aus diesen Elementen läßt sich, wie noch zu zeigen ist, Kants konstitutive praktische Philosophie rekonstruieren, die durch regulative Disziplinen - Religion und Geschichte - abgerundet wird.
Gemeinhin wird aus Kant die negative Form des Sittengesetzes herausgelesen: der Ausschluß schlechter Maximen oder Handlungsweisen über die Verallgemeinerungsformel, welche uns in Kants Moral als Gesinnungsimperativ und im Recht als Negations-Negations-Formel entgegentritt. So sehr eine solche Negation freiheitsunverträglicher Selbst- und Fremdbestimmung notwendig zu einer jeden Theorie der Sittlichkeit dazugehört, so wenig wird dies allein genügen. Ehe man nun vorschnell schließt, daß Kants Theorie daher extern um so etwas wie eine Theorie materialer Sittlichkeit ergänzt werden müsse, ist zu prüfen, inwieweit nicht derartiges bei Kant immanent vorgesehen und grundgelegt ist.
Den Nachweis zu dieser Vermutung möchte ich erst im folgenden erbringen, ich benenne aber bereits jetzt als Disziplinen, in denen positiv-innere Sittlichkeit stattfinden könnte die Zweckethik und als diejenige, in der positiv-äußere Sittlichkeit sich positivieren könnte, die Politik. Damit liegt meine Interpretation ersichtlich quer zu denjenigen, die sich anschicken, das angebliche Materialitätsmanko der kantischen Ethik, - also ihren angeblichen Mangel an einer Theorie der guten Zwecke und der gesellschaftlichen Werte - durch die Religionsphilosophie als Appendix der Ethik und die Geschichtsphilosophie als Appendix der Rechtslehre aufzufangen. Warum?
Bei einer Interpration, die die Geschichtsphilosophie als Erfüllungssurrogat der Rechts- und Politiktheorie vereinnahmt und ebenso die Postulaten- und Religionslehre auf die Moraltheorie bezieht, wird die spezifische Differenz, die religiöse oder geschichtliche Selbstorientierung von moralischem oder rechtlichem Selbstbestimmen unterscheidet, völlig nivelliert und die hermeneutische Ebene des individuellen und kollektiven Selbstverstehens der transzendentalen Ebene des individualen und sozialen Selbstbestimmens komplett subsumiert. Wäre es richtig, daß die religiöse und die historische Selbstinterpretation des Menschen darin aufginge, die konkrete Individualität vermittels transzendenter Fiktionen (etwa: religiöse Soteriologie und geschichtliche Eschatologie) soweit auszublenden, daß sie den unendlich-sittlichen und abstrakt-formalen Gesetzesvollzug nicht stört, - dann hätte Kant keine Philosophie, sondern eine Ideologie der Praxis geliefert. Daher interpretiere ich die Disziplinen der Religion und der Geschichte nicht im Rahmen der konstitutiven sittlichen Vollzüge, sondern als regulative Reflektionsformen derselben, wobei ich - wahrscheinlich überflüssig - darauf hinweisen möchte, daß bei Kant regulativ nicht eine quantitatives Weniger, sondern ein qualitatives Anderes als konstitutiv meint. Eine Interpretation religiösen und geschichtlichen Denkens als regulative Form von Personalität ist demnach keine Herabsetzung dieser Disziplinen auf ein minderes Niveau. Wir werden vielmehr sehen, inwieweit sie geradezu zu einer Aufwertung derselben führt, insofern sie es sind, die das Individuelle des Einzelnen und des Ganzen im Rahmen symbolischer Vollzüge zur Geltung bringen.
Nun ist nach dem Zentrum der praktischen Philosophie Kants zu fragen; es ist in Vergleich und Absetzung mit der theoretischen Philosophie anhand der Struktur der synthetischen Sätze a priori zu bestimmen. Um zu sehen, wie die Synthesen der Praxis zustande kommen, ist der Status der Kategorien der Freiheit in Kants KpV (A 115) zu bestimmen. Im Ausgang von dem Problem, welche und wieviel Sittlichkeit dem Menschen durch die Kategorien der Freiheit geboten ist, stelle ich verschiedene aporetische Lesarten zu Kants Ethik vor und werde für eine von mir verfochtene Auslegung werben, die an Kants in der KdU ausgeführtem Symbolbegriff orientiert ist. Die Tauglichkeit dieser Interpretation muß dann noch an den einzelnen Anwendungsfeldern der praktischen Philosophie im besonderen aufgezeigt werden. Sollen diese Anwendungsfelder nicht äußerlich zur praktisch-allgemeinen Theorie hinzukommen, so ist ihre Genese aus der praktischen Selbstbestimmung eines modellhaften Subjektbewußtseins nachzuvollziehen. Die bisher nur als Skizze angeordneten Disziplinen der praktischen Selbstbestimmung müssen also als Konstruktionsgeschichte eines praktischen Bewußtseins gelesen werden. Kommt dieses Bewußtsein am Ende - vermittelt über seine sittliche Artikulation - zu sich zurück , so wäre die Rekonstruktion der Theorie des sittlichen Handelns abgeschlossen. Innerhalb dieser Theorie könnte dann der Stellenwert von Kants Religionsphilosophie angemessen erfaßt werden.
(2) Das "Zentrum" der praktischen Philosophie Kants liegt im Sittengesetz als einem synthetisch praktischen Satz a priori. Genauer gesagt: es ist die praktische Synthesis a priori selbst, die praktische Selbstvermittlung der Vernunft an ihr Gegenüber, welche im kategorischen Imperativ als einem synthetisch praktischem Satz a priori ihren Ausspruch findet. Im folgenden Abschnitt wird daher zunächst die allgemeine Struktur der Synthesis a priori in Kants Kritiken vorgeführt (a), dann insbesondere die Struktur der theoretischen Kategorialisierung (b) in den Blick genommen und schließlich mit derjenigen durch die praktischen Kategorien der Freiheit (c) verglichen.
(a) Die allen drei Kritiken gemeinsame Struktur ist die Thematisierung eines Subjekts, das zu einem Selbst wird, indem es erstens ausgeht auf ein Anderes, zweitens das Andere gesetzmäßig sich aneignet, und drittens angereichert auf sich zurückkehrt. Vollzieht sich diese Aneignung in Gesetzen, die das Subjekt nur der Welterfahrung entlehnt, spricht Kant diese Selbsterweiterungen, seien sie theoretisch oder praktisch, als Synthesen a posteriori an, vollzieht sie sich in autonomen Gesetzen, spricht er von Synthesis a priori. Es ist darum keine unzulässige Zuspitzung, wenn Kant in den Prolegomena das Projekt der theoretischen Philosophie in der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen synthetischer Sätze a priori engführt. Und ebensowenig verfehlt er sich selbst, wenn er auch für die praktische Philosophie nämliches behauptet.(3)
Das Zentrum der kantischen Philosophie an den synthetisch apriorischen Sätzen und ihren transzendentalen Voraussetzungen aufzusuchen, entspricht der Architektonik der Kritiken, die allesamt mittels der Kategorienlehre die Weisen der Synthetisierung von Unbedingtem und Bedingten im jeweiligen Urteil moduliert. Das Gemeinsame der Kritiken ist, daß sie den menschlichen Weltbezug im theoretischen Erkennen, im praktischen Handeln, im ästhetischen und teleogischen Interpretieren der Welt erklären wollen mit einer letztlich einheitlichen Struktur, die da besagt, ein nicht nur zufällig gelingender Weltbezug verdankt sich einer autonomen Gesetzlichkeit des Selbst im Fremdbezug, ein nicht nur zufällig scheiternder Weltbezug einer heteronomen Orientierung des Selbst.
Die Lehre von den Kategorien als den Verbindungsgliedern aller synthetischen Bezüge, muß also nicht nur das Gelingen, sondern auch das Scheitern menschlicher Urteilsvollzüge erklären können. Letzteres kann sie nur, wenn sie die Kategorialisierung nicht nur als mechanischen Vollzug begreift, dem wir ausgeliefert sind, sondern zumindest auch als etwas, das in gewisser Weise erst dadurch, daß wir uns zu uns verhalten, mitbestimmt wird. Synthesis a priori, dies möchte ich hiermit deutlich machen, ist, so sehr ihre Inhalte geltungstheoretisch zeitunabhängig sind, aus der Perspektive des lebenden, urteilenden, handelnden Menschen betrachtet, zeitliche Tat.
(b) In der theoretischen Philosophie entstehen synthetische Sätze a priori dadurch, daß das Übereinkommen von bedingter Anschauung und unbedingtem Begriff an den vermittelnden Kategorien erklärlich wird. Die Kategorien sind die unbedingten Formen der Sinnlichkeit, weil sie die reinen Formen des Denkens sind, unter denen die Sinnlichkeit begriffen wird. Die sinnliche Situation wird durch Schemata der transzendentalen Einbildungskraft (gemäß den Weisen der Zeiterfüllung) unter die Kategorien gebracht und dann begriffen als umfaßt von einer über diese Situation hinausgehenden strukturgesetzlichen Geltung. Das Urteil über Bedingtes kann so unbedingt und synthetisch zugleich sein. Was mich an der Lehre von der Schematisierung vor allem interessiert, ist, daß anders als beim Haben von Kategorien, beim Schematisieren derselben - und damit auch beim Kategorialisieren insgesamt - ein Stück Subjektivität einschießt. Zwar geht es hier nicht um das konkrete individuelle Subjekt, wohl aber um die Individuiertheit überhaupt, die als zeitlich-zeitigende Instanz der Einbildungskraft ja erst zu einer begrenzten und damit bestimmten Erkenntnis führt. Das heißt: Individuiertheit überhaupt, nicht aber diese oder jene Individualität, ist Mitbedingung der Möglichkeit des Schematisierens. Damit ist das Schematisieren immerhin Akt des Subjekts, wenn auch nicht subjektiver, im Sinne von: persönlich eingefärbter, Akt.(4) Und da es beim Erkenntnisurteil ja aber auch nicht um das Subjekt als persönliches, sondern um "das Objektive" geht, ist die unpersönlich-subjektive Erkenntnisweise des Subsumierens eines Bedingten unter das Unbedingte anhand unbedingter Bedingungen (anhand der Kategorien) vermittels eines allgemein-subjektiven Schemas (der Zeiterfüllung), der Funktion, "Erkenntnisurteil von Gegenständlichkeit / Objektivität zu sein", durchaus angemessen.
Wäre dies aber auch dann der Fall, wenn das im Urteil zu Synthetisierende gerade nicht Objekt im Sinne von Gegen-stand / Nicht-Ich, sondern wenn es Objekt im Sinne von Selbst-stand / Ich oder zumindest Mit-stand / Auch-Ich, wenn es also Objekt des moralischen oder ästhetischen Urteils wäre? Und eine weitere Frage: Ist alles theoretische Erkennen notwendig nur schematisch oder gehört zu einem gelingenden, in sich geschlossenen theoretischen Erkennen - also nicht unbedingt zum einzelnen Erfahrungsurteil, wohl aber zur Schaffung eines diese Urteile organisierenden theoretischen Weltbildes - nicht auch die Idee oder Vorstellung oder Anschauung einer inneren Einheit des Erkannten und auch des Erkannten mit dem Unerkannten? Ist also möglicherweise das, was Kant unter dem Titel des Ideals der reinen Vernunft thematisiert, - als "transzendentales Substratum" der "omnitudo realitatis", wie Kant sich KrV B604f. ausdrückt, - etwas, das zwar nicht schematisiert werden kann, wohl aber etwas, das uns - als die ultimative und unser Erkennen leitende Ineinssetzung von Unbedingten und Bedingten - in irgendeiner Weise dennoch präsent sein muß? Wenn das theoretische Urteilen seinen regulativen Abschluß nicht in einer Idee der Vernunft, sondern konkretisiert in einem Ideal der Vernunft anvisiert, das weder als Begriff, noch als Anschauung, noch - bei Kant - als intellektuelle Anschauung gegeben wird, welchen Status hat dann dieses Ideal und wie erkennen wir es? - Wir werden auf diese Frage zurückkommen.
(c) Wir sahen bereits, daß Kant für die Kategorialisierung im Standardfall des theoretischen Urteils sich der Schematisierung bedient. Zu fragen ist also, und nun kehren wir zur praktischen Philosophie zurück und unserer Ausgangsfrage zurück, wie Kant sich die Synthetisierung von Unbedingtem und Bedingtem mittels der Kategorien der Freiheit im Normalfall des praktischen Urteil vorstellt. Die zentrale Stellung der Kategorien in Kants kritischem Werk wurde von seinen Interpreten bisher nicht deutlich genug herausgestellt. Die Textlage - wenige gehobene Interpretationen ausgenommen - sieht wesentlich so aus, daß zur systematischen Funktion der Kategorien in der KdU zumeist nur am Phänomen des Schönen, Erhabenen oder des organisiert Lebendigen als solchem interessierte Literatur vorliegt (5) und zu Kants praktischer Kategorientafel fast keine. (6) Auch Kant hat es unterlassen, wenn man von dem komprimierten Passus A 115/116 KpV einmal absieht, Status und Bedeutung seiner praktischen Kategorientafel, um die es uns im folgenden zu tun ist, herauszuheben. Erlauben Sie mir deshalb, noch etwas weiter auszuholen und zu erklären, warum ich den sogenannten Kategorien der Freiheit für eine Architektonik der praktischen Philosophie eine solche Bedeutung zumesse.
Im Aufbau der KpV kommen die Kategorien der Freiheit mittig zu stehen zwischen dem unbedingten Sittengesetz einerseits und der bedingten Sinnenwelt andererseits. Kant baut die KpV nach dem von ihm sogenannten praktischen transzendentalen Syllogismus auf. Transzendental ist er, weil er - anders als gewöhnliche Syllogismen - nicht in erster Linie bestrebt ist, irgendwelche Urteile miteinander zu verbinden, sondern das Wirken der transzendentalen Vermögen in der Endlichkeit anhand sittlicher Urteile zu verdeutlichen. Praktisch ist der Syllogismus, nicht nur weil seine Konklusion ein sittliches Handlungsgebot erläßt, sondern vor allem, weil er das Wirken unbedingter Vernunft in bedingter Realität aufzeigen soll. Zusammengenommen ist dies das Programm der KpV. Man kann den Kategorien der Freiheit im Rahmen dieses Programms zwei Funktionen zusprechen: Vermittlung und Bestimmung des Sittengesetzes.
Invers zum Gebrauch der Kategorien der Natur in der KrV müssen wir uns den Gebrauch der Kategorien der Freiheit in der KpV denken; bringen, vereinfacht gesagt, die Kategorien der Natur das Sinnliche unter Gesetze, so sollen die Kategorien der Freiheit das Gesetz in die Sinnenwelt transportieren. Die Kategorien der Freiheit synthetisieren das Sittengesetz mit der Realität. Der Maßgabe der kantischen Ethik getreu soll diese Synthese nicht nach der Empirie bestimmt, sondern a priori gestiftet werden. Daher bilden die Kategorien der Freiheit sozusagen das Ereigniszentrum, an dem über ein Gelingen oder Scheitern des Projektes einer Philosophie synthetisch praktischer Sätze a priori überhaupt entschieden wird.
Grundlage jedweder Geltungsprüfung von Urteilen ist die Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen des im Urteil artikulierten Geltungsanspruchs. Dies sind beim theoretischen Urteilen: die Bedingungen der Möglichkeit unserer Erfahrung als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt, komplementär im praktischen Urteilen: die Bedingungen der Möglichkeit der jeweiligen freien Handlung als Bedingung der Möglichkeit freien Handelns überhaupt. Das heißt, das Subjekt muß seine innere und äußere Praxis darauf überprüfen, ob sie, als allgemeine, Freiheit kategorisch-kategorial (unbedingt seine Bedingungen setzend) setzt oder vernichtet, mithin ob sie als "Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne". Als Gebot formuliert gibt dies den kategorischen Imperativ.
Der Prozeß der sittlichen Selbstprüfung verläuft zweischrittig: einmal fungieren die Kategorien der Freiheit analog ihrem theoretischen Pendant deskriptiv, d.h. sie ordnen die Mannigfaltigkeit sinnlich gegebener Handlungsphänomene zu einer Handlung im engeren Sinne (descriptio facti) - sie bestimmen die Phänomene der Quantität, der Qualität, und der sittlichen Relation nach -, und rechnen sie jemandem als Verantwortlichem zu (imputatio facti). Sie schaffen also die Gemengelage irgendeines Geschehens zu einem Freiheitsfaktum, zu einer verantworteten Tat, um. Zweitens aber, - und das ist für die Philosophie der Praxis als praktische Philosophie entscheidend, - sie wirken an der sittlichen Selbstbestimmung mit, indem sie die sittliche Modalität einer Handlung thematisieren, sie also als Pflicht oder Nicht-Pflicht erkennen lassen. Sie sind daher nicht nur handlungsdeskriptive Formen, sondern auch handlungspräskriptiv: sie sagen, von solcher Form sollte eine Handlung sein, die den Anspruch erhebt, sittlich zu sein. Die Kategorien der Freiheit, als Formprinzipien der Freiheit, leisten also die formale, deskriptive wie präskriptive, Vermittlung des Unbedingten, der Freiheit, an das Bedingte, die Natur. Die "Naturgesetzformel" des kategorischen Imperativs läßt dies erkennen.
Können wir uns so die Vermittlung des Unbedingten kategorial erklären, so muß nun noch die Bestimmung desselben im Medium der Sinnlichkeit untersucht werden. Unsere Leitfrage sei: Wie soll sich das Sittlich-Unbedingte bestimmen (und zwar als sittliches!) und dennoch seine Allgemeingültigkeit wahren, wenn wir doch kein Schema des Sittlichen haben, das uns dafür überall gültige Regeln an die Hand gibt.
Konzipiert man das Unbedingte als ein bloß Allgemeines, das kein Besonderes berücksichtigen kann, so wird man entweder im Formalismusvorwurf enden oder - in umgekehrter Blickrichtung - bei einer empirisch-pragmatischen Lesart, die zum Beispiel sagt: Ein streng-allgemeines Sittliches (ein reines Sittengesetz) gibt es gar nicht, es gibt nur regionale Allgemeinheiten und mehrheitliche Gemeinsamkeiten, die im jeweiligen Umfeld per Diskurs, Dialog oder Setzung, festzulegen sind. Ergo: der Anspruch auf eine unbedingte Ethik müsse zugunsten angeblich anwendungsfähigerer Ethik, etwa der Konsensethik o.ä., aufgegeben werden.
Stattdessen soll es uns, wollen wir Kant ernst nehmen, gelingen, sittliche Konkretion als eine Selbstbestimmung des Sittlich-Unbedingten zu verstehen, d.h. als eine, die nicht von außen in es eingetragen wird. Eine Bestimmung des Unbedingten durch sich selbst, das meint hier, daß es bereits zum Sittengesetz selbst, als synthetischem, gehören muß, sich zu konkretisieren. - Wobei, als Entwarnung, anzumerken ist, daß eine Konkretisierung des Sittengesetzes nicht notwendig eine Versinnlichung desselben meint, wohl aber eine Versinnbildlichung desselben erfordern könnte.
Da die sittliche Besonderung im Guten aber zugleich eine Bestimmung des Unbedingten durch den Menschen sein soll, muß sie dennoch diesen - nun nicht: als faktische Bedingung der Möglichkeit der Umsetzung des bereits durchbestimmten Gesetzes -, sondern als Instanz der Bestimmung des Sittlichen, als Ort und Auktor der Konkretisierung, berücksichtigen. Tut sie dies nicht oder nicht hinreichend, hat dies fatale Konsequenzen für die Theorie und die Praxis des Sittlichen, die ich an Kants Postulatenlehre verdeutlichen möchte.
(3) Der folgende Abschnitt untersucht, wie Kants Postulatenlehre den Übergang von der Moral- zur Religionsphilosophie herstellt. Zunächst wird eine in der Literatur verbreitete Lesart refeferiert und dekonstruiert (a), dann werden die Schellingschen Begriffe "Schematisierung, Allegorisierung und Symbolisierung" in den Argumentationskontext eingetragen (b), um mit ihnen die Applikation der Freiheitskategorien bei Kant (c), insbesondere die Gesinnungsethik (d) und die Zweckethik (e) besser verstehen zu können.
(a) Viele Interpreten lesen Kant so:
Es gibt ein kategorisches Gebot, allgemeinheitsfähig zu handeln. Das perfekte Handeln übersteigt menschliche Fähigkeiten, da der Menschen neben aller allgemeinen noumenalen Orientierung immer auch besonderes und sinnliches Wesen ist. Der Mensch kann das sittlich Gebotene nicht aus sich erreichen, entweder weil zuviel des Guten gefordert wird oder weil das Gute in der geforderten Allgemeinheit nicht getan werden kann. Will der Mensch das sittliche Gebot, das ihn nichtsdestotrotz zum sittlichen Handeln unendlich verpflichtet, nicht aufgeben, und will er auch nicht sich - als an Selbsterhalt und Glückseligkeit notwendig interessiertes Wesen - dem sittlichen Vollzug gänzlich opfern, so muß er Annahmen über die Welt machen, die er aus seiner theoretischen Welterfahrung nicht herleiten kann: grundlegend die, daß er tatsächlich frei ist, das Gute zu tun, auch wenn er durch sich oder durch Umwelt affiziert und bedingt ist, aber auch diejenige, seine Seele sei unsterblich und ermögliche eine schrittweise unendliche Annäherung an das gebotene Gute und ferner die, Gott bilde die Wirklichkeit letztendlich doch so, daß eine Realisierung des Guten möglich sei und eine Realtität der Guten durch Gott selbst wirklich werde. Diese Annahmen, so wird weiter interpretiert, hätten zwar keinen theoretischen Status, seien aber - darum Postulate genannt - durch praktische Vernunft erfordert und damit gerechtfertigt. Um die Vereinbarkeit dieser Postulate mit der Welt, desnäheren die unsittliche Weltordnung mit Gebot und Verheiß der sittlichen Weltordnung durch die Postulate übereinzubringen, sei eine spezifische Weise menschlichen Denkens - zumindest für den Nicht-Philosophen - erforderlich: die Religion. Da sie wiederum Sinn und Zweck nur aus der Moral erfahre, diese aber nicht aus anderen Motiven denn aus moralischen abstützen soll und darf, sei sie auf moralische Sätze, bzw. ihre Dogmatik auf moralische Gehalte zurückzukürzen. Der narrative Überschuß der gängigen Religionen gegenüber diesem eigentlichen Kern sei Tribut an die Zeit, an die Unaufgeklärtheit der Menschen, an ihr dem bildhaften Vorstellen zuneigendes Denken.
Der ganze Wust dieser unsinnigen Vorstellungen hängt genau an dem einen Argument: der Mensch sei nach Kant nicht in der Lage, seinen sittlichen Pflichten nachzukommen, er benötige transzendente Hilfe. Ist das so?
In der Literatur lassen sich hierzu idealtypisch zwei Strömungen ausmachen. Die eine argumentiert, wenn auch der Mensch überfordert sei, so rechtfertige dies doch keine transzendenten Annahmen; - dies sei eben das menschliche Geschick, das er zu akzeptieren habe, anstatt es durch Phantasmagorien zu entschärfen. Diese Strömung sieht in Kant einen - leider nicht ganz konsequenten - Theoretiker einer endlichen Welt ohne Gott. Die andere Strömung will zwar die Religion aufrechterhalten, aber um keinen Preis von Gnaden der Moral. Sie sieht in Kant einen genuin theologischen Denker, der lediglich, was zu tilgen sei, seinen religiösen Spekulationen zuviel moralische Erdung beigegeben habe. In theologischer Denkungsart gelte bereits das Erlösungsversprechen, wozu noch Postulate? Beide Lesarten bestreiten den immanenten Übergang von Moral und Religion, einmal vermeintlich zugunsten der Moral, einmal vermeintlich zugunsten der Religion. Für die einen sind Kants Postulate metaphysisch unhaltbare Hypostasierungen, für die anderen zu schwache Aussageformen einer stärkeren theologischen Wahrheit. Wer hat Recht?
Nehmen wir Kants Aussage, Postulate seien sehr wohl theoretische Sätze, wenn auch nur durch praktische Vernunft erweislich, einmal ernst, dann sehen wir: wir können sie nicht nach Belieben in die Welt setzen, nur weil es mit unserem Handeln sonst nicht fortwill. Kant erklärt: etwas, das die Vernunft in ihrem einen Teil notwendig voraussetze, um mit sich selbst übereinzustimmen, durch einen anderen Teil der Vernunft zuzugestehen, erfordere noch lange kein Postulat, sondern sei als Möglichkeitsbedingung ihrer Einheitlichkeit durch die Existenz der Vernunft belegt. Daß also praktische Vernunft notwendig darauf vertrauen muß, daß sich überhaupt sittlich in der Sinnenwelt handeln läßt, mithin daß Natur und Freiheit irgendwie schon kommensurabel sind, ist von vorneherein unproblematisch. Ein Postulat tritt erst auf, wenn ein spezifisches Aufgehen von Intelligiblität in Sensibilität einzufordern ist, - eine harmonische Einheit von Natur und Freiheit etwa, - welches Aufgehen als allgemeines zwar möglich, als besonderes aber nicht über die Erfahrung nachzuweisen ist. Und ich denke, man kann auf Postulate in diesem, eine Harmonie in Aussicht stellenden Sinne - dies wären die Postulate der Untersterblichkeit und eines handelnd in die zeitliche Welt eingreifenden Gottes - verzichten, ohne daß die kantische Ethik Schaden nimmt. Ihre theoriesystematische Funktion kann anderweitig aufgefangen werden.
Setzen wir dazu nochmals bei dem praktischen Verhältnis von Unbedingtem und Bedingtem ein, - konkret bei der sittlichen Selbstbestimmung. Sie verfügt bei Kant, wie bekannt, nicht über einen vorangestellten Begriff des Guten, der es ermöglichte, eine Maxime als Schema dieses Guten vorzustellen. Daraus wird oft gefolgert: Entweder bliebe die Maxime "leer", da sie keine konkrete Bestimmung erfährt, als eben die: allgemeinheitsfähig sein zu sollen, oder aber das Handeln bliebe als endlich-sittliches immer hinter dem anscheinend durch das allgemeine Sittengesetz gebotenen unendlich-sittlichen Handeln zurück: Der sittlich motivierte Mensch scheitert, so scheint es, notwendig am kategorischen Imperativ.
Der Denkfehler liegt darin, die Unendlichkeit des Unbedingten als eine die Endlichkeit ausschließende Unendlichkeit anzusehen. Erinneren wir, daß die Synthese des Sittengesetzes auf das Sinnliche eine Erweiterung des Unbedingten selbst sein soll, so ist das Endliche aber als Moment des unendlichen Selbstverhältnisses des Unbedingten anzusehen, nicht als sein Gegenüber. Dann aber kann es unbedingt Bedingtes, d.h. endliche und dennoch unbedingte Sittlichkeit sehr wohl geben. Unendlich-sittlich kann kein Menschen sein, unbedingt-sittlich durchaus. Die Sittlichkeit ist dann nicht als endlicher Fall eines abstrakt-unendlichen Allgemeinen zu schematisieren, in der das Endliche unterzugehen hat, sondern sie ist das Unbedingte als Endliches vorgestellt. - Was haben wir uns konkret darunter vorzustellen?
(b) Gestatten Sie mir einen kleinen Exkurs: Schelling hat in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst angesichts der Verbindung von Allgemeinem und Besonderen drei Ordnungsbegriffe eingeführt, den der Schematisierung, den der Allegorisierung und den der Symbolisierung. Er versteht unter Schematisieren im wesentlichen einen Bezug von Allgemeinem und Besonderem, der unter dem Primat des Allgemeinen vor sich geht, unter Allegorisieren einen eben solchen Bezug unter dem Primat des Besonderen und als gelungene Form - Schelling diskutiert dies ja im Medium des künstlerischen Urteilens und Produzierens - das Symbolisieren: ein harmonisch gleichgewichtiges Übereingehen von Allgemeinem und Besonderem in Akt und Aktgegenstand.
Ich möchte diese drei Begriffe gerne im Kontext des kantischen Philosophierens gebrauchen, verweise aber zuvor auf zweierlei: zum einen spreche ich lieber von der Verbindung von Unbedingtem und Bedingtem im Urteil, als von der von Allgemeinem und Besonderem, da durch den Begriff des Unbedingten und den des Bedingten die jeweilig bestimmende Gesetzlichkeit, einmal die unbedingte Gesetzlichkeit der Vernunft, einmal die bedingende Gesetzlichkeit der Natur, bzw. des Verstandes angezeigt wird, und zum anderen, weil schlicht ein unbedingt Bedingtes etwas anderes meinen kann als ein allgemeines Besonderes oder ein besondertes Allgemeines. Es handelt sich ja beim unbedingt Bedingten nicht per se um eine Zwischenform von Allgemeinem und Besonderem "auf halber Strecke", sondern es ist vorab offen, wo auf der Strecke zwischen Allgemeinem und Besonderem ein unbedingt Bedingtes angesiedelt wird; es kann - dies im Vorgriff - "oberhalb" oder auch "unterhalb" oder auch "gleichauf" mit der Unbedingtes und Bedingtes vermittelnden Ebene der Kategorien anzusiedeln sein.
Dies ist für das folgende wichtig, denn anders als Schelling, führt Kant die Vermittlung, die ihn von Synthesis a priori sprechen läßt, - und dies ist für Kant eben nicht jedwede Verbindung von Allgemeinem und Besonderem im Lichte absoluter Erkenntnis - stets orientiert an seinen Kategorientafeln herbei. D.h. Schematisierung, Allegorisierung und Symbolisierung, wenn man diese Begriff bei Kant einträgt, wären bei Kant nicht die Verhältnisse der Verbindung von Unbedingtem und Bedingtem selbst, sondern die Art und Weise, wie diese Verbindungen anhand von Kategorien zustande kommen. Der Unterschied ist also der, daß die Verbindung selbst bei Kant immer kategorial ist und nicht irgendwie freischwebend-absolut. Wie aber kategorialisiert wird, - schematisch, allegorisch, symbolisch, - das ist die entscheidende Frage. Gemessen an der systematischen Funktion der durch Kategorialisierung zu erzielenden Synthese - Erkenntnisurteil, praktisches Urteil, ästhetisches Urteil - ist nachzufragen: Sollte die Applikation der Kategorien schematisch, allegorisch oder symbolisch vor sich gehen?
(c) Kehren wir nun zu Kant zurück: In der theoretischen Philosophie ist uns das Besondere bereits gegeben, das dann schematisiert als Fall des Allgemeinen behandelt wird, in der praktischen Philosophie nicht. Kants Attacke gegen den ethischen Empirismus, der das Gute stets verendlicht, die er engführt mit seinem Angriff auf dem ethischen Mystizismus, der das Ethische als schlecht-Unendliches ansetzt, hat gerade zum Ziel zu zeigen, daß wir noch gar kein ethisch-relevantes Besonderes haben, wenn wir nicht aus reiner praktischer Vernunft eines setzen, bzw. bestimmen. Diese Bestimmung muß, wie gesagt, einerseits als Selbstbestimmung des Unbedingten zu deuten sein, andererseits aber muß sie von uns ausgehen. Daher empfiehlt sich nicht die 'von oben nach unten' verfahrende Schematisierung, sondern die Allegorisierung. Sie geht den umgekehrten Weg, sie findet das unbedingt Bedingte, indem sie das sinnliche Einzelne als ein sittliches Besonderes, als eine Selbstbestimmung der unbedingten Sittlichkeit am Orte des Menschen liest - im Ausgang vom sich selbst verallgemeinerndern konkreten Subjekt. Das heißt, daß die allegorische Bestimmung in dieser Bewegung nicht zusätzlich zum Sittengesetz hinzutritt, sondern zugleich der sittlichen Reflexion ist, d.h. mitgegeben mit der natürlichen Bedingtheit des sittlichen, und als sittlichen sich auf Sinnliches beziehenden Subjekts gegeben ist.
Gehobene Auslegungen Kants haben auf diesen Aspekt seit eh und je Gewicht gelegt, wenn sie betonten, Kants Imperativ gebiete nicht, daß die Maxime nur, sondern zugleich, - also zugleich zur sinnlich-besonderen Funktion, die sie für das wollende Subjekt hat, - "als allgemeines Gesetz" gelten könne. Hier wird davon ausgegangen, daß ein Wille, der allgemeiner Wille sein soll, immer schon besonderer Wille ist, so daß die Frage also nicht lautet, wie besondert sich ein allgemeiner Wille, sondern wie verallgemeinert sich gültig ein besonderer Wille. Was Kant dabei von empirischen Theoretikern unterscheidet, ist also nicht eine Feindschaft dem Konkreten gegenüber, sondern sein beharrliches Insistieren, daß auch und gerade das vom Besonderen ausgehende Denken nur dann sittliche Relevanz haben könne, wenn es in spezifischer Weise den, den Ausschlag gebenden, Durchgangspunkt eines Unbedingten passiert habe - und nicht einfach den einer empirischen Allgemeinheit oder Mehrheitlichkeit. Dieser Unterschied zeigt sich daran, daß Kant nicht irgendein Einzelnes als irgendein Allgemeines allgeorisiert, sondern daß bei ihm die Kategorien der Freiheit es sind, die, falls sie im Einzelnen zutage treten, dieses Einzelne zu einem allgemeinheitsfähigen Besonderen qualifizieren. Die Allegorie, wenn sie auch privater und intutiver Vollzug sein wird, bleibt damit in ihrer Geltungsstruktur formal-allgemein und integriert alle allgemeinheitsfähigen Besonderen gleichberechtigt miteinander. Das formuliert Kant über die "Zweckreichformel".
Eine Ergänzung noch: mit dem Gesagten ist nicht gemeint, daß wir in der sittlichen Praxis niemals schematisieren; die Schematisierung ist aber ein Vorgang, der vorhandene Maximen bereits voraussetzt. Im Beispiel: unser Rechtssystem etwa ist ein riesiges Schema unter dessen Regeln Realität sittlich aufbereitet (subsumiert) wird. (7) Der Unterschied ist vielmehr der: Während Allegorisierung ein Verfahren ist, Sittliches erst zu setzen, setzt sittliche Schematisierung ein bereits sittliches oder unsittliches Gegebenes voraus. Ein gleiches gilt für Kants Gesinnungsethik, sie fragt nicht nach der Genese privater Motive, sondern schematisiert die bereits gegebene Gesinnung danach, ob das Gute als das Gute gewollt wurde oder nicht. Alles andere ist der rein gesinnungsethischen Perspektive völlig gleichgültig. Die Frage ist also nicht: gibt es neben der Allegorisierung auch Schematisierung in Kants Ethik? Sondern entgegen gängigen Kantinterpretationen ist festzuhalten, daß es neben der als formalistisch gescholtenen Perspektive ethischer Schematisierung (Negativität) auch die Allegorisierung (Positivität) gibt. Sie geht genetisch der Schematisierung vorher, ist ihr aber geltungslogisch den Disziplinen des Rechts und der Gesinnungsethik nachgeordnet.
Fraglich ist nun, wo die Grenzen dieser "normalen" sittlichen Selbstbestimmung liegen. Ich meine, eben dort, wo der notwendige Ausgang vom konkreten Subjekt in seiner konkreten Situation in einen nicht nur akzidentellen, sondern in einen prinzipiellen Konflikt mit dem unbedingten Gebot tritt. Unsere nächsten Fragen müssen also sein, ist das Verfahren der sittlichen Allegorisierung resp. Schematisierung insuffizient oder widersprüchlich und - kann es durch einen Akt des Symbolisierens ergänzt und zurechtgebracht werden?
(d) Wenden wir uns dazu der Gesinnungsethik zu: Man kann, das gibt uns bereits das Phänomen Gesinnung vor, eine Gesinnung nicht aus dem Nichts erzeugen. Man hat eine Gesinnung, man macht sie nicht. Wohl aber kann man über sie zu Gericht sitzen. In gesinnungsethischer Selbstbestimmung wird die Gesinnung eines besonderen Selbst nach dem Schema der rein-tugendhaften Gesinnung überprüft und im Zweifel verworfen. Im Regelfall kann das empirische Selbst, das sich selbst zum Gegenstand seines Urteils nimmt, unter Absehung von den besonderen Umständen seines Falls ein allgemeingültiges Urteil über sich fällen.
Anders wird dies nur dann, wenn das empirische Selbst von eben diesen besonderen Umständen gar nicht absehen kann. Der 'blinde Fleck' der Gesinnungsprüfung, daß nämlich dasselbe Ich Untersuchender und Untersuchter ist, wird genau dann sachentscheidend, wenn das empirische Selbst in Gesinnungsfragen sich so thematisieren müßte, daß es diejenige allgemeine Identität seiner als urteilendem mit sich selbst als beurteiltem Ich - und nicht nur die private Seite dieses Selbst -, zum Gegenstand der sittlichen Kritik machen müßte. Denn jedes Selbst setzt sich als Instanz, an die die eigene Forderung ergeht, voraus.
Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um den performativen Widerspruch, das sich ein Selbst nicht selbst vernichten kann, will nicht das angesprochene Subjekt das den Anspruch erhebende Subjekt auslöschen. Sondern es geht hier um den nomologischen Widerspruch, daß ein Selbst sich sittlich-allgemein nur setzen kann, indem es sich als Bestandteil dieser Allgemeinheit mitsetzt. Urteilt nun ein Subjekt unter Lebensweltbedingungen, die so sind, daß das sittlich-Allgemeine nicht ohne partielle oder totale Negation des sittlichen Subjekts in seiner sinnlichen Präsenz erreicht werden kann, so stößt der schematische Prozeß an seine Grenzen - und zwar prinzipiell und nicht performativ: Es gibt ja durchaus Fälle, in denen das Gute um den Preis von ethisch asymmetrischen Folgen, sogar um den Preis des eigenen Lebens, gewollt und getan wurde. - Wir, als Theoretiker der Sittlichkeit, müssen daher fragen: Woran haben sich denn die "trotzdem" gut gebliebenen Menschen ausgerichtet, wenn sie sich dies doch nach unserer bisherigen Theorie gar nicht widerspruchslos konnten?
Was passiert also, wenn sich das Subjekt als sinnlich-sittliche Einheit begreift und erkennt, unter den Bedingungen der Welt das Allgemeine nur um den Preis der Auflösung der sinnlichen Seite seines sinnlich-sittlichen Selbst aufrechterhalten zu können? Nach dem bisherigen lassen sich nur zwei, jeweils aporetische Fälle denken. Entweder das Subjekt läßt den Anspruch auf gute Gesinnung fallen, da es sich als Selbst erhalten will, oder es unterwirft sich dem Allgemeinen und gibt sich - zumindest in seinem Entschluß - als privates auf. Die aus dem untersuchenden und dem untersuchten Ich gebildete Instanz der Selbstbestimmung: seine praktische und stets neu wiederherzustellende Identität, muß in beiden Fällen notwendig zerbrechen. Damit kann weder die eine noch die andere Variante überhaupt begrifflich-konsequent durchgehalten werden, mithin sittlich geboten sein.
(e) Wie also, wenn es neben der Variante, das Bild der Welt dem Begriff des Sittlichen schematisierend zu opfern oder den Begriff des Sittlichen der Allegorie des Selbst anzupassen, noch ein Drittes gäbe, ein Symbol, in dem Begriff und Bild in einer Weise konvergierten, die den Gesetzen beider gerecht würde und die es verhinderte, daß das Bewußtsein im Konflikt aus noumenaler und phänomenaler Orientierung zerbricht? Und: gibt es ein solches Symbol bei Kant?
Bevor wir diese Frage - bejahend natürlich - beantworten, lassen Sie uns noch ganz kurz die Parallele zur Zweckeethik ziehen. Dort, in der positiv-inneren Selbstbestimmung, allegorisiert das besondere Subjekt sich bzw. seine Zwecke. Als allgemeinheitsfähige Zwecke - die Theorie kann ich ja als bekannt voraussetzen - bleiben übrig: das Befördern fremder Glückseligkeit und der eigenen Vollkommenheit. Zwar stimmt man weithin in praxi überein, was denn fremde Glückseligkeit und eigene Vollkommenheit seien. Jedoch gerade der Grenzfall, das Kollidieren zweier per Allegorisierung für sittlich erklärter Gutskonzeptionen unter der Ägide der genannten Pflichtzwecke bringt das Dilemma, die systematische Unabgeschlossenheit des Verfahrens, vor Augen. Wer entscheidet, synthetisiert, organisiert die Gutskonzepte im Falle ihres empirisch-performativen Widerspruchs? Das Schema, das, da das Gute als material bekannt nicht vorausgesetzt werden kann, alle Fälle über den Kamm der Formalität scheren muß (Naturgesetzformel), das mithin das proprium der sittlichen Zwecksetzung, hier und jetzt material Gutes zu produzieren, notwendig übersieht? Die Allegorie, die doch Gutsvorstellungen, welche sich als verallgemeinerbar qualifiziert haben, axiologisch unterschiedslos nebeneinander gelten lassen muß (Zweckreichformel), anstatt sie einander ein- und unterordnen zu können, - oder das gesuchte Dritte, ein Symbol des Guten, das eine Hierarchie der guten Zwecke ermöglicht, die weder das Formale, noch das Materiale, weder das Allgemeine noch das Besondere der guten Zwecke übersieht.
Nicht nur die Gesinnungsethik verweist auf die Zweckethik, - denn die Gesinnung als reine ist ja nicht Selbstzweck, sondern rein nur als integrales Moment einer auch sittlich zweckhaften Handlung. Und nicht nur verweist die Zweckethik auf die Gesinnungsethik zurück, insofern als nur ein aus reiner Gesinnung erhobener Zweck überhaupt sittlich sein kann. Sondern beide sind zudem auf eine Ebene des Weltdeutens verwiesen, die nicht mit den Mitteln bloßer Ethik zu beschreiben ist.
Wir sehen: die konstitutiven Ebenen der kantischen Ethik, die transzendental thematisiert werden, benötigen, um eine Anwendung dieser Ethik seitens eines empirischen Subjekts vorstellbar zu machen, eine Ergänzug durch eine regulative, eine hermeneutische Ebene, die in spezifischer Weise auf das je konkrete Subjekt in seinem je konkreten Kontext Rücksicht nimmt. Wir benötigen, um dem sittlichen Subjekt zu seiner praktischen Identität zu verhelfen, eine Theorie des sittlichen Symbols im Rahmen und gemäß dem Anspruch der Kritik der praktischen Vernunft.
(4) Die im vorangegangenen Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse werden nun für Kants Religionsphilosophie fruchtbar gemacht. Es wird gezeigt, daß der mit Schelling exponierte Symbolbegriff sich bei Kant wiederfinden läßt (a) und daß es der immanente Sinn der Gesinnungsethik und der Zweckethik ist, mittels solcher Symbole über sich hinauszuweisen (b), wobei allerdings die konkrete Gestalt der Symbole sich als kontextrelativ erweist.
(a) Das Lehrstück der KdU von den Hypotyposen, vom Schema und vom Symbol, als inversen Fällen der Vermittlung des Allgemeinen und des Besonderen, konvergiert weitgehend mit den Ausführungen Kants zu "Typus und Schema" im Abschnitt über die Typik der praktischen Urteilskraft in der KpV. Unsere Frage lautet: Wie muß ein "Typus" des Sittlichen beschaffen oder gegeben sein?
Die Idee des höchsten Gutes wird durch die Modalkategorien der Freiheit, wie Kant sagt, zu einem notwendigen Gegenstand der praktischen Vernunft gemacht. Das höchste Gut ist also ein Gegenstand, der als allgemeiner bereits in ihr liegt, und das heißt, der die Einheit von Natur und Freiheit und von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit als mögliche, wenn auch nicht als notwendige Einheit in sich enthält und in reiner Vernunft bereits aufzeigt. Die praktische Vernunft wird also nicht erst von außen (heteronom) auf ihr sinnliches Gegenüber verwiesen, - das wird viel zu oft in der Sekundärliteratur übersehen. Gilt dies, so muß der erwähnte Typus der praktischen Urteilskraft, der die Regel zur Beurteilung eines sinnlichen Bildes als eines Bildes des höchsten Gutes geben soll, sich im einzelnen Urteilsakt immer in concreto bewähren, mithin das Gute aus einer Konkretion heraus erkennen.
Eine Idee in concreto nennt Kant Ideal, und ein Typus in concreto - das ist ein Symbol. Ist nämlich der Typus die allgemeine Form der Urteilskraft, der die Erkenntnis einer Idee in der Wirklichkeit entsprechen muß, so ist das Symbol die besonderte Form der Gegebenheit eines solchen Typus, - erst habe ich das Symbol, dann benenne ich den Typus, dem es entspricht. Kant schreibt, die Urteilskraft werde durch das Symbol angeleitet, "vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedienet) (..) die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist anzuwenden." Das erst durch die aneignende Auslegung zum Symbol erhobene Zeichen ermöglicht eine "qualitative Analogie", bei der nicht die anschaulichen Komponenten eines Objektes auf ein anderes übertragen werden, wie in gewöhnlichen Analogien, sondern das in dem Analogon verschanschaulichte Verhältnis von Komponenten, hier von Natur und Freiheit. Das Symbol ist darum erst Symbol in der aneignenden Reflexion auf das in ihm Veranschaulichte, hier: das Verhältnis von Natur und Freiheit in sittlicher Idealität. Ein Zeichen wird sittliches Symbol sein, wenn es, vermittelt über Anschauung, im Medium sittlichen Denkens reflektiert wird, als Ideal sittlicher Praxis aufscheint, und in noumenal nachvollziehender, nicht aber phänomenal-nachäffender Weise angeeignet wird.
Dazu noch eine terminologische Klärung: Kant operiert insgesamt zur Darstellung des praktisch-Unendlichen mit den Begriffen Idee, Idol und Ideal. Die praktische Idee wird über "unendliche Begriffe", deren Gegenstände sich nicht in endlicher Erfahrung nachweisen lassen, verdeutlicht. Im Idol ist, laut Kant, "sinnliche Unendlichkeit" dargestellt, d.h. es ist das Anschauen von etwas, das, löste man seine Bestandteile in endliche Erscheinungen auf und trüge deren Begriffe zusammen, diese Begriffe als miteinander widersprüchlich erwiese. Korrespondiert der Idee begrifflich also möglicherweise etwas, das allerdings sinnlich nicht erfahren werden kann, so korrespondiert dem Idol, obwohl es sinnlich gegeben ist, begrifflich nichts. Idee und Idol haben somit beide etwas Unausgewogenes an sich, ohne ihr Pendant entgleiten sie zu Idolatrie (Götzendienst) und Ideologie, - die Idolatrie übersieht das sittlich-Allgemeine, die Ideologie das sinnlich-Besondere. Lediglich das Ideal kann eine Einheit stiften, die weder das Endliche dem Unendlichen noch das Unendliche dem Endlichen unterordnet. Das Ideal kann daher weder im Medium des Begriffs, wie die Idee, noch dem der Anschauung, wie das Idol, allein auftreten, es kann nur zugleich in beiden, symbolisch also, bestehen.
(b) Übersehen wir den bisherigen Weg noch einmal: Die Theorie der sittlichen Selbstbestimmung machte ganz allgemein ein zwischen den Kategorien der Freiheit und dem unbedingten Sittengesetz zu lozierendes Ideal, bzw. Symbol des Guten erforderlich. Ein Begriff des Guten durfte es nicht sein, eine Anschauung des Guten kann es nicht sein und die bloße Idee erfüllt die Erfordernisse der konkret-subjektiven Selbstbestimmung nicht. Was bleibt, ist das durch die Modalkategorien auf Konkretion notwendig verwiesene höchste Gut, - begrifflich ein Ideal des Guten, wahrgenommen als Symbol. Dieses Ideal erhält neben seiner ideellen Seite (dem Unbedingten) seine konkrete Seite aus demjenigen Feld, auf das hin sich das Unbedingte jeweils synthetisiert und aus der Person, für die es gilt. Das wahre Symbol des höchsten Guts steht niemals universal fest. Nach der Seite des Handlungsfeldes hin erhält es eine allgemein-subjektive Bestimmung (eine gesinnungsethische, eine zweckeethische), nach der Seite der Individualität hin eine individuell-subjektive. Beide sollen im folgenden untersucht werden.
Zuerst zur allgemein-subjektiven Konkretion des höchsten Guts im Rahmen der Gesinnungsethik. Dort spricht Kant von "dem Herzenskündiger", der als "oberster Richter" die menschliche Gesinnung in einer Weise beurteilt, die befreiend (und nicht restringierend) ist, weil sie den Menschen seine Identität trotz ethisch asymmetrisch erscheinder Welt erlangen läßt. Der Herzenskündiger, so Kant, hält uns nur unseren "eigenen wohlverstandenen Willen" vor, indem er uns in regulativer Weise die sittlich beständige Existenz als heile Existenz versinnbildlicht. Damit führt er uns über das unbedingte Gebot zu unserem unbedingten, aber als solchem unsichtbaren Selbst zurück, das wir angesichts der sichtbaren Welt gelegentlich zu unserem eigenen Unheil übersehen. Der Herzenskündiger erhebt uns damit zu uns selbst. Er, der reine, der idealische Mensch, ist die gesuchte und erstrebte sittlich-sinnlich harmonische Innenwelt, die doch nirgendwo anders ihren Ursprung hat als in uns, und die, ob ihrer äußeren Unsichtbarkeit zu vergessen, hieße, uns selbst zur Hälfte zu vergessen.
Nun zur Zweckeethik. Das höchste Gut, daß nämlich Glückseligkeit und Glückswürdigkeit, Natur und Freiheit konvergieren, wird, da es auf Erden nicht anzuschauen ist, veranschaulicht. Das Reich der Zwecke steht für eine sittlich-sinnlich harmonische Außenwelt, die, wenn sie auch nicht dinglich außer uns ist, dennoch für uns etwas Äußeres ist und in diesem Für-Bezug uns, nach Kant, erst in einem Sinn-Bild plastisch wird. Auch hier gilt: das Sinnbild kann nirgens anders herkommen als aus uns selbst, verschütten wir es, das wir nicht dinglich fassen können, verschütten wir unser nicht-dingliches Selbst.
Will man in den Termini des Herzenskündigers und des Zweckreiches, die Kant dann, in seiner Religionsphilosophie, auf Christus und das Reich Gottes auf Erden hin zuspitzt, und später (insbs. im Opus Postumum) durch eine Heiliger-Geist-Lehre miteinander zu verbinden sucht, nicht nur biblizistische Anwandlungen erblicken, sondern sie im bisher angedeuteten Rahmen verstehen, so ist zu untersuchen, inwieweit gerade diesen Topoi es zukommt, Ideal zu sein und als Symbol - und nicht anders - zu fungieren. Kant gebraucht diese christlichen Bilder als Illustrationen einer Grundstruktur, die ohne diese Bilder nicht plastisch zu erläutern ist, dennoch aber nicht von diesen besonderen Bildern abhängt. Der ideelle Gehalt eines moralischen Ideals steht ja in reiner praktischer Vernunft fest, er läßt sich also durch das zeitliche Bild hindurch zeitlos erfassen.
Der bildliche Gehalt des Ideals dagegen unterliegt dem Wandel der Zeiten und Vorstellungen. Die Bildhaftigkeit bindet es an die jeweiligen besonderen Subjekte und damit auch an deren historischen kulturellen Kontext; - Religion ist nie nur Sache des Subjekts oder nur der communitas, sondern immer beides. Denn neben allgemein-subjektiver Konkretion (gesinnungs- und zweckethische Indienstnahme) erhält das Ideal Prägung noch durch eine kollektiv-lebensweltliche Besonderung über historisch-kulturell lebende Symbole - zu Kants Zeiten waren ja Gott-Vater und Gott-Sohn in den Köpfen der Menschen lebende Symbole - und durch individuelle Besonderung zu privat lebendigen Symbolen.
Aktivität und Passivität des Symbolaktes hängen eng zusammen. Ein Symbol spricht sich nicht selbst aus, sondern es wird angeeignet, - und zwar je mehr, desto näher der es auffassende Mensch dem Symbolgehalt bereits ist. Der dem symbolisierten Ideal angenäherte Mensch befindet sich auf einem höheren hermeneutischen Niveau: er weiß qualifizierter, was ihm, der er ja das Symbol als Symbol will, das Symbol sagen soll. Der Bedarf des Symbols macht es auch verständlich. Derjenige dagegen versteht Symbole nicht, der das, worauf sie hinweisen wollen, wenn sie über sich hinausweisen, nicht bereits von sich her erkennen kann oder anerkennen will.
(5) Im theoretischen Ansatz von Kants Religionsphilosophie sind zwei Aspekte zu unterscheiden: eine Lehre, die den Status untersucht, den die anhand symbolisierter Ideale erfolgende regulative Interpretation des menschlichen Selbst durch Religion im Rahmen einer kritisch-praktischen Philosophie haben könnte, und eine Lehre, die sich, ausgehend von diesem Wissen, der kritischen Untersuchung besonderer Religionen widmet. Ich unterscheide deshalb bei Kant zwischen einer philosophischen Lehre von der Religion und seiner am damaligen Christentum orientierten Religionskritik. Die Lehre von der Religion - oder: Religionsphilosophie - gehört zur (regulativen) praktischen Philosophie, historische Religionskritik nicht. Aber nur im Einlassen auf konkrete Religion kann normativ kritische Religionsphilosophie durchgeführt werden.
Ein synthetisch-normativer Begriff des religiösen Aktes ist nur zu geben, wenn mehr als nur der sittlich-formale Zugriff auf Religion vorliegt. Weit entfernt davon, daß bereits die moralische Funktion der Religion den Begriff der Religion als Phänomen vorgibt, verlangt die hier gegen Kant etablierte Distinktion, daß das Noumenon Religion dieser Maßstab sei. Wenn ich vom Noumenon Religion spreche, dann einerseits, um anzuzeigen, hier geht es nicht um positivitätsgläubige Phänomenerkenntnis, aber auch, um andererseits anzuzeigen, hier geht es auch nicht um vereinseitige Vernunftreligion. Das Noumenon, - in Kants theoretischer Philosophie negativer Grenzbegriff, - ist in seiner praktischen ein synthetischer Begriff, von dem her uns erst etwas als ein praktisch-philosophisch ernstzunehmendes Etwas aufscheint. Das Noumenon Religion kann daher gar nicht bei sich verbleiben und das Andere seiner selbst ausschließen, sondern es ist darauf immer schon, d.h. in diesem Fall: auf die religiösen Phänomene verwiesen. Da man diese Phänomene weder a priori herbeideduzieren kann, noch sich ihnen unkritisch aposteriori nähern sollte, muß man sie Ð mit einem weiteren Schellingschen Lehnbegriff, diesmal aus seiner Philosophie der Offenbarung - "per posterius" auf den Begriff bringen. Das Noumenon Religion ist, kurz gesagt, das zur jeweiligen Zeit, am jeweiligen Ort, auf der Grundlage des jeweiligen religiösen Symbolverstehens, über "Religion insgesamt" zu erkennende Wahre.
Konkrete, vom Noumenon Religion her operierende Religionsphilosphie, kann also Religion verstehen und nicht nur, wie bloße Vernunftreligion, normieren. So kann beispielsweise mittels des Noumenon Religion eine Theorie des adäquaten religiösen Gefühls und Denkens (in Abgrenzung zum Fundamentalismus) und beider im Übergang zu einer Theorie ethisch-religiöser Gemeinschaft und Gemeinwesen gegeben werden. (8) Ferner können im Rahmen einer Theorie der symbolischen Erkenntnis per posterius, die bei Kant schon angelegt ist und die genuin hermeneutisch genannt werden darf, dann auch Aussagen zu konkurrierenden ethischen Disziplinen, also zum Verhältnis der Religion zu Recht, Politik, Geschichte gemacht werden, weil wir es jetzt mit einem Begriff von Religion zu tun haben, der ihre sinnlich-konkrete Erscheinung nicht nur als peripher, sondern als wesentlich ansieht, und dennoch nicht unkritisch-phänomenologisch bei ihr stehen bleibt.
Aus den obigen Ausführungen lassen sich für Kants praktische Philosophie insgesamt und für seine Religionsphilosophie insbesondere wichtige Konsequenzen ableiten: In Kants System der praktischen Philosophie korrelieren die systematische Einheit der praktischen Disziplinen und das mit sich selbst synthetisch-einheitliche Bewußtsein des sittlichen Subjekts. Dies wurde hier zwar nur für die Seite der sittlich-inneren Selbstbestimmung (Gesinnungsethik und Zweckeethik plus Religion) gezeigt, gilt aber auch für die der sittlich-äußeren Selbstbestimmung (Recht und Politik plus Geschichte),(9) da ohne regulative Reflexion keine erfolgreiche Konstituierung ethischer Selbstbestimmung stattfinden kann. Kants Religionsphilosophie - so wie sie hier verstanden wird - ist darum integraler Bestandteil dieses Systems, nicht Appendix, nicht bloße Applikation, weder transzendente Überdehnung noch Abstützung.
Kant ist aber anzulasten, daß er seine Religionphilosophie durch die Bezeichnung "innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" einerseits in den Verdacht gebracht, sie gehöre zum kritischen oder doktrinalen Teil seines Systems, statt zur regulativen Kontextualisierung desselben, und umgekehrt, daß er durch die streckenweise unsystematische und mit konkreter Religions- und Kirchenkritik vermengte Darstellung in der Religionsschrift andererseits den Eindruck erweckt, es könne sich hierbei vielleicht nur um gelegentliche, für das praktische System irrelevante Überlegungen handeln.
Ferner: Kants Religionsphilosophie - so wie sie hier verstanden wird - ist sachlich positiv zu bewerten, weil sie religiöse Funktion und theologischen Gehalt von Religion voneinander zu unterscheiden erlaubt und damit den Zusammenhang von Sittlichkeit und Religiösität gleichauf mit der Unabhängigkeit von Moralphilosophie und Theologie deutlich machen kann. Kants Religionsphilosophie - eben weil sie transzendental zu rekonstruieren ist - kann und sollte freibleiben von transzendenten Spekulationen und der Konfusion mit philosophischer Theologie. Sie stellt ein insofern einmaliges Modell vor, das weder die Religionsphilosophie von philosophischer Theologie, noch diese von jener abhängig macht. Da Kant sich innerhalb der Grenzen seines symbolischen Religionsverständnisses zur Frage nach der Existenz eines personalen Gottes überhaupt nicht äußern muß, ist er zu verteidigen, gegen Inanspruchnahmen sowohl theistischer als auch atheistischer Ideologen, - insbesondere dort, wo er sie durch unklare und schwankende Formulierungen ermuntert.
Kant ist allerdings vorzuwerfen, daß er diese Qualität seiner Theorie von beiden Seiten verschüttet hat: von seiten der Moralphilosophie ist die Postulatenlehre zu beanstanden, von seiten der Religionsphilosophie ist dem Eindruck entgegenzutreten, im religiösen Akt sei nur das moralische Moment bedeutend, nicht auch das ästhetische, das teleologische, kurz: das lebensweltlich-orientierende Moment.
Und schließlich: Kants symbolische Religionsphilosophie bildet die sinngebende Mitte zu Vernunftreligion und Religionskritik. Ohne diese Mitte verkommt die Vernunftreligion zur moralistischen Ideologie, wie beim frühen Fichte, und die Religionskritik zur verständnislosen Schelte auf Pfaffen, Dogmen, Kultus. Daß beides auch bei Kant nicht zu kurz kommt, muß gleichwohl zugegeben werden. Dennoch läßt sich kaum ein anderer Weg denken, um heutzutage sinnvoll konkrete religionsphilosophische Aussagen zu machen, als der der symbolischen Theologie. Nur sie hält die Mitte zwischen episodischer Theologie einerseits, die die religionsspezifische Transzendenz verflüchtigt, und konstitutiver Theologie andererseits, die zum fundamentalistischen Umschlag der Religion auffordert. Symbolische Theologie - das sei hier zumindest in Aussicht gestellt - kann die Extreme des religiösen Bedürfnisses und der rationalen Kritik miteinander übereinbringen und die Opposition von Glauben und Denken ohne Subordination aufheben.